Manche Wege im Leben wirken im Rückblick wie Zufall. Oder Schicksal. Der Weg, der David Kovacic aus dem slowenischen Ljubljana ins unterfränkische Rimpar geführt hat, ist so einer. Am Anfang, als er das Ziel noch nicht ahnen konnte, stand ein Schicksalsschlag.
Es ist ein kalter Montagmorgen im April. In Zeiten der Pandemie, wo Interviews nicht in Cafés stattfinden können, muss auch mal eine Sportlerumkleide dafür herhalten. In diesem Fall befindet sie sich in der Trainingshalle des Zweitligisten DJK Rimpar Wölfe. Dort ist David Kovacic seit Sommer als Handballprofi angestellt. Der 26-Jährige sitzt auf einer Holzbank, er trägt Sneakers, Jeans und einen dunkelblauen Pullover mit weißen Federn. Körperlich ist der Kreisläufer alles andere als eine Feder: Er wiegt 118 Kilogramm, verteilt auf 1,90 Meter.
"Typ Knuddelbär"
Als "Typ Knuddelbär" hat ihn Kapitän Patrick Schmidt vor der Saison charakterisiert, "mitunter impulsiv, aber vor allem sehr herzlich". Der Slowene muss lachen: "Das ist eine passende Beschreibung", findet er.
Dass in dieser kargen Kabine trotz eines in Englisch geführten Interviews und bei allem Abstand Nähe aufkommen kann, liegt daran, dass David Kovacic ein nahbarer, warmer und sehr freundlicher Mensch ist. Und dass er bereit ist, offen eine schmerzhafte Erfahrung aus seinem Leben zu teilen, die ihn schnell erwachsen werden ließ: "Meine Mutter starb vor knapp drei Jahren." Es war der 13. Juni 2018. Sie wurde nur 49 Jahre alt.
So ein Satz sitzt. Immer. Und überall. Gespräche verlaufen danach anders. Weil die Erfahrung des Todes eines geliebten Menschen, zumal in so jungen Jahren, "den Blick aufs Leben grundlegend verändert", wie Kovacic es formuliert.
Eine lebensverändernde Diagnose
David, der jüngere von zwei Brüdern, war 21, als seine Mutter die Diagnose Leberkrebs erhielt. Sie habe noch zwei bis vier Monate zu leben, prognostizierten die Ärzte damals. Es wurden zwei Jahre. "Ich bin stolz auf sie, wie sehr sie bis zum Ende gekämpft hat", sagt der Handballer. Und dankbar, dass seine Mutter ihm wichtige Werte fürs Leben mitgegeben habe: "Ein guter Mensch zu sein, freundlich, hilfsbereit und wertschätzend im Umgang mit anderen. Nicht zu lügen. Und dass Familie an erster Stelle steht." Wie bei den Kovacics.
Der Vater und Bruder kümmerten sich zu Hause um die kranke Mutter. David, der in Ljubljana Management studierte und beim Erstligisten RD Riko Ribnica, dem zweitbesten Klub des Landes hinter Serienmeister RK Celje, unter Vertrag stand, kam, "wann immer ich konnte" – statt wie Gleichaltrige auf Partys zu gehen und sein Leben zu genießen.
Angebot aus Frankreich abgelehnt
Er erhielt damals ein Angebot aus der ersten französischen Liga – und lehnte es ab. "Ich wollte die verbleibende Zeit mit meiner Mutter verbringen und war jede freie Minute bei ihr." Manchmal begleitete er sie in die Onkologie ins Krankenhaus. "Da wird dir schlagartig klar, dass du nur dieses eine Leben hast und dankbar sein solltest, wenn du gesund bist", sagt er. An freien Wochenenden unternahm die Familie Ausflüge. Die Erinnerung an diese Zeit bedeute ihm viel.
Am Ende ging es ganz schnell. Anfang Mai 2018 habe seine Mutter noch den Wohnwagen hergerichtet, bevor sie eine neue Chemotherapie begonnen habe. Für die starken Nebenwirkungen sei ihr Immunsystem zu schwach gewesen. Sie starb innerhalb einer Woche. "Es war eine harte Zeit", sagt Kovacic rückblickend. "Aber ich habe dadurch gelernt, den Moment zu genießen."
Befreundet mit Atlético-Torwart Jan Oblak
Der 26-Jährige ist der einzige Handballer in seiner Familie. Aus seiner Heimatstadt Skofja Loka, gut 20 Kilometer nordwestlich von Ljubljana, kommen mehrere namhafte Sportler. Mit Jan Oblak etwa, dem Torwart von Atlético Madrid, sei er befreundet. "Unsere Mütter haben zusammen gearbeitet, und wir haben als Kinder miteinander Fußball gespielt." Mit dem Skirennfahrer Stefan Hadalin ging er in die Grundschule.
Nach einem Kreuzbandriss vor zwei Jahren, einer neunmonatigen Reha und dem coronabedingten Saisonabbruch im Frühjahr 2020 fädelte ein Berater den Deal mit den Wölfen ein. Kovacic, der internationale Erfahrung sowohl in der U-21-Nationalmannschaft Sloweniens als auch im EHF Cup sammelte, hatte "immer den Wunsch, in Frankreich oder Deutschland zu spielen".
Slowenen-Bande in Rimpar
In Rimpar anzukommen, dabei halfen ihm und seiner Frau Julia zwei Landsleute: Janko Skrbic und Matjaz Krze, beide früher ebenfalls in Diensten der DJK. "Ich bin ihnen sehr dankbar, sie sind wirklich sehr nette Menschen." Doch die fremde Sprache – mittlerweile versteht und spricht Kovacic schon ganz gut Deutsch – und das fremde System machten ein Ankommen in der Mannschaft herausfordernd. Freundschaftliche Bande zu den Mitspielern aufzubauen, die über Handball hinausgehen, sei durch die Corona-Beschränkungen und fehlende Unternehmungen kaum möglich. Zunächst bekam der Slowene Zeit, dann musste er auch Kritik einstecken.
Anfang März verletzte sich Kreisläufer-Kollege Michael Schulz. Plötzlich war Kovacic gefragt. "Ich habe etwas gebraucht, um reinzukommen", weiß er selbst. "Es war ein wenig eine schwierige Zeit für uns alle, wir haben ein paar Spiele verloren."
Durchbruch am 26. Geburtstag
Dann kam der 3. April, sein 26. Geburtstag. Und das Heimspiel gegen den VfL Lübeck-Schwartau. Man könnte es Kovacics Durchbruch nennen. Er lieferte seine bislang beste Leistung im DJK-Trikot ab, räumte hinten auf und vorne mit vier Toren ab. "Wenn du hart arbeitest und an dich glaubst, kommt irgendwann die Zeit, wo sich das auszahlt", meint er. "Ich denke, die Zeit ist bei mir jetzt."
David Kovacic wirkt wie jemand, dem es heute wieder gut geht. "Das tut es", sagt er und lächelt. Nicht zuletzt deswegen, weil er und seine Frau Ende Mai zum ersten Mal Eltern werden. Das Mädchen soll in der Uniklinik in Würzburg zur Welt kommen. "Ich möchte meinem Kind mitgeben, was meine Mutter mir beigebracht hat", sinniert er über die emotionalen vergangenen Jahre. Jeden Tag, wenn er ihr Foto im Wohnzimmer anschaue, habe er das Gefühl, dass sie irgendwie immer noch da sei. "Manchmal denke ich: Vielleicht hat mir meine Mutter das Baby geschickt, damit ich wieder glücklich werde."