Dieser Sport ist die große Leidenschaft von Chiara-Sophie Matthes. Seit sie elf Jahre alt war, spielt sie Fußball. Die 19-Jährige aus Burghausen (Lkr. Bad Kissingen) gehört seit dem Wochenende zur Avantgarde der Sportart. Zumindest auf regionaler Ebene. Als erste Frau in Unterfranken hat Chiara-Sophie Matthes ein Ligaspiel für die Männermannschaft ihres Klubs absolviert.
Sulzfeld (Lkr. Rhön-Grabfeld) am Samstagnachmittag: Um Punkt 14 Uhr gibt Schiedsrichter Kai-Lukas Koch das Spiel der B-Klasse Rhön 2 frei. SG Sulzfeld/Merkershausen II/Eibstadt II gegen SG Burglauer II/Reichenbach III/Windheim II. Das Interesse an der Partie ist überschaubar. Etwa zwei Handvoll Frauen und Männer stehen draußen und sehen zu. Der nahe Badesee scheint attraktiver zu sein bei 23 Grad und leichtem Wind.
Christian Benkert, der Vorsitzende des FC Reichenbach, folgt gewöhnlich der dritten Mannschaft seines Vereins nicht zu Auswärtsspielen. Diesmal schon: "Ich wollte mal schauen, wie es Chiara geht, wie sie sich schlägt und wissen, ob sie sehr aufgeregt ist", sagt er nach einem Gespräch mit Matthes kurz vor dem Anstoß. "Es ist ja schon eine besondere Situation für sie, dass sie bei den Männern mitspielt." Er ist überzeugt, dass sich der Einsatz von Frauen in Männermannschaften normalisieren wird und "einige nachziehen".
Mit dem ersten Ballkontakt verfliegt die Nervosität bei Chiara-Sophie Matthes
Die Partie läuft und Chiara-Sophie Matthes ist in ihrem Element. Die Nervosität verfliegt mit den ersten Ballkontakten. Sie bietet sich an, sie fordert den Ball, sie verteilt ihn, sie gibt Kommandos, schließt Lücken und sprintet in freie Räume. Alles genau so, wie sie es in den vergangenen acht Jahren auf dem Fußballplatz auch getan hat. "Ich bin gut hineingekommen", wird sie hinterher sagen.
Eine Untertreibung: Zehn Minuten sind gespielt, da bekommt Chiara-Sophie Matthes den Ball zugespielt. Sie steht auf Höhe des Strafraums, schaut auf, nimmt Maß - und schießt den Ball rechts unten ins Eck: Es ist das 2:0 für ihr Team, das die Partie 4:1 gewinnen wird. "Ich musste den Ball nur ins Tor schieben", sagt sie. Auch das eine Untertreibung.
Das Tor, es löst die letzte Anspannung bei der jungen Frau, die sich nun zutraut, den Ball mal anzunehmen und ins Dribbling zu gehen. Der Treffer ist eine Bestätigung, dass sie den richtigen Schritt gegangen ist. Dass der Mut, den er erfordert hat, sich auszahlt. "Es war schon schön", sagt sie nach dem Schlusspfiff und lächelt.
Trainiert wird die SG Burglauer II/Reichenbach III/Windheim II unter anderem von Heiko Heinisch. Er hatte seine Mannschaft vor wenigen Wochen in den Plan eingeweiht, Chiara-Sophie Matthes ins Team aufzunehmen. Kurz zuvor hatte der Bayerische Fußball-Verband (BFV) auf dem Verbandstag in Bad Gögging den Weg frei gemacht für den Einsatz von Frauen in Männermannschaften. "Es gab keinerlei negative Reaktionen auf unser Vorhaben, sondern nur Zuspruch. Innerhalb der Mannschaft haben sich alle gefreut, dass Chiara dabei ist", erinnert sich Heinisch.
Vergangene Saison gewann Chiara-Sophie Matthes mit den Frauen des TSV Rannungen den Titel
Erstmals auf dem Fußballplatz stand Chiara-Sophie Matthes beim TSV Wollbach/KG, später spielte sie in der U-15-Mädchenmannschaft des FC 05 Schweinfurt. Zuletzt kickte sie drei Jahre lang bei den Frauen des TSV Rannungen, mit denen sie in der vergangenen Saison den Titel in der Kreisliga 3 gewann. Bei den U18-Jungs der Rannunger spielte sie vor zwei Jahren einige Male mit, bevor die Corona-Pandemie auch den Fußball lahmlegte.
