
Doppelwumms. Der Bass dreht den Magen auf links. Sonntagnachmittag, Fußballplatz, Kabine – trotz verschlossener Tür, hinter der sich Spielerinnen oder Spieler gerade einstimmen auf das Spiel. In zehn Minuten ist Anpfiff. Nur: Wirkt sich Musik wirklich unmittelbar auf die Stimmung von Menschen aus? Auf Sportlerinnen und Sportler? Messbar? "Ja." "Vielleicht." "Nein." Reinhard Kopiez, Professor für Musik-Psychologie an der Universität für Musik, Theater und Medien in Hannover, hat kurze Antworten auf die drei Fragen.

Und würde gerne weiter ausholen, um die wissenschaftlich zu begründen. Doch "es fehlen die entsprechenden Studien". Aber er lässt den Kickenden von der Regionalliga bis zur B-Klasse ihre Hoffnung: "Ich sage zwar, dass es keinen Effekt hat, aber es wird halt so sein wie mit dem Weihwasser aus Lourdes – man muss dran glauben." Und weil er blumige Vergleiche mag, hat er noch einen in petto: "Es ist mit dieser Kabinen-Musik wie mit Kaffee. Eine Leistungssteigerung ist nicht erwiesen, aber er verhindert einen Leistungsabfall." Soll wohl heißen: Erlaubtes Doping mit zumindest keinem nachteiligen Effekt.
Man müsse, sagt der 63-Jährige, der auch mal drei Jahre in Würzburg gelebt und dort an der Hochschule für Musik doziert hat, die einzelnen Bereiche der sportlichen Betätigung unterscheiden. Eine leichte Leistungssteigerung bei konditionellen Aufgaben (Schnelligkeit, Kraft) gebe es, jedoch eine Leistungsminderung bei komplexen, zum Beispiel koordinativen Aufgaben.
Rock oder Metal, Rap oder Soul – oder doch die klassische Stimmungsmusik?
Das hat er gelesen in der bislang einzigen wissenschaftlichen Studie zum Einfluss der Musik auf Spielverläufe, verfasst vor gut 20 Jahren von Sportwissenschaftler Bernd Strauß. Der untersuchte allerdings die sogenannte Fan-Akustik – also typische Fan-Gesänge – während eines Spiels. Das Buch trägt den hübschen Titel "Wenn Fans ihre Mannschaft zur Niederlage klatschen" und es dreht sich um American Football. "Ist vielleicht überraschend, aber bei einem anspruchsvollen Freistoß wäre Ruhe für die eigene Mannschaft förderlich, für den Gegner schädlich", so Kopiez.

Auf den Kabinen-DJ und seine Musik-Auswahl ließe sich das wissenschaftlich fundiert kaum herunterbrechen. Welche Musik pusht, welche möglicherweise irritiert, ist nicht dokumentiert. Aber, so Kopiez: "Ich würde vermuten, dass Musik aus dem Bereich 'Intense and Rebellious', also Rock oder Metal, beziehungsweise 'Energetic and Rhythmic', zum Beispiel Rap oder Soul, am ehesten die Forderung nach Anregung erfüllen." Um sich gegenseitig anzufeuern, gehe freilich nichts über klassische Stimmungslieder oder Songs aus dem gängigen Stadionrepertoire.
Musikhören vergleichbar mit dem Bauch-Kuscheln der Fledermäuse
Vor dem Spiel müsste die Songauswahl, sagt der Musik-Psychologe, textliche Möglichkeiten zur Identifikation bieten. Ob für die Fans auf den Rängen oder die Spieler in den Kabinen – die meisten Profiklubs haben dafür eigens Lieder in Auftrag gegeben. Nicht selten ist das Material musikalisch ziemlich eindimensional und traditionell, gelegentlich in Marsch-Strukturen und damit beinahe schon altbacken. Eigentlich am normalen Musikgeschmack der Spieler weit vorbei; aber wenn's Lokalkolorit hat, schafft es Identifikation – beinahe wie zu später Stund' auf einem Weinfest.

