
Mit 30 schon mit dem Kicken aufhören müssen? Für Manuel Kleinhenz sieht es ganz danach aus. Der Bezirksliga-Fußballer des FC Strahlungen hatte kurz hintereinander zwei Kreuzbandrisse. Und fürchtet sich davor, "bald mal ein künstliches Knie zu haben". Passiert sind beide Verletzungen auf Kunstrasen, jeweils mit Körperkontakt. Zufall?
"Auf Kunstrasen ist der Stand fester, da gibt nichts nach, wenn ein Körper voll auf dich drauf fliegt", sagt Kleinhenz. "Auf Rasen wäre ich vielleicht weggerutscht oder ein bisschen eingesunken. Eventuell wäre nichts gerissen."
Eventuell. Ob ein Kunstrasenplatz nämlich zweifellos gefährlicher als ein Naturrasen sei, mag Sportwissenschaftler Achim Kaufmann, der selbst Spieler war und Trainer ist, nicht unterschreiben. Typische Kunstrasen-Verletzungen gebe es kaum, eher Überlastungssymptome.
Im Oktober 2022 riss Kleinhenz' rechtes Kreuzband im Kreisliga-Rhön-Spiel gegen den FC WMP Lauertal. Es folgte zunächst eine Meniskus-OP, am 23. Dezember, einen Tag vor Heiligabend, dann die Bänder-Operation. "In der Klinik wurde mir dazu geraten, das aufzuteilen wegen der besseren Heilung." 2023 spielte der 30-Jährige gar nicht.
Schon im März 2024 im Bezirksliga-Spiel gegen Schwarzach der Schock: diesmal das linke Kreuzband. "Ich werde wohl wieder erst den Meniskus machen lassen." Und "zu 90 Prozent" aufhören mit Fußball. "Auch wenn es noch so geil ist."

Sportwissenschaftler Achim Kaufmann, der selbst für den FC Gerolzhofen und FC Haßfurt gespielt hat und Co-Trainer beim Bezirksligisten FC Sand ist, mag trotz der Erfahrung von Kleinhenz nur bedingt von klassischen Kunstrasen-Verletzungen sprechen. Es gebe zwar abrasive Verletzungen wie Hautrisse, Abschürfungen oder Verbrennungen. Relevanter sei, weil "auf Kunstrasen das Spiel schneller, die Kraftübertragung eine andere und das Abfedern härter ist", die höhere Be- oder gar Überlastung. Die in ein Schienbeinkanten-Syndrom oder Patellasehnen-Syndrom münden könne.
Ausfälle nach Kunstrasen-Training in der Winterpause
"In Sand haben wir den Winter durchtrainiert auf Kunstrasen und hatten fünf, sechs Spieler, die danach ausgefallen sind", sagt der 38-jährige Bachelor-Absolvent der Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement. Beim Schienbeinkanten-Syndrom führt die Überlastung der Unterschenkelmuskulatur am Schienbein entlang zu Brennen und Druckschmerz. Mit einer Kombi aus Schonen und Kühlen, bei einsetzender Besserung zudem Physiotherapie, dauert die Heilung drei, vier Wochen. Schlimmstenfalls, bei hohem Entzündungsgrad, bis zu neun Monate.
Im Auftrag der Uefa führte der Sportmediziner Jan Ekstrand bereits vor einigen Jahren eine Studie zu Kunstrasenplätzen durch, wertete 2000 Spiele in Skandinavien, den Niederlanden und der Schweiz aus. Sein Ergebnis bestätigt Kaufmanns Beobachtungen. Die Verletzungsgefahr bleibt annähernd gleich, Unterschiede gibt es in der Art der Verletzung: auf Kunstrasen demzufolge mehr Blessuren an Bändern und Sehnen, weniger an der Muskulatur.

Bereits 2015 kam auch der Biomechaniker und Orthopäde Wolfgang Potthast von der Deutschen Sporthochschule Köln in einer Expertise zur damals auf Kunstrasen geplanten Frauen-WM zum Schluss: Dass der natürliche Boden bei Druck nachgebe, reduziere die Belastung für Fuß und Sprunggelenk. Im Umkehrschluss würden die unteren Extremitäten beim Spiel oder Training auf Kunstrasen stärker belastet. Eine Achillessehne beispielsweise, so Kaufmann, der in Gerolzhofen eine sporttherapeutische Einrichtung betreibt, reiße nicht einfach so. "Es liegt in der Regel eine Vorschädigung vor." Sie reiße auf Kunstrasen mitunter schneller wegen des stumpfen Untergrunds und des abrupteren Abstoppens.
Ganzjährige Nutzung trotz Gewöhnungseffekt heikel
Auch wenn ein Fußballer Probleme mit den Menisken hat, sei die Pufferfunktion dienlich, die Naturrasen normalerweise liefert. Kaufmann betont aber: "Es gibt eine ganze Reihe an Verletzungen, die auf einem Kunstrasen weniger bis gar nicht auftreten." Sprunggelenks- und Bandverletzungen seien auf oft nicht sonderlich ebenen Amateur-Rasenplätzen häufiger: "Da knickt ein Knöchel leichter um."
Kaufmann bezeichnet sich weder als Fan noch Gegner von Kunstrasenplätzen, wägt Vor- und Nachteile ab. "Fußballerisch liefert das einen Wettbewerbsvorteil, weil eine Mannschaft, die einmalig auf Kunstrasen spielt und technisch sowie individuell nicht sehr stark ist, schlechter zurechtkommt." Gesundheitlich sei es indes problematisch. "Eine ganzjährige Nutzung finde ich, obwohl eine gewisse Gewöhnung eintritt, heikel." Bei einmaliger Nutzung durch eine Gastmannschaft sei "das Verletzungsrisiko nicht signifikant höher".