Die Sitzung dauerte bereits gut acht Stunden, nur durch eine nicht zu lange Mittagspause unterbrochen, als ein Vertreter des Schachverbands mit einer Rochade dafür sorgt, dass nicht wenige seiner schon etwas matt wirkenden Kollegen ein wenig aufstöhnen. Knapp ein Viertel der am Morgen 326 anwesenden Delegierten waren am späten Samstagnachmittag bereits gegangen, als es ums Eingemachte geht: eine Satzungsänderung, die nicht nur die Erhöhung der Mitgliedsbeiträge für die Vereine vorsieht, sondern auch eine Strukturreform, eine fundamentale Änderung im Kontrollwesen des größten Sportverbands in Bayern. Aufsichtsrat und Wirtschaftsrat sollen in einem neuen Kontrollgremium mit dem Präsidium verschmelzen.
Das Szenario im klimatisierten "Royal Ballroom" im Keller dieses großen Tagungshotels im Norden Münchens, in dem die Stimmung frostig ist: Der Schach-Funktionär stellt den Antrag, über das Paket der Änderungen geheim abzustimmen. Der Wahlleiter sagt: Das kann nicht einer beantragen, es braucht zehn Prozent der Anwesenden. Folge: Antrag auf Abstimmung per Stimmkarte, ob mindestens zehn Prozent des Plenums dafür sind, dass dann geheim abgestimmt wird. Sind sie. Ergebnis der geheimen Abstimmung: Die erforderliche 3/4-Mehrheit für die Satzungsänderung im Paket wird deutlich verfehlt. Es ist Samstag, und es geht auf halb sechs zu. Um 16 Uhr sollte die Veranstaltung beendet sein. Und die meisten sind seit Freitag in München. Alles Ehrenamtliche.
Ein überraschend deutliches Ergebnis
Es wird noch besser: Der Schachfunktionär beantragt, dass alle jetzt nötigen Einzelabstimmungen zur Satzungsänderung geheim erfolgen mögen. Die Zehn-Prozent-Nummer wiederholt sich . . .
Willkommen beim 24. Ordentlichen Verbandstag des Bayerischen Landes-Sportverbandes (BLSV).
Der hatte gut zwei Stunden zuvor Jörg Ammon (52) für fünf Jahre als Präsidenten wiedergewählt. Wobei auch bei dieser Wahl durchaus Bemerkenswertes geschah: Die Delegierten mussten auf einen weißen Wahlzettel nur den Namen des von ihnen favorisierten von zwei Kandidaten schreiben. Dennoch waren vier der 326 abgegebenen Stimmen ungültig. 202 bekam Ammon, 120 sein Herausforderer, Harald Güller (60), ein SPD-Landtagsabgeordneter.
Ein in dieser Deutlichkeit überraschendes Ergebnis. Zu Güllers Team, das antrat mit zwei Mottos - mehr Transparenz bei den Finanzen und entweder gemeinsam oder eben gar nicht - zählte auch Günther Jackl (51), gebürtiger Mechenrieder (Lkr. Haßberge) und noch Vorsitzender des BLSV-Kreises Haßfurt. Der Betriebsratsvorsitzende eines international tätigen Unternehmens hätte sich gerne als Vizepräsident Breitensport wählen lassen. Am Samstagnachmittag in München sagt er: "Nein, enttäuscht bin ich nicht. Es ist kein Ergebnis, für das wir uns schämen müssen. Ein Neuanfang im BLSV hätte es aber nur mit uns als Team gegeben."
Verbale Schlammschlacht um juristische Details
Das ist der Grund dafür, dass, nachdem Ammon wiedergewählt worden war, alle von ihm vorgeschlagenen Vizepräsidenten ohne Gegenkandidat gewählt wurden. Nicht per Akklamation per Stimmkarte, sondern geheim mit Zettel. Dazu zählten freilich nicht die drei ehemaligen Vizepräsidenten, die gegen Ammon Strafanzeige wegen angeblicher finanzieller Unregelmäßigkeiten gestellt hatten. Die Ermittlungen wurden von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Die drei wurden vom BLSV-Präsidium suspendiert.
Die verbale Schlammschlacht um juristische Details, interne Mails, ein Urteil des Verbandsschiedsgerichts und letztlich vor allem persönliche Eitelkeiten überwucherten den Vormittag und zogen das Treffen unnötig in die Länge. Ohne ein zielgerichtetes Ergebnis zu befördern.
Klaus Greier, der im März die Nachfolge des damals auch aufgrund von Zwist im unterfränkischen Verband nicht erneut antretenden Jackl als Bezirksvorsitzender angetreten hat, hat Ammon gewählt und sagt am Sonntag am Telefon, dass er mit "gemischten Gefühlen" München wieder verlassen habe. Der 58-Jährige aus Hollstadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) empfand "die Zeichen aus der Politik" und die Wiederwahl Ammons als "hervorragend". Sowohl Bayerns Ministerpräsident Markus Söder als auch Innen- und Sportminister Joachim Herrmann hatten in warmen Grußworten eine Erhöhung der Sportförderung versprochen. Am 8. Oktober ist Landtagswahl.
Der offenbar klamme Verband, der laut der angetretenen Opposition angeblich hochverschulet ist, hatte am Freitagabend vor der Wahl einen Festakt für die Delegierten in Schloss Schleißheim ausgegeben, bei dem natürlich noch um Stimmen geworben wurde. Mancher Delegierte meinte unter der Hand: "A Schäufala oder a Haxn oder a Schnitzel hätten's ja a' getan." Am Freitag in Oberschleißheim kam das Essen von "Feinkost Käfer". Vom Feinsten, sagten mehrere Genießende.
Ammons wichtigstes Ziel wird abgelehnt
Ach ja: Ammons wichtigstes Ziel bei diesem Verbandstag - die Strukturreform des BLSV – wurde in der geheimen Wahl dann abgelehnt. Laut Greier fehlten "leider" fünf Stimmen. Nun werde versucht, "eine Lösung" zu finden, möglicherweise schon für einen außerordentlichen Verbandstag im kommenden Jahr.
Es erscheint derzeit also fraglich, ob durch dieses Wochenende wieder Ruhe und Geschlossenheit einkehrt in den größten Sportverband Bayerns, der sich stets auf die Fahnen schreibt, doch vor allem für seine 11 .700 Vereine da zu sein und für seine 4.536.904 Mitglieder – so viele wie nie zuvor. Die Mitgliedsbeiträge (laut Greier im Schnitt rund vier Euro pro Mitglied pro Jahr) werden in zwei Stufen um jeweils zehn Prozent erhöht. Zumindest das beschlossen die Delegierten. In geheimer Wahl.