Eigentlich will er doch einfach nur Spiele pfeifen, antwortet Marino Zimmermann auf die Frage nach seinen Beweggründen. Dass der 14-Jährige aus Großlangheim (Lkr. Kitzingen) Bayerns jüngster Handballschiedsrichter ist, spielt für ihn keine große Rolle. Mit dem gesunden Selbstbewusstsein eines Teenagers gibt er dann aber doch zu: Er habe sich als Spieler beim TV Dettelbach schon oft über Schiedsrichterentscheidungen geärgert und wollte beweisen, dass er das besser kann.
Der Medienrummel um seine Person ist dem Neuntklässler unangenehm. Erst kürzlich wurde er von einem Kamerateam des Bayerischen Rundfunks auf sein erstes offizielles Match als Spielleiter begleitet. Einige Ausschnitte spielte der Fernsehsender in einem kurzen Videoclip über TikTok aus. Der Clip sei in kürzester Zeit in allen Chatgruppen gelandet, sagt Marino. Das nervt ihn etwas.
Die meisten Schiedsrichter bleiben nicht dauerhaft dabei
Ebenso wie im Fußball herrscht auch im Handball ein Mangel an Schiedsrichtern. Denn oftmals gehen die Referees auch selbst ihrer Sportart nach. Neben den eigenen Spielen beansprucht das Pfeifen viel Zeit. Meist an den Wochenenden. Hinzu kommen Pöbeleien und mitunter auch körperliche Gewalt gegen die Unparteiischen.
Durchschnittlich sind Schiedsrichter im Handball nach Beendigung der Ausbildung etwa 18 bis 20 Jahre alt, erklärt Katharina Gotz vom Bayerischen Handball-Verband (BHV). Die große Mehrheit bleibe nicht dauerhaft dabei.
Viele möchten laut Gotz lieber selbst spielen und die Doppelbelastung vermeiden. Oftmals wird auch fehlende Unterstützung und Förderung als Grund angegeben sowie fehlende Wertschätzung und mangelnder Respekt. Auch der Start ins Studium oder Berufsleben spielen eine Rolle. Nur rund 20 Prozent der jährlich ausgebildeten Schiedsrichter bleiben langfristig dabei, sagt Gotz.
Hohe Abbrecherquote soll durch Gegenmaßnahmen abgefedert werden
Um die hohe Abbrecherquote abzufedern, initiiert der BHV Projekte zur Förderung unmittelbar nach der Ausbildung, die bei Gelingen auf den gesamten Freistaat ausgeweitet werden sollen. Etwa die Bereitstellung eines Schiedsrichterbetreuers, wie ihn auch Marino hat. Der begleitet ihn zu Spielen, analysiert gemeinsam mit dem Jungen seine Leistung und kann ihm während des Spiels schlicht Sicherheit bieten.
Außerdem pfeift Marino im ersten Jahr nur Spiele von gleichaltrigen oder den Klassen darunter – obwohl er bereits die Spiele der Herren leiten dürfte. So soll der Nachwuchs sich langsam eingewöhnen. Auch, wenn der Teenager bereits jetzt gerne höherklassige Spiele leiten würde.
Sorgen, dem Druck nicht standhalten zu können, hat er dabei keine. Bei den Spielen die er bisher gepfiffen hat, habe es auch Zwischenrufe von Zuschauern gegeben: "Ich blende das dann einfach aus und konzentriere mich auf das, was ich pfeife", sagt er unbeeindruckt.
Marino steht noch am Anfang, sein Betreuer ist zuversichtlich
Dass es im Spielgeschehen verbal etwas hitziger zugehen kann, das weiß der Nachwuchs-Schiri: "Marino meckert als Spieler selbst unheimlich gerne gegen den Schiedsrichter", sagt seine Mutter Alexandra. Sie hatte gehofft, dass sich das ändert, sobald er selbst einmal auf der anderen Seite steht. Bisher bleibe der Effekt aus.
Und dennoch stelle sie fest, dass das Amt – mit aller Organisation und dem Kommunizieren mit Erwachsenen und den Spielern – die Persönlichkeitsentwicklung fördert. Bei beiden Kindern, denn auch Marinos ältere Schwester ist Schiedsrichterin.
Und auch Klaus Olszowi, der Schiedsrichterbetreuer von Marino, bestätigt die Abgebrühtheit seines Zöglings: "Er war total unbeeindruckt bei seinem ersten Spiel. Für einen 14-Jährigen: wirklich, Respekt!" Um als Schiedsrichter langfristig zu bestehen, brauche es ein hohes Maß an Selbstbewusstsein, aber auch an Mut, denn: "Man ist als Schiedsrichter nicht immer der beliebteste Mann auf dem Feld. Man muss sich trauen, auch mal unpopuläre Entscheidungen zu treffen", sagt Olszowi.
Er selbst war bisher der einzige Schiedsrichter beim TV Dettelbach. Wenn er die Möglichkeit hat, Unterstützung zu bekommen, versuche er auch daran festzuhalten. Denn seit der aktuellen Saison droht in Bayern denjenigen Mannschaften Punktabzug, deren Verein zu wenige Spiele mit Schiedsrichtern besetzt. Bislang sanktionierte der Verband das nur mit Geldstrafen. Marino sei für den Verein ein echter Glücksfall. Sorgen um seine Standhaftigkeit macht sich Olzowsi nicht. Das nötige Rüstzeug bringe der 14-Jährige definitiv mit auf die Platte, betont der Betreuer.