Der 14. August 1994 war ein wolkiger und etwas kühler Sommertag. Und gleichzeitig der Tag einer der größten Überraschungen im deutschen Fußball, die sich an diesem Mittwoch zum 30. Mal jährt.
An besagtem Sonntagabend im Jahr 1994 bezwang der TSV Vestenbergsgreuth, ein in der Regionalliga spielender Verein aus einer 350-Seelen-Gemeinde im mittelfränkischen Landkreis Erlangen-Höchstadt, in der ersten DFB-Pokal-Runde den damaligen deutschen Meister FC Bayern München mit 1:0 und verdarb dem neuen Bayern-Trainer Giovanni Trapattoni seinen Pflichtspieleinstand in Deutschland gewaltig.
Mittendrin in der denkwürdigen Partie im Nürnberger Stadion: der Würzburger Ralf Scherbaum, der das Tor des TSV Vestenbergsgreuth hütete und nicht unerheblichen Anteil daran hatte, dass Lothar Matthäus, Jean-Pierre Papin oder Mehmet Scholl an diesem Abend keinen einzigen Treffer erzielten. Wobei der damals 21-jährige TSV-Keeper, der vor der Saison vom FC 05 Schweinfurt gekommen war, eigentlich gar nicht hätte spielen sollen und nur als Nummer zwei hinter Günther Reichold eingeplant war.
Langeweile bei der Taktikbesprechnung
"Wir waren schon fast den ganzen Tag zusammen", erinnert sich Scherbaum an den Sommertag im Jahr 1994. Vestenbergsgreuths Trainer Paul Hesselbach habe in der Mannschaftsbesprechung fast eine Stunde lang geredet. "Mir war fast ein bisschen langweilig, weil ich dachte: Ich spiele ja eh nicht", berichtet Scherbaum.
Dann aber sei Reichold beim letzten Schuss beim Warmmachen im Stadion im Rasen hängengeblieben und habe sich den Finger ausgekugelt. "Erst habe ich gedacht: Der wird schon wieder. Doch dann hat mich Paul Hesselbach hergerufen und gesagt, dass ich spiele. Und plötzlich stehst du mit den ganzen Bayern-Stars beim Einlaufen im Kabinengang", berichtet Scherbaum, dass alles so schnell gegangen sei, dass er keine Zeit gehabt habe, um irgendwie nervös zu sein.
Das goldene Tor durch Roland Stein
Dann folgten 90 Minuten leidenschaftliches Vestenbergsgreuther Verteidigen und nur wenige zwingende Offensivaktionen der Bayern. Und das Kopfballtor von TSV-Spieler Roland Stein aus der 44. Spielminute vorbei an Bayern-Keeper Oliver Kahn zum 1:0. Es sollte der einzige Treffer der Partie bleiben, auch weil Scherbaum mehrmals stark hielt und Vestenbergsgreuths Verteidiger Bernd Lunz kurz vor Schluss an den Pfosten klärte.
Danach fast ungläubiger Jubel beim Überraschungssieger, schlechte Laune bei den Bayern. Einen Trikottausch gab es nach dem Abpfiff nicht, was nach Scherbaums Worten an den Bayern-Spielern lag: "Die waren ja sofort weg."
Der schnelle Abgang der Gegner hatte aber für Scherbaum auch einen Vorteil: Er besitzt sein blau-schwarzes Torwarttrikot, mit dem er am 14. August 1994 deutsche Fußballgeschichte geschrieben hat, bis heute. Und noch weitere Erinnerungsstücke: etwa den "1:0 Tee", den eine in Vestenbergsgreuth ansässige und die TSV-Fußballer fördernde Teefabrik anschließend auf den Markt brachte.
Große Feierlichkeiten waren angesichts der Unerwartbarkeit des Sieges nicht vorbereitet gewesen. Die Mannschaft, in der neben Scherbaum mit dem Stammheimer Reiner Wirsching noch ein weiterer Unterfranken stand, ging anschließend in Nürnberg etwas essen, eine ausgelassene Party gab es nicht. "Am nächsten Tag musste ich ja wieder auf der Arbeit", erinnert sich Scherbaum, der bis heute als Betriebselektriker tätig ist und mit seiner Familie in Kist lebt.
Dass es keine Treffen der Mannschaft von 1994 gibt, bedauert Scherbaum etwas. Einige aus dem Team haben es in den Profifußball geschafft – etwa ein Harry Koch, der 1998 mit dem 1. FC Kaiserslautern deutscher Meister wurde, oder Frank Schmidt, der Bundesliga-Trainer beim 1. FC Heidenheim ist. Doch die meisten Mitglieder des Teams blieben im ambitionierten Amateurfußball zuhause.
Für Scherbaum sollte der 14. August 1994 der Höhepunkt seiner zwei Jahre in Vestenbergsgreuth bleiben, anschließend spielte er hinter Reichold wieder die zweite Geige. "Ich bin in den zwei Jahren 70.000 Kilometer gefahren, viermal die Woche nach der Arbeit zum Training, aber habe wenig gespielt. Ich wollte einfach wieder im Tor stehen", begründet er, warum er nach zwei Jahren zurück nach Schweinfurt ging.
Zweitliga-Aufstieg mit dem FC 05
Dort schaffte er im Jahr 2001 den Aufstieg in die 2. Bundesliga und spielte noch ein Jahr im Unterhaus. Als nächste Station folgte dann der Würzburger FV, zu dem er nach dreijähriger Tätigkeit im Nachwuchs des FC Würzburger Kickers in dieser Saison als Torwarttrainer zurückgekehrt ist.
"Wenn ich die drei Highlights meiner Karriere nennen sollte, dann wären das das Sieg über die Bayern, der Zweitliga-Aufstieg mit Schweinfurt und das DFB-Pokal-Spiel mit dem WFV gegen Wolfsburg", sagt Scherbaum, der als Jugendfußballer im Würzburger Stadtteil Grombühl gemeinsam mit dem späteren Nationalspieler Frank Baumann gespielt hat.
Für den heute 51-jährigen Scherbaum ist der Fußball nun eine schöne Nebensache, aber eben nicht mehr so wichtig wie früher. "Da passt der Job als Torwarttrainer ganz gut. Da kannst du unterstützen, musst aber nicht überall dabei sein", sagt er über seine gegenwärtige Funktion beim Bayernligisten WFV.
Heute spielte Vestenbergsgreuth Kreisklasse
Sein damaliger Verein, der TSV Vestenbergsgreuth, spielt heute übrigens in der Kreisklasse Erlangen-Pegnitzgrund 2. Das Team aus den 90er Jahren wurde 1996 mit der SpVgg Fürth zur SpVgg Greuther Fürth fusioniert, weil Vestenbergsgreuths damaliger Präsident, Helmut Hack, für den Dorfklub in der zu dieser Zeit drittklassigen Regionalliga keine Weitentwicklungsmöglichkeit sah. So sind vom TSV Vestenbergsgreuth noch zwei Dinge im großen Fußball übriggeblieben: der Namenszusatz "Greuther" beim jetzigen Zweitligisten in Fürth und die Erinnerungen an die Pokal-Sensation vom 14. August 1994.
In einer ursprünglichen Version des Artikels war zu lesen, dass neben Ralf Scherbaum mit Reiner Wirsching und Thomas Latteier zwei weitere Unterfranken im Vestenbergsgreuther Team standen. Dies ist allerdings nicht korrekt, da Thomas Latteier aus dem mittelfränkischen Scheinfeld stammt und in verschiedenen unterfränkischen Vereinen im Raum Kitzingen lediglich als Trainer tätig war.