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Sport und Gesundheit
Körperbau, Bindegewebe und Zyklus: Warum bei Frauen das Kreuzband erheblich schneller reißt als bei Männern
Fußballerin Jule Betz ist 19 Jahre und hat das Knie einer Siebzigjährigen. Sagt Sportwissenschaftler Achim Kaufmann – und, warum Frauen in den Muskelaufbau investieren sollten.
Kniestabilisierung ist bei Frauen noch elementarer: Fußballerin Jule Betz (FC 05 Schweinfurt) und Sporttherapeut Achim Kaufmann.
Foto: Michi Bauer | Kniestabilisierung ist bei Frauen noch elementarer: Fußballerin Jule Betz (FC 05 Schweinfurt) und Sporttherapeut Achim Kaufmann.
Michi Bauer
 |  aktualisiert: 15.07.2024 12:27 Uhr

Jule Betz könnte heute vielleicht in der Zweiten Liga spielen. Den Sprung in die Bundesliga schaffen. In die Nationalmannschaft. Stattdessen Landesliga mit dem FC 05 Schweinfurt. Wenigstens ein bisschen Fußball auf ordentlichem Niveau. Mehr ist für die 19-Jährige nicht drin nach drei Kreuzbandrissen. Die kommen nicht von ungefähr: Frauen sind verletzungsanfälliger als Männer. Vor allem an Bändern und Gelenken. Schuld sind die weibliche Anatomie und der Hormonhaushalt. 

Die Bänder sind elastischer wegen des schwächeren Bindegewebes. Landungen nach Fouls oder Sprüngen oder schnelle Drehbewegungen führen leicht zu Rissen. Das ist eines der Resultate nach dem 8. Medical Symposium der Uefa 2023 in Frankfurt. Bänderrisse würden bei Frauen dreimal – andere Statistiken sprechen von bis zu achtmal – häufiger auftreten als bei Männern, bilanzierte Uefa-Chefmediziner Zoran Bahtijarevic. "Die Biomechanik des weiblichen Körpers, insbesondere der unterschiedliche Winkel zwischen Oberschenkelknochen und Becken, führen zu andersartigen Belastungen auf das Knie." Ein prominentes "Opfer": Die deutsche Nationalspielerin Giulia Gwinn hat mit 24 Jahren schon zwei Kreuzbandrisse hinter sich.

Jule Betz ist "schon traurig", wenn sie ehemalige Weggefährtinnen aus der Bayernauswahl und von den DFB-Lehrgängen im Fernsehen sieht, wie sie in den großen Stadien spielen. Die eine oder andere in der Champions League. Jetzt, wo der Frauenfußball schnell und athletisch geworden ist, öffentliche Beachtung erfährt und sich damit Geld verdienen lässt. Stattdessen hat sie in Würzburg ein Lehramt-Studium für Grundschule begonnen.

Kennt Rückschläge im Leistungssport: Giulia Gwinn vom FC Bayern München.
Foto: Sven Hoppe, dpa | Kennt Rückschläge im Leistungssport: Giulia Gwinn vom FC Bayern München.

Leistungssport ade. "Nach dem Spiel Treppen steigen oder das Knie beugen, fällt mir schwer, es fühlt sich alt an." Ihr Sporttherapeut Achim Kaufmann formuliert es drastischer: "Ihr kaputtes Knie entspricht dem einer 70- bis 80-Jährigen." Dass Jule Betz immer noch kickt, kann er nachvollziehen – er hat selbst nach einem Schien- und Wadenbeinbruch wieder gespielt. "Aber aus Ärztesicht heißt das lachend in die Kreissäge zu laufen, wenn du mit deinem Hobby dein restliches Leben zerschießt."

Hormone sorgen für eine weichere Gelenkstruktur

Der 38-Jährige Kaufmann hat selbst beim FC Gerolzhofen und FC Haßfurt gekickt, war Athletiktrainer bei den damaligen Zweitliga-Frauen des ETSV Würzburg und ist heute Co-Trainer beim Bezirksligisten FC Sand. In Gerolzhofen leitet er seine eigene sporttherapeutische Einrichtung. Der Sportwissenschaftler hat seine Bachelorarbeit über die höhere Verletzungsanfälligkeit von Frauen geschrieben.

Scheut keinen Zweikampf: Jule Betz (FC 05 Schweinfurt, links) im Halbfinale der bayerischen Hallenfußball-Bezirksmeisterschaft der Frauen gegen Franziska Höllrigl (FC Ruderting).
Foto: Heiko Becker | Scheut keinen Zweikampf: Jule Betz (FC 05 Schweinfurt, links) im Halbfinale der bayerischen Hallenfußball-Bezirksmeisterschaft der Frauen gegen Franziska Höllrigl (FC Ruderting).

