Team Gym, Wettkampf-Aerobic, DTB-Dance, Sportakrobatik - das 32. Landesturnfest in Schweinfurt war auch eine Schau dessen, womit der Deutsche Turner-Bund (DTB) neue Wege beschreitet. Aber es gab auch Klassiker wie Rhönrad, Rhythmische Sportgymnastik und Gerrätturnen. Und mitten im von Südbayern und Mädchen dominierten Sport ein junger Mann aus Unterfranken: Julius Hartrich. "Ich habe mich als Exot gefühlt", sagte er vor den Gerätefinals am Samstagabend. Als Sechskampf-Achter der Bayerischen hatte er sich gleich für drei Einzelwettbewerbe qualifiziert - "die allerdings verkackt".
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Der 18-Jährige von der DJK Würzburg war einziger Nordbayer in der Phalanx aus dem Großraum München/Augsburg, der es beim sportlichen Höhepunkt des Turnfestes in die Entscheidungen gebracht hatte. Und das einen Tag, nachdem er die Nachricht erhalten hatte, dass er sein Abitur bestanden hat.
Am Barren und beim Sprung hatte er sich als Vorkampf-Zweiter Medaillenchancen ausgerechnet, aber an den zwei Holmen "habe ich verturnt" und beim zweiten Sprung landete er auf dem Hosenboden. Platz sechs und fünf. Am Pferd wurde er ebenfalls Sechster. "Ich könnte jetzt sagen, es hat an den vielen Zuschauern, der Nervosität oder meinen Nacken-Problemen gelegen. Aber letztendlich habe ich einfach verturnt."
Fünfmal die Woche jeweils drei Stunden Training
Dass bei den Top-Athleten Unterfranken ein weißer Fleck auf der Landkarte nahezu aller turnerischer Wettbewerbe ist, wundert Hartrich, der fünfmal die Woche jeweils drei Stunden trainiert, nicht: "Im Süden gibt es die Leistungszentren. Bei uns gibt es außer bei der DJK Würzburg kaum leistungssportliches Turnen." Was Klaus Rehberger, Vorsitzender des Turngaus Schweinfurt-Haßberge unterschreibt: "Wir haben Gute in Unterfranken. Aber es fehlen die Stützpunkte." Einen solchen hat nur Würzburg. "Die großen Leistungszentren kosten den Verband viel Geld, sind aber nicht die Schmieden, die man sich erhofft hat. Dezentrale Stützpunkte wären sinnvoller."
Hartrich ist Turner mit Leib und Seele, aus ihm spricht die Begeisterung für seinen Sport: "Man braucht enorm viel Körperbeherrschung. Es ist unglaublich, was man aus seinem Körper herausholen kann und dabei noch den Überblick hat, was er gerade macht." Gemeint sind spektakuläre Drehungen, Sprünge und Überschläge, wie sie es in allen, klassischen wie trendigen Disziplinen gibt.
Zum Beispiel bei der Wettkampf-Aerobic, die nur noch wenig gemein hat mit Fonda-Hopsen. Seit Anfang der Neunziger ist dieser junge Sport im DTB integriert. Bewegung zur Musik ist nur die Basis, aus dem Turnen wurden Elemente wie der Ebenen-Wechsel (hoch, runter) übernommen. Athletik und Kreativität sind gefordert - bisher bieten das erst 16 Vereine in Deutschland und nur zwei in Bayern an. Nina Rosenheimer, die Aerobic-Beauftragte im BTV, klagt: "In Osteuropa oder China trainieren Spitzenleute 30 Stunden die Woche. In Deutschland bekommen eben nur olympische Sportarten Sportförderung."
Wie die Rhythmische Sportgymnastik. In Schweinfurt wird der Bayernpokal geturnt, die Qualifikation zum Deutschland-Cup. Während Landes-Trainerin Adila Mammadova erzählt, dass "ihre" Disziplin zu den schwersten gehöre, "Gelenkigkeit, Artistik, Musikgefühl und Gerätegefühl erfordert" und dieser Mädchensport ersten männlichen Zuwachs aus Italien und Japan bekommt ("schaut aber irgendwie komisch aus"), wird im Hintergrund das Geschrei lauter: "Viel Glück. Toi, toi, toi" - so feuern die wartenden Mädels ihre gerade die Matte betretende Konkurrrenz an.
Man stelle sich das beim Fußball vor. Beim Turnen ist's Usus, selbst bei den einen Tick verbisseneren Gerätturnerinnen. Da stehen die Kontrahentinnen neben dem Schwebebalken und beschwören mit wiederholen "fest, fest, fest"-Rufen einen Verbleib der Turnerin auf dem schmalen Gerät. Turnergeist nennt Natalie Pitzka das. Die Landesfachwartin Frauen-Turnen sagt, sie spüre, wie sich der auf die ganze Stadt übertrage: "Das Landesturnfest ist super organisiert, man fühlt, hier wird geturnt."
Kein Wunder, dass der Schweinfurter Oberbürgermeister Sebastian Remelé ("dieses Turnfest war eine der größten Veranstaltungen in der Geschichte des Stadt") sowie BTV-Präsident und DTB-Vize Alfons Hölzl ("wir streben danach, dass Turnen als immaterielles Weltkulturerbe aufgenommen wird") mit einem Dauergrinsen durch die Stadt gelaufen sind. Neben der breitensportlichen Wirkung seien auch die sportlichen Leistungen - es wurden 11000 Medaillen verteilt - vorzüglich gewesen.
Kleiner Betreuer-Schlüssel fördert Erfolg und damit Spaß
Für Hölzl genauso wenig überraschend, wie der Zuwachs an Aktiven von knapp 500000 im Jahr 2014 auf 800000 aktuell. "Wir setzen auf einen Betreuer-Schlüssel von 1:4, maximal 1:6" - also im Idealfall ein Trainer für vier bis sechs Sportler. "Diese Trainer sollen so qualifiziert wie möglich sein. Damit kommt Erfolg. Und Erfolg macht Spaß. Das soll nichts mehr zu tun haben mit dem Bild des Schulturnens mit dem harten Kasten." Der DTB richte seinen Blick auch nach Dänemark: "Dort wird eine freudvolle Turnbewegung gelebt." Freudvoll war's in Schweinfurt.