
Erst auf den zweiten Blick bemerkt man die fast durchsichtigen Hörgeräte, die Joshua Hild hinter den Ohren trägt. Für einen 28-Jährigen ungewöhnlich. Hild ist mittelgradig schwerhörig. Doch das hält ihn nicht ab, seiner Leidenschaft – dem Handball – nachzugehen.
Seit zwei Jahren spielt der aus dem Rheinland stammende Hild beim HSC Bad Neustadt. Im November 2021 hatte er sich der Bayernliga-Mannschaft der Wölfe Würzburg angeschlossen, es folgte der Wechsel zum ehemaligen Zweitligisten. Knapp die Hälfte der Zeit konnte er dort nur zuschauen. Bei einem Auswärtsspiel im Januar 2024 verletzte sich der Außenspieler schwer: Kreuzbandriss, Ausfallzeit fast 12 Monate. Jene Verletzung kostete ihm auch die Teilnahme an der Gehörlosen-Europameisterschaft im eigenen Land.

Obwohl Hild nicht komplett gehörlos ist, darf er seit 2020 für die Gehörlosen-Nationalmannschaft spielen. Voraussetzung dafür ist ein beidseitiger, nachgewiesener Hörverlust von mindestens 55 Dezibel (dB). Das entspricht einer Unterhaltung in Gesprächslautstärke. Der Schall muss durch ein Hörgerät um den entsprechenden dB-Wert gesteigert werden, um als normal laut wahrgenommen zu werden.
Silber bei den Deaflympics mit der Handball-Nationalmannschaft
Joshua Hild hat auf dem Ohr, auf dem er besser hört, einen Hörverlust von 58 dB. "Ich darf gerade so mitspielen. Ich wurde zweimal untersucht, weil es in meinem Fall so knapp war." Seit 2020 ist er Mitglied der Nationalmannschaft. Sein größter Erfolg? "Zweiter Platz bei den Deaflympics." Sie sind das größte Event im Gehörlosensport, analog zu den Olympischen Spielen im Spitzensport. Die deutsche Nationalmannschaft holte 2022 in Brasilien die Silbermedaille und bekam das Silberne Lorbeerblatt von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verliehen.
Nach Angaben des Deutschen Schwerhörigenbundes gibt es in Deutschland 16 Millionen Menschen mit einer Hörbeeinträchtigung. Der Deutsche Gehörlosen-Bund beziffert die Zahl auf der Gehörlosen auf rund 80.000. Der Deutsche Gehörlosen-Sportverband (DGSV) hat nach aktuellen Zahlen rund 7700 Mitglieder. 30 Sportler sind im Gehörlosen-Handball organisiert, wie ein Sprecher des DGSV auf Anfrage dieser Redaktion mitteilt.

In der Nationalmannschaft darf nicht mit Hörhilfen gespielt werden. Im Verein hätte Joshua Hild diese Möglichkeit. "Für mich macht es keinen Sinn, mit Hörgeräten Handball zu spielen. Dafür ist die Sportart einfach viel zu aggressiv und gefährlich. Da müsste ich fast jede Woche neue Hörgeräte kaufen", sagt der in Niederwerrn lebende Schreiner.
Beim Gehörlosen-Handball wird nach denselben Regeln gespielt wie im Handball für Normalhörende. Wichtig sind Handzeichen, sowohl vom Schiedsrichtergespann, als auch von den Mitspielern. "Bei offensiven Spielzügen geht das recht gut. Wenn wir kreiseln, zeigen wir das über eine kreisende Handbewegung an." In der Abwehr ist die Kommunikation schwieriger. "Wir lernen ein Spielkonzept, mit dem wir arbeiten." In Auszeiten bekommen die Spieler die Spielzüge und Anweisungen auch schriftlich. Beim HSC Bad Neustadt werden die Spielzüge angesagt. Aber auch auf Hild wird Rücksicht genommen. Spielzüge, die ihn betreffen, zeigen seine Mitspieler zusätzlich noch an.
Der Blick auf die Lippen hilft bei Gesprächen
In Alltagsgesprächen schaut er seinem Gegenüber vor allem auf die Lippen, um Wörter ablesen zu können. Schwierig wird es, wenn die Geräusche aus mehreren Richtungen kommen, zum Beispiel wenn der Fernseher läuft. Zu seiner Schulzeit hatten seine Lehrer eine Art Mikrofon um, das das gesprochene Wort direkt an Hilds Hörgeräte weiterleitete.
"Ich war auf einer gewöhnlichen Realschule und hatte, bis ich in die Gehörlosen-Nationalmannschaft gekommen bin, keine gehörlosen Freunde. Andere Menschen brauchen eine Brille, ich eben ein Hörgerät. Ich werde manchmal von Kindern darauf angesprochen. Aber sie sind meistens sehr interessiert und wollen wissen, warum ich ein Hörgerät trage." Und einen Vorteil hat seine Schwerhörigkeit: "Ich brauche in der Schreinerei keinen Hörschutz", sagt Hild schmunzelnd.
Früher wollte Hild zur Bundeswehr oder Polizei. Aufgrund seiner Einschränkungen im Hören zerplatzte dieser Traum aber bald. "Wenn ich einen Befehl missverstanden hätte, hätte das schlimme Folgen haben können", sagt er. Trotz seiner Einschränkung fühlt sich Hild nicht ausgegrenzt oder benachteiligt. Also fast nicht. Nach kurzem Überlegen ergänzt er: "Das Sprachenlernen fiel mir schwer. Man lernt eine Sprache nicht nur durch Lesen, sondern auch durch Hören und Aussprache."
Das Handballherz von Joshua Hild schlägt für Deutschland
Versuche seiner portugiesischen Mutter, ihn zweisprachig zu erziehen, scheiterten. "Als man festgestellt hat, dass ich schwerhörig bin, hat man sich darauf konzentriert, dass ich zuerst die deutsche Sprache richtig erlerne." Die Verbindungen in das Heimatland seiner Mutter sind nicht abgerissen. Seine Großeltern und Cousins leben in Portugal. Mindestens einmal pro Jahr geht es dorthin. "Im Fußball schlägt mein Herz für Portugal, im Handball für Deutschland."