"Stimmungsregulation ist die wichtigste Funktion des Musikhörens", sagt Kopiez, selbst ausgebildeter Gitarrist. Dabei solle "unangenehme Stimmung vermieden und angenehme möglichst lange aufrechterhalten werden. Der Mensch strebt immer mach positiver Valenz einer Situation." Man könne die musikalische Einstimmung auf ein Sportereignis – noch ein typischer Kopiez – durchaus vergleichen mit dem Bauch-Kuscheln der Fledermäuse – nur, dass die Tierchen dies stundenlang zelebrieren würden.
Stimmungsregulation. So lässt sich wohl auch am besten beschreiben, was beim ETSV Würzburg, aktuell Tabellenführer in der Kreisliga Würzburg 1 vor der Partie läuft. "Nach dem Aufwärmen hören wir immer "Lose Yourself" von Eminem", berichtet Kabinen-DJ Stefan Pfautsch. "Look, If you had one shot, or one opportunity, to seize everything you ever wanted, in one moment, would you capture it, or just let it slip?" heißt es dort in den ersten Zeilen. Frei und verkürzt übersetzt, könnte man sagen: Seid ihr bereit, die eine Chance zu nutzen? Danach beginnt der aggressive Hip-Hop-Beat, der bei vielen Spielern die Stimmung heben soll. Tatsächlich läuft der Klassiker "Lose Yourself", veröffentlicht im Jahr 2002, in vielen Kabinen, nicht nur im Fußball direkt vor dem Spiel.
Was bei den Eisenbahnern nach der Ansprache passiert, dürfte dafür ein klares Alleinstellungsmerkmal sein. "Wir werden siegen", das Titellied der Anime-Serie Digimon, die in den frühen 2000ern sehr erfolgreich war, läuft, bevor die Adler aufs Feld stürmen. Aber auch da zeigt der Titel recht offensichtlich, welche Intention die Würzburger verfolgen.
Beim Regionalligisten TSV Aubstadt ist Torhüter Lukas Wenzel für die Musikauswahl zuständig. "Wir haben einen sehr jungen Altersdurchschnitt im Team und hören deshalb viel Deutschrap wie Luciano", sagt der 23-jährige Elfmeterheld aus dem Pokal-Halbfinale gegen 1860 München. Und wenn sie in Aubstadt dann mal solche Erfolge feiern, dann dürfe natürlich die Party-Musik, die aus den Après-Ski Hütten und von Mallorca nach Deutschland schwappt, nicht fehlen. Auch auf den Heimfahrten im Reisebus würden die mitgebrachten Punkte häufig so gefeiert.

Beim Landesligisten DJK Schwebenried/Schwemmelsbach haben sie sogar eine Lichtanlage mit Nebelmaschine und fest installierte Boxen. "Nach Niederlagen läuft da häufig nichts", berichtet der spielende Co-Trainer Felix Zöller. Dafür "Feiern" von Sven Väth direkt nach dem Spiel und davor pushen sich die Schwebenried/Schwemmelsbacher immer mit "Thunderstruck" von AC/DC. Ein Song, der nicht nur in einigen Bundesliga-Stadien vor den Partien läuft, sondern den Professor Kopiez sicher auch bei einer möglichen Studie in Zukunft laufen lassen würde.
Demografische Veränderungen, Klimawandel, Energiekrise, Corona, Digitalisierung oder neues Freizeitverhalten der Menschen: Die gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen in einer digitalisierten Welt betreffen auch den Fußball. Die Veränderungen beleuchtet diese Redaktion in der Serie „Fußball im Wandel“, die in loser Folge erscheint. Alle bislang veröffentlichten Beiträge finden Sie unter: www.mainpost.de/dossier/fussball-im-wandel/