Ein Drittel der Fußball-Saison 2022/23 ist gespielt in den Ligen auf Kreis- und Bezirksebene - und einige Mannschaften fallen bisher aus dem Rahmen, positiv wohlgemerkt. Ob sie auch am Saisonende noch die Überraschungsmannschaften sind, ist Spekulation. In der Momentaufnahme dürfen sich jedoch einige Teams über eine weitaus bessere Platzierung freuen, als ihnen das die Konkurrenz, mitunter sie sich selbst zugetraut hatten.
Da ist ein Drittplatzierter der Vorsaison dabei, der es über die Relegation nach oben geschafft hat - und prompt wieder ganz oben steht, ungeschlagen. Da ist der Klub, der 123 Jahre für seine erste Meisterschaft gebraucht hat, und nun, eine Etage höher, prompt auf dem zweiten Platz herumturnt - und das im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Fast-Absteiger schielt im Folgejahr nach oben. Und: Die Kicker aus einem Brauerei-Dorf behaupten sich nicht nur wacker in einer Weinbau-Region, sondern auch auf dem Fußballplatz. Ein bunter Reigen.
1. SG Schleerieth
Als Kreisklassen-Dritter in die Relegation gerutscht, durch ein 3:0 über die SG Schwebenried/Schwemmelsbach II in die Kreisliga Schweinfurt 1 aufgestiegen – und dort nach zwölf Spieltagen ungeschlagen Spitzenreiter. "Überraschend für alle", sagt Spielertrainer Thorsten Büttner. "Für alle Trainer der Liga und auch mich." Er attestiert der Mannschaft großen Fleiß, eine hohe Bereitschaft, taktische Vorgaben umzusetzen – und spricht vom "nötigen Spielglück". Real schrumpfe der 20-Mann-Kader meist auf 13 bis 15 Spieler, es müsse viel improvisiert und umgestellt werden: "Jeder geht in der neuen Aufgabe auf." Verlässliche Torschützen seien Jan Ludwig (10 Tore) und Jonas Kündiger (7). Großen Anteil am derzeitigen Lauf hat auch Jürgen Hederich, der sich vergangene Saison für den Hausbau etwas zurück genommen hatte, nun aber "wieder voll dabei ist und in der Abwehr oder im Mittelfeld universell einsetzbar ist". Büttner dämpft trotz allem zu hohe Erwartungen: "Ich tausche jetzt nicht das Ziel Klassenerhalt gegen Meisterschaft. So etwas geht im Fußball ganz schnell schief."
2. FC Thüngen
Anfang Juni feierten sie beim FC Thüngen durch einen 2:0-Erfolg im Relegationsspiel gegen den TSV Güntersleben den Aufstiegs in die Kreisklasse. Und gut vier Monate später ist der Aufstieg schon wieder ein Thema in der Marktgemeinde mit knapp 1400 Einwohnern im östlichen Landkreis Main-Spessart, ist doch der FC Tabellenführer der Kreisklasse Würzburg 3."Wir genießen den Moment", sagt Spielertrainer Frederic Brendel, der aber zugibt, nicht abgeneigt zu sein, mittelfristig noch eine Klasse höher zu spielen. Der 30-Jährige hatte zuvor höherklassig in Karlburg, Rimpar oder Unterpleichfeld gespielt, doch nach einer schweren Knieverletzung übernahm er 2018 das Traineramt beim FC. Seit vergangenem Jahr schnürt er auch wieder selbst die Fußballschuhe. Bis auf zwei Ausnahmen seien alle Spieler in seinem Team "Thüngener Jungs", sagt Brendel, und ergänzt mit Blick auf viele Spielgemeinschaften im Umkreis: "Unser Ziel ist es, als Verein so lang wie möglich eigenständig zu bleiben." Ein Ausdruck des lokalen Selbstbewusstseins in einem Brauerei-Standort, der von Weinbaugemeinden förmlich umzingelt ist, welches vielleicht auch ein Faktor ist für das überraschend gute Abschneiden der Thüngener.
3. SV Herschfeld
Nach fast der Hälfte der Saison hat der SV Herschfeld in der A-Klasse Rhön 3 als Tabellendritter aktuell mehr Punkte auf dem Konto als in der gesamten vergangenen Spielzeit. Die hatten die Kicker aus dem Stadtteil von Bad Neustadt auf dem vorletzten Platz beendet und davon profitiert, dass nur der Tabellenletzte absteigen musste. "Wir haben vor dieser Saison noch einmal sieben talentierte Spieler aus der eigenen Jugend dazu bekommen. Zudem sieht man deutlich die Handschrift unseres Trainers Denis Pfalzgraf", erklärt Herschfelds Abteilungsleiter Robin Dieterich, der als Torhüter auch selbst Anteil am momentanen Höhenflug hat. Danach hatte es zu Saisonbeginn noch nicht ausgesehen. Drei der ersten vier Partien gingen verloren, in Hendungen gab es sogar eine 0:6-Klatsche. Das erklärt auch das aktuell negative Torverhältnis. "Wir haben eine sehr junge Mannschaft. Daher wird es immer wieder Rückschläge geben", glaubt Dieterich. "Ehrlich gesagt wäre ich auch nicht böse, wenn wir noch ein bis zwei Jahre in der A-Klasse bleiben würden. Nichts mit dem Abstieg zu tun zu haben, fühlt sich aber schon einmal sehr gut an."