In diesem Sommer wechselte Chiara-Sophie Matthes zum FC Reichenbach. Dem Verein, bei dem auch David Dietz spielt: "Er unterstützt mich", weiß Matthes um den Rückhalt ihres Freundes, der sie in ihrem Wechselwunsch bestärkt hatte. "Mir hat es immer schon mehr Spaß gemacht, bei den Männern zu spielen, weil ich da mehr gefordert wurde", nennt Matthes, die sich ab September in Bad Bocklet zur Pflegefachkraft ausbilden lässt, einen Grund, warum sie die B-Klasse bei den Männern der Bezirksliga bei den Frauen vorzieht.
Ein Beschluss auf dem Verbandstag macht den Weg frei für Frauen im Männerfußball
Vor drei Wochen waren erstmals in Bayern zwei Frauen bei einem B-Klasse-Spiel in der Oberpfalz zum Einsatz gekommen. Sandra Hofmann aus Neumarkt ist die Vorsitzende des Verbands-Frauen- und Mädchenausschusses des BFV. Sie begrüßt die neue Flexibilität: "Es ist generell eine gute Möglichkeit, keine Frau für den Fußball zu verlieren. Hintergrund der Regelung ist, dass wirklich jede Frau ein Spielrecht erhalten soll, da ja Frauenmannschaften nicht so flächendeckend präsent sind wie Männermannschaften."
Jürgen Pfau, der Vize-Präsident des BFV und Vorsitzende des Fußball-Bezirks Unterfranken, sieht es ähnlich: "Ich finde die neue Regelung positiv, weil für die Frauen eine Möglichkeit geschaffen worden ist, Fußball in ihrem Heimatort zu spielen, selbst wenn es dort kein Frauenteam gibt."
Die Zahl der gemeldeten Frauen- und Mädchenteams geht in Unterfranken stark zurück
In Unterfranken ist laut der auf dem BFV-Bezirkstag Ende April in Veitshöchheim vorgestellten Daten die Zahl der gemeldeten Frauenmannschaften in den letzten fünf Jahren um mehr als zehn Prozent auf 62 gesunken. Bei den Mädchenmannschaften sieht es noch düsterer aus. Von der U11 bis zur U17 gab es zuletzt gerade noch 28 Teams im Spielbetrieb.
"Im Moment, nach zwei Spieltagen bei den Männern, haben wir noch keine Erfahrungen gesammelt, wie es funktioniert, was wichtig ist, was vielleicht nicht nötig ist und wo es etwas zu verbessern gilt", ist Sandra Hofmann gespannt, wie sich das vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) ausgeschriebene bayerische Pilotprojekt entwickeln wird. Derzeit muss der Einsatz einer Frau in einer Männermannschaft extra beantragt und vom BFV genehmigt werden. Achtmal hat Sandra Hofmann ihre Unterschrift bislang unter das Formular gesetzt.
Abpfiff in Sulzfeld: Chiara-Sophie Matthes schüttelt dem Schiedsrichter die Hand, klatscht sich mit den Mitspielern und den Gegnern ab. Die ihre Leistung fair anerkennen, wie sie erfreut feststellt: "Sie haben gesagt, ich habe super gespielt und mir viel Glück gewünscht."
"Ich ziehe den Hut vor Chiara", sagt ein stolzer Trainer Heiko Heinisch. "Und dann schießt sie noch in ihrem ersten Spiel gleich ein Tor. Einmalig". Erleichtert und glücklich steht Chiara-Sophie Matthes neben ihm und gesteht: "In der Nacht vor dem Spiel habe ich schlecht geschlafen." Außen herum haben sich die Mitspieler versammelt und rechnen feixend aus, wie teuer Matthes dieser Samstag zu stehen kommen wird: eine Kiste zum Debüt, eine für das erste Tor und eine dafür, dass sie in der letzten Viertelstunde Kapitänin des Teams war. "Ja", sagt sie, "das war auf jeden Fall ein gelungener Einstand".
Serie: Fußball im Wandel
Auch der Fußballsport bleibt in seiner Entwicklung nicht stehen. Gesellschaftliche und demografische Veränderungen, Klimawandel, Energiekrise, Corona, Digitalisierung oder ein neues Freizeitverhalten der Menschen – all dies geht an Deutschlands beliebtester Sportart nicht spurlos vorüber. Vereine und Verbände müssen umdenken, sich teils moderner aufstellen. Die Sportlerinnen und Sportler, aber auch die immer noch vielen Ehrenamtlichen, gehen neue Wege und das wirkt sich auf die Strukturen in Training und Wettkampf aus. „Fußball im Wandel“ – unter diesem Titel greift unsere Serie in loser Folge all diese Veränderungen auf, zeigt an lokalen und regionalen Beispielen, wie das in der Realität bereits umgesetzt wird – aber auch, wo das noch problematisch ist. Stets im Mittelpunkt: der Mensch.