Familie und Fußball – in dieser Reihenfolge –, das sind die beiden Dinge, die Medina Desic am wichtigsten sind. Puppen und anderen Mädchenkram mochte die 26-Jährige noch nie. Stattdessen hat sie sich seit jeher für Bälle begeistert. Mit ihren Brüdern Zajo und Medin ging sie regelmäßig kicken, fand im Fußball ihre Leidenschaft und hat sie bis heute nicht verloren. „Ich weiß auch nicht, woher das kommt“, sagt die zierliche Angreiferin und lacht laut und ansteckend.
Desic hat eine unheimliche Präsenz. Nicht nur beim Interview-Termin in einem Würzburger Café, sondern auch auf dem Platz. Elf Treffer in 15 Spielen hat sie für den SC Würzburg in dieser Saison bereits erzielt, aktuell stehen sie und ihre Kameradinnen in der Regionalliga auf Rang zwei – vier Punkte hinter Tabellenführer Freiburg. Dass die Spielzeit für den Bayernliga-Aufsteiger so gut laufen würde, damit hätte keiner der Verantwortlichen gerechnet. Das Saisonziel war der Klassenerhalt. "Gegen Freiburg hatten wir in der Hinrunde eine unserer geilsten Partien, da haben wir gespielt wie die Großen und die mit 3:2 vom Platz gefegt", sagt Desic, und ihre dunklen Augen funkeln. Dass es für sie und ihre Mädels gerade so gut läuft in der Liga, gehört zu den schönsten Dingen, die sie bisher im Fußball erlebt hat.
Mit dem Großteil der Mannschaft spielt sie schon lange zusammen, mit einigen seit der Zeit, als der ETSV Würzburg, für den sie von 2013 bis 2018 auflief, in der zweiten Bundesliga kickte. 2018 übernahm der SC Würzburg die Frauen-Fußballabteilung der Adler sowie deren Spielrechte in der Bayern- und Bezirksoberliga. Für Medina Desic war das ein fließender Übergang. Ihr erstes Jahr in der Bayernliga krönten die selbst ernannten Würzburg Dragons mit der Meisterschaft und dem Aufstieg in die Regionalliga.
Im Würzburger Stadtteil Heuchelhof hat der nicht unumstrittene SC-Vorsitzende Heinz Reinders eine Umgebung geschaffen, in der der Frauen- und Mädchenfußball wachsen und gedeihen soll. Die Ambitionen sind groß, das zeigt sich unter anderem an der intensivierten Zusammenarbeit mit den Würzburger Kickers und dem klaren Ziel, mittelfristig in die Bundesliga aufzusteigen. Ab kommender Saison wird die Abteilung Mädchen- und Frauenfußball aus dem SC Würzburg ausgegliedert und findet ihr Zuhause im neu gegründeten Verein "FC Würzburger Kickers Mädchen- und Frauenfußball". Dass der Hauptsponsor der Rothosen die Flyeralarm-Frauen-Bundesliga als Namensgeber sponsert, dürfte kein Zufall sein.
„Ich halte einen Aufstieg für sehr realistisch. Wir stehen nicht aus Glück auf Rang zwei, wir haben uns den erarbeitet“, sagt Desic, der allerdings auch klar ist, dass es „viel Schweiß und Arbeit“ kosten wird, den Tabellenführer aus dem Breisgau vom Podest zu holen. Da kommt es gerade recht, dass sich die resolute Angreiferin „so fit fühlt wie nie zuvor“. Eine Tatsache, die sie Trainer Gernot Haubenthal zu verdanken hat. Er hat den Ehrgeiz in ihr geweckt, ihr immer wieder gesagt, dass mehr in ihr stecke als das, was sie zeige. Sie herauszufordern, war offenbar der richtige Weg.
Wenn sie nicht mit der Mannschaft trainiert, geht Medina Desic, die bei einem Kitzinger Unternehmen als Projektleiterin arbeitet, ins Fitnessstudio oder zum Joggen. Die wenige freie Zeit, die ihr bleibt, verbringt sie am liebsten mit der Familie. Seitdem ihre Schwester 2004 mit gerade einmal 24 Jahren bei einem tragischen Autounfall ums Leben kam, ist die Familie noch enger zusammen gerückt, unterstützt sich gegenseitig, wo es nur geht. Medinas Brüder Medin (21) und Zajo (36) waren als Fußballer selbst höherklassig aktiv und stehen heute noch in Urspringen/Karbach (Kreisklasse) beziehungsweise Schollbrunn (Kreisklasse) auf dem Platz. Auf die Schwester, die kürzlich für die montenegrinische Nationalmannschaft ihr Debüt in einem Testspiel gegen Bosnien gab, sind sie genau so stolz wie Mama und Papa ("er ist mein größter Fan").
Das beflügelt Desic: "Ich hab' das Gefühl, jetzt geht es erst richtig los mit meiner Karriere. Dass ich mal so dastehe, hätte ich vor einigen Jahren nicht gedacht." Dass es einige Zeit dauerte, bis man im Verband aus dem Geburtsland ihrer Eltern auf sie aufmerksam wurde, lag an fehlerhaften Einträgen auf diversen Spielerportalen. Dort war ihre Nationalität als deutsch angegeben, obwohl Medina Desic, die in Deutschland geboren wurde und in Erlenbach am Main aufwuchs, von Beginn an einen montenegrinischen Pass hatte. Über die Plattform Instagram nahm sie Kontakt zur Spielführerin der Nationalmannschaft auf und wies sie auf diesen Umstand hin – so kam es über Umwege zur Einladung zu Sichtungstraining und Testspiel. "Ich durfte von Beginn an spielen, eine Halbzeit lang. Das war ein Riesenerlebnis, quasi die Kirsche auf der Sahnetorte", schwärmt Medina Desic. Ob sie für das EM-Qualifkationsspiel am 5. März gegen Irland wieder auflaufen darf, weiß sie noch nicht. Sie wartet sehnsüchtig auf einen Anruf des Trainers.
Sollte der kommen, wird die ambitionierte Fußballerin jedenfalls gut vorbereitet sein. Ende Februar geht es mit dem SC Würzburg ins Trainingslager ins katalonische Cambrils, ein Preis, den die Mannschaft im vergangenen Jahr beim Erdinger-Meister-Cup gewonnen hat. Dass die Frauen genauso viel, wenn nicht mehr als manch unterklassige Männnermannschaft trainieren, dafür aber kaum Anerkennung und schon gar kein Geld bekommen, wurmt Desic sehr: "Wir reißen uns den Arsch auf und bekommen dafür nichts. Das finde ich nicht richtig."Kurz hält sie inne, überlegt, dann schiebt sie mit Blick auf die Zukunft und die Kooperation mit dem FC Würzburger Kickers nach: "Wenn Felix Magath (Chef von „Flyeralarm Global Soccer“, Anm. d. Red.) sich mal ein Bild machen will, wie Frauenfußball wirklich aussieht, darf er gerne mal vorbeikommen."