Seine Erkenntnisse: "Der weibliche Hormonhaushalt sorgt für eine weichere Gelenkstruktur." Auch der Monatszyklus spiele eine Rolle: "Am Ende der Zyklusphase sorgt der erhöhte Östrogenspiegel für Wasserablagerungen im Körper, die Gelenkstruktur wird noch weicher." Das erleichtere Frauen zwar einen Spagat, mache sie beweglicher in Tanz und Ballett. "Aber Gelenke rutschen leichter aus der Pfanne." Das Kniegelenk liegt erst gar nicht in einer, wird nur von Muskeln und Bändern gehalten. Frauen haben zudem eine kleinere Kreuzbandhöhle, unter Belastung entstehen Reibungspunkte. Auch das forciert einen Abriss.

Alle drei Kreuzbandrisse ohne gegnerische Einwirkung

Wie bei dem Mädchen aus Windheim bei Wartmannsroth im Landkreis Bad Kissingen, das den Fußball in die Wiege gelegt bekommen hat. Sein Vater André Betz war Trainer beim TSV Großbardorf und Co beim TSV Aubstadt. Tochter Jule ging zum FC 05. Hatte Talent und entwickelte Ehrgeiz. Doch schon bald bremste sie der erste Kreuzbandriss, beim Spiel mit der Länderauswahl. Mit 13. Umgeknickt mit dem rechten Knie beim Passspiel. Comeback bei den Schweinfurter U-15-Jungs in der Bayernliga. Zweiter Kreuzbandriss mit 15. Diesmal links, nach einem Richtungswechsel, wieder mit der Bayernauswahl. Mit 16 dritter Riss. Noch im Aufbautraining, weggeknickt im Dribbling. Dreimal ohne Körperkontakt.

"Aus Ärztesicht ist das lachend in die Kreissäge laufen, wenn du mit deinem Hobby dein restliches Leben zerschießt."
Achim Kaufmann darüber, dass Jule Betz immer noch Fußball spielt 

Nach der dritten OP landete Jule Betz letztlich wieder beim FC 05. Dann wurde auch noch ein Knorpelschaden diagnostiziert. Rechnerisch ist es nicht weit zum vierten Riss. "Aber es juckt halt, die Emotionen auf dem Platz noch zu erleben." Dr. Werner Krutsch, Mannschaftsarzt des 1. FC Nürnberg und ihr dreimaliger Operateur, habe sie eindringlich gewarnt: "Er hat gesagt, dass es für mein ganzes Leben schlecht sein wird, wenn die Knie nicht mehr mitmachen."

Bei Frauen liegt die größere Muskelmasse unter dem Bauchnabel

Kaufmann kommt zu einem simplen Schluss: "Bei den Frauen bleiben die in der Leistungsspitze übrig, die verletzungsfrei durchkommen." Eine medizinische Auslese quasi. Fußball sei deswegen für Frauen keineswegs weniger geeignet als für Männer: "Frauen haben auch Vorteile bei der Muskelverteilung, weil der Großteil der Muskelmasse unterhalb des Bauchnabels in Beinen und Po liegt. Ein tieferer Schwerpunkt bedeutet mehr Wendigkeit. Wie bei Messi mit seinen kurzen Beinen." Der Nachteil: "Tieferer Schwerpunkt bedeutet höhere Kräfte auf Kniegelenken."

Hat wieder gut lachen: Fußballerin Jule Betz hat drei Kreuzbandrisse hinter sich. Sporttherapeut Achim Kaufmann hat für sie ein Aufbauprogramm entwickelt.
Foto: Michi Bauer | Hat wieder gut lachen: Fußballerin Jule Betz hat drei Kreuzbandrisse hinter sich. Sporttherapeut Achim Kaufmann hat für sie ein Aufbauprogramm entwickelt.

Es gebe zwar keine wirklich frauentypischen Sportarten und eigentlich auch kein frauenspezifisches Training.  Dennoch empfiehlt Kaufmann Frauen noch mehr Prävention durch Oberschenkel-Training – notfalls mit einfachen Mitteln: Kniebeugen, Ausfallschritte, Stabilitätsübungen auf einer gerollten Isomatte. "Wir haben hierzulande nur ein Problem: Der Deutsche macht erst was, wenn es zu spät ist und nur so lange, bis es wieder gut ist."

Plan B: Jule Betz will die Trainerlaufbahn einschlagen

Auch wenn der Bundesliga-Traum für Jule Betz ausgeträumt ist, "Spaßfußball" sei keine Option für sie. Wenn Kicken, dann "mit guten Spielerinnen um mich herum". Aber: "Mit halbem Gas kann man auch in der Frauen-Landesliga nicht spielen", warnt Kaufmann. "Es gibt keine schonende Spielweise, weder in anatomischer Hinsicht, noch vom Kopf her. Man kann im Spiel nicht präventiv denken."

Dass sein ehemaliger U-16-Schützling anfängt, mit einer Trainerlaufbahn zu liebäugeln, sieht er gern. Derzeit ist Betz Co-Trainerin der nordbayerischen U-13-Mädchenauswahl. Noch in diesem Jahr möchte sie mit dem B-Schein anfangen. "Ich denke, ich kann auch da Ehrgeiz entwickeln: Es würde mich reizen, mal Männer zu trainieren." Da soll es ja weniger Ausfälle durch Kreuzbandrisse geben.

 
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