4. SG Oerlenbach/Ebenhausen
In der letztlich abgebrochenen Corona-Saison 2019/21 stieg die SG Oerlenbach/Ebenhausen als Aufsteiger aufgrund der Quotientenregel direkt wieder aus der Kreisliga Rhön ab. Der neue Trainer Frank Halbig führte die Spielgemeinschaft aus dem Landkreis Bad Kissingen im Mai als Meister der Kreisklasse Rhön jedoch sofort zurück in die Kreisliga. Dort will Oerlenbach/Ebenhausen diesmal länger bleiben als nur eine Spielzeit. Als Tabellenvierter hat man derzeit sogar eher die Auf- anstatt die Abstiegsplätze im Blick. "Wir genießen den Moment und sind froh, dass wir schon so viele Punkte für den Klassenerhalt gesammelt haben", bleibt Halbig demütig. Völlig überraschend kommt der Höhenflug für den SG-Coach jedoch nicht. "Unser großes Plus ist der breite Kader. Wir können in dieser Saison auch mehrere Ausfälle ganz gut kompensieren." Dass Halbig vor einem Jahr seine beiden Söhne Nils (aktuell Führender der Torjägerliste) und Kai mitgebracht hatte, ist für die SG ebenfalls ein Glücksfall. "Die Mannschaft weiß jetzt, was sie kann und hat Blut geleckt. Ein einstelliger Tabellenplatz am Saisonende ist sicherlich drin."
5. SV Kürnach
In diesem Jahrtausend war der SV Kürnach in der Kreisliga bislang nur sporadisch zu Gast. Zweimal aufgestiegen, zweimal ging's gleich wieder zurück in die Kreisklasse, in der sich die Mannschaft die längste Zeit aufhielt. Nach einem Drittel der Saison deutet diesmal viel darauf hin, dass der Kreisliga-Aufenthalt nur nicht auf ein Jahr begrenzt ist. Ex-Landesliga-Spieler Marco Forner (TSV Gerbrunn, FT Schweinfurt) als Trainer sieht großes Potenzial: "Wir haben eine ganz spannende Mannschaft, die mit ihrer Entwicklung noch nicht am Ende ist." Deshalb hofft er, dass sie über diese Saison hinaus zusammen bleibe und sich weiter entwickeln könne. Offenbar haben die Kürnacher Aufstiegseuphorie und Selbstvertrauen mit in die höhere Liga genommen: "Wir hatten vor dieser Saison keinen Akteur in der Mannschaft, der höher als Kreisklasse gekickt hat", erklärt Forner. Nach nur einem Sieg in den ersten vier Spielen haben die Kürnacher sieben ihrer letzten acht Spiele gewonnen. Auch Peter Sachse ist die Liga egal: In der vergangenen Saison war er mit 28 Toren erfolgreichster Torjäger in der Kreisklasse. Auch eine Etage höher kommt der 22-Jährige schon auf 13 Treffer.
6. FT Würzburg
123 Jahre mussten die Fußballer der 1899 gegründeten FT Würzburg auf eine Meisterschaft warten. 2022 gelang den Fußballern dieser historische Erfolg in der A-Klasse, die in den vorherigen 16 Jahren meist die sportliche Heimat der FT-Kicker gewesen war. Auch eine Liga höher schlägt sich die bunt zusammengestellte Truppe um Trainer Dominik Friesacher beachtlich, steht als Aufsteiger auf dem zweiten Platz in der Kreisklasse. "Ich war schon verwundert, dass wir auch in der Kreisklasse so gut punkten können", sagt Friesacher. Spieler kommen aus Rantzau, Kirchhasel, Schlachters oder Nonnenhorn an die Mergentheimer Straße – es sind vor allem Studenten, die an ihrem neuen, oft vorübergehenden Aufenthaltsort auch Lust aufs Kicken haben. Bei den Turnen richtet sich vieles nach dem Semester an der Hochschulen aus. "Sie wollen hier auch Spaß haben, die Zeit genießen, da darf das Feiern nicht zu kurz kommen", bieten die Turner auch nicht-sportliche Angebote an. Nach dem erfolgreichen Start sagt Friesacher, der seit über zehn Jahren die Fußballer der Turner trainiert, sagt: "Ich gehe davon aus, dass wir heuer im oberen Drittel landen können."
7. SV Gaukönigshofen
Mit dem Ziel Klassenerhalt in die Saison gegangen, führt der SV Gaukönigshofen nach gut einem Drittel der Runde die Tabelle der Kreisklasse Würzburg 2 an. Nachdem die Mannschaft mit zwei Niederlagen in die Saison gestartet war, hat sie derzeit eine Serie von neun ungeschlagenen Spielen am Laufen. Keiner punktete konstanter, als die Mannschaft der beiden Trainer Tobias Werner und Oliver Döring, die schon zusammen beim TSV Abtswind spielten. "Zusammenhalt, Trainingsbeteiligung und Teamspirit" nennt Werner als Gründe für den anhaltenden Erfolg: "Wir ziehen das gerade mit nur 13, 14 Spielern durch. Alle sind ehrgeizig, jeder gibt sein Bestens." Drei Spieler aus der eigenen Jugend seien vor der Saison aufgerückt, "und sie sind jetzt schon tragende Säulen bei uns". Und knappe Spiele oft auf ihre Seite: Mit einem Torverhältnis von 19:16 führten die Gaukönigshöfer die Liga an. "Die Liga ist von Platz eins bis sieben sehr eng beisammen. Das macht es natürlich auch gerade sehr attraktiv", findet der 32-Jährige. Auch am nächsten Sonntag gegen das noch sieglose Schlusslicht Aub müsse seine Mannschaft wieder "120 Prozent geben".
Zielsetzung war vor der Saison der Aufstieg.
Jetzt stehen sie auf Platz 1, wo ist da die Überraschung.