Auch die zweite Saisonniederlage konnte die Meisterfeier der Würzburger Kickers nicht verhindern. Als Trainer Marco Wildersinn seinem Team nach dem 0:1 beim 1. FC Nürnberg die Erlaubnis zum Feiern erteilt, ja sogar die Anweisung gegeben hatte, "richtig durchzudrehen", war klar, dass die Kickers das Erreichen dieses Zwischenziels nicht einfach so abhacken würden.
Dass nicht zuletzt der aus Schweinfurt stammende Club-Torhüter Jan Reichert mit seinen Paraden den Kickers an diesem Samstag einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte – geschenkt! "Es war nicht die Leistung, die wir uns vorgestellt haben. Aber das ist diesmal zweitrangig", fand Wildersinn. "Wir stehen nach 31 Spielen uneinholbar an der Spitze. Wenn uns das jemand vor Saisonbeginn angeboten hätte, hätten wir sofort eingeschlagen."
Als "Chef der Regionalliga" hatten die Kickers-Fans sich und das Team in den letzten beiden Spielzeiten besungen. Am Samstag prangte dieser Slogan auf den Meister-T-Shirts. Die Kickers haben Ernst gemacht. Das sind die Gründe, warum die Rothosen die Regionalliga Bayern in dieser Saison dominieren:
1. Der Kader
Die Grundlage für diese Meisterschaft wurde gelegt, als die Kickers im Frühjahr 2022 noch einen aussichtslosen Kampf um den Klassenerhalt in der 3. Liga führten. Schon da hatte für Sportdirektor Sebastian Neumann, damals unterstützt vom inzwischen für den österreichischen Klub SCR Altach tätigen Scout Marc-André Kriegel, die Arbeit an der Mission Wiederaufstieg begonnen. Das neue Team sollte mit erfrischendem Fußball die vergraulten Fans zurückgewinnen und spätestens im zweiten Jahr reif für den Aufstieg sein.
Dass die Geschichte vom Zwei-Jahres-Plan nicht bloß Legende ist, zeigt auch die Vertragsgestaltung. Die meisten Kontrakte laufen nämlich nach dieser Saison aus. Der Aufstieg wäre eine Punktlandung. "Spieler, die zwischen vierter und dritter Liga stehen", so bezeichnete Neumann die Gruppe an Kandidaten. Kicker also, die den Ehrgeiz haben, in Würzburg und mit den Kickers den Sprung auf die nationale Profifußball-Bühne in der 3. Liga zu schaffen.
Auf dem Papier steht ein mit 20 Feldspielern kleiner Kader, der aber dank der Vielseitigkeit der Akteure viele Möglichkeiten bietet. In dieser Rückrunde war der Spieltagskader aufgrund mancher Verletzung einige Male nicht einmal komplett gefüllt, trotzdem hatte Trainer Wildersinn immer auf der ein oder anderen Position die Qual der Wahl, herrschte er gesunder Konkurrenzkampf. Das lag auch daran, dass der Kader gut ergänzt wurde. Es gingen Akteure, die reine Ersatzspieler waren, und es kamen potenzielle Stammkräfte. Bestes Beispiel: Der Ex-Schweinfurter Tim Kraus, bei dem in dieser Rückrunde nicht die Frage ist, ob, sondern auf welcher Position er zum Einsatz kommt.
2. Der Trainer
Von allen Personalien war diese 2022 die wichtigste: Bei den Kickers war man schnell überzeugt, dass Marco Wildersinn, der bei der TSG Hoffenheim II über lange Zeit gezeigt hatte, dass er ambitionierte Spieler besser machen kann, der Richtige ist. Dass er einen Verein als Cheftrainer zum Erfolg führen kann, musste Wildersinn aber erst noch beweisen und möglicherweise auch ein bisschen lernen.
Der 43-Jährige hat mit der Meisterschaft in dieser Saison gezeigt, dass genau das eine große Stärke von ihm ist. Er hat das Puzzle aus den vielen Einzelteilen zusammengesetzt, hat ein Team geformt, dass in dieser Saison fast in jeder schwierigen Situation eine passende Antwort hatte. Auch, weil er aus der vergangenen Spielzeit, in der es trotz 103 geschossenen Toren nur zu Platz zwei hinter der SpVgg Unterhaching gereicht hatte, die Lehren gezogen hat.
Wildersinn, der die Gabe besitzt, vermeintlich schwierige Taktik-Kniffe für jedermann leicht und verständlich zu erklären, hat den Stil der Kickers bewusst verändert: weniger Spektakel, mehr Stabilität. Gerade Vorjahres-Meister Unterhaching galt den Kickers dabei als Vorbild. Die Ruhe und Gelassenheit, die Wildersinn dabei ausstrahlte, tat ein übriges dazu, dass der Klub nach dem krachenden Absturz in die Regionalliga in die Erfolgsspur zurückkehren konnte.
3. Die Mentalität
Es hat sich etwas entwickelt in dieser Mannschaft. Wie groß der Ehrgeiz ist, das war auch nach der eingetüteten Meisterschaft zu spüren. Da war einem Großteil der Spieler im ersten Moment überhaupt nicht zum Feiern zumute. Stattdessen herrschte purer Frust über die zweite Niederlage gegen ein U-23-Team nach dem 1:3 in Fürth binnen anderthalb Wochen. Erst so langsam sickerte die Freude über die feststehende Meisterschaft in die Gedanken.
Überhaupt scheint dieses Team noch viel besser mit Rückschlägen klarzukommen als noch vor einem Jahr, als die Aufstiegschancen innerhalb weniger Wochen nach der Winterpause wie Sand durch die Finger gerieselt waren. Das Team lässt sich von äußeren Störfaktoren kaum beeindrucken. Selbst die unklare Vertragssituation nach Saisonende hat sich bislang nicht spürbar auf die Leistungen ausgewirkt. Vieles steht hinter dem großen, gemeinsamen Ziel zurück.
Auch das ist ein Grund, warum Routinier Daniel Hägele am Samstag, nachdem er erstmals seit der Winterpause in der Startelf gestanden hatte, der Niederlage gegen die Nürnberger U23 nicht zu viel Bedeutung beimessen wollte: "Ich bin mir sicher, dass wir es in den Aufstiegsspielen viel, viel besser machen als heute."