
Droht dem Handball in Bayern eine Chaos-Saison? Beim flächendeckenden Wiedereinstieg in den Spielbetrieb zur Saison 2020/21 gab es am vergangenen Wochenende zahlreiche Spielabsagen. Die Spielausfälle hatten zwar im Detail unterschiedliche Begründungen, aber stets mit Corona zu tun. Entweder mussten Mannschaften oder Teile von Teams nach Infektions- oder Verdachtsfällen in Quarantäne. Oder die Klubs waren schlicht nicht in der Lage, die vorgeschriebenen Hygienekonzepte umzusetzen.
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In der Männer-Bayernliga fand nur ein Spiel statt, sechs Partien waren ursprünglich angesetzt. In der Männer-Bezirksoberliga schrumpfte der Spielplan von sechs Partien auf eine Begegnung. Auch in anderen Regionen des Freistaats, wie Mittelfranken oder Ostbayern, wurden zahlreiche Spiele gestrichen. "Dass es so viele Absagen geben würde, damit haben wir nicht gerechnet", gibt Thomas Reichard, Geschäftsführer des Bayerischen Handball-Verbandes (BHV), zu.
Ein Kritikpunkt am Verband ist, dass Vereine erst wenige Tage vor dem Beginn des Spielbetriebs über umzusetzende Hygienemaßnahmen informiert wurden und diese für viele Klubs kaum realisierbar erschienen. "Dass das spät veröffentlicht worden ist, ist uns klar. Aber wir mussten die Vorgaben der Politik abwarten und wollten den Vereinen auch Handlungsempfehlungen mitgeben, die dann auch wasserdicht sind", so Reichard.
Es gibt bereits erste Mannschaftsrückzüge. So hat der TSV Roßtal, dessen Männer in die Bayernliga aufgestiegen waren und dessen Jugendteams zu den besten im Bezirk Mittelfranken zählen, sämtliche Mannschaften vom Spielbetrieb abgemeldet. "Die umfangreichen Hygieneempfehlungen wurden zehn Tage und die Durchführungsbestimmungen drei Tage vor dem Saisonstart an die Vereine versendet. Dies ist durch ehrenamtliche Tätigkeit nicht seriös umzusetzen", begründeten die Handballer aus dem Landkreis Fürth ihren radikalen Schritt, für den sie auf Facebook viel Zuspruch erhalten. Zudem sei es von Ehrenamtlichen nicht zu verlangen, dass sie die Haftung für die Umsetzung der Hygieneregeln übernehmen.
Der Roßtaler Rückzug war allerdings nicht der einzige: In Niederbayern hat die SGS Metten alle ihre Teams für diese Saison abgemeldet, in Oberfranken der TSV Weitramsdorf sämtliche Jugendmannschaften. "Im Grundsatz müsste man sich mit Vereinen wie Roßtal solidarisch zeigen. Doch vielen fehlt vielleicht der Mut, die Konsequenz eines Zwangsabstiegs in Kauf zu nehmen", sagt Manuel Feitz. Denn laut Durchführungsbestimmungen ist, wer sein Team zurückzieht, Absteiger.

Feitz ist Coach der zweiten Männer-Mannschaft der SG DJK Rimpar in der Bayernliga und Unterzeichner eines offenen Briefs seines Vereins an den BHV. "Was wir vor allem angeprangert haben, ist die fehlende Kommunikation zwischen den Vereinen und dem Verband beim Wiedereinstieg in den Spielbetrieb", sagt Feitz über den Brief, den auch Rimpars Abteilungsleiter Bastian Krenz unterschrieben hat.
In Rimpar haben sie sich entschlossen, im Spielbetrieb zu verbleiben. "Wir haben einen solchen Schritt wie Roßtal erst einmal ausgeschlossen. Auch für den BHV ist das natürlich eine Extremsituation", sagt Feitz. Doch die Vorschläge des Verbands für sein Bayernliga-Team, das in der Runde noch 29 Spieltage zu bewältigen und bis zum Saisonende Mitte Mai 2021 nur vier freie Wochenenden hat (an Weihnachten, Neujahr, Fasching und Ostern), seien unzureichend gewesen: "Die Vorschläge, wie Spiele nachzuholen sind, lauten, Doppelspieltage im Süden abzuhalten oder Spiele unter die Woche zu verlegen. Sollten wir mit Rimpar unter der Woche in den Münchner Raum müssen, haben wir uns dazu entschieden, dem Termin nicht zuzustimmen oder, wenn trotzdem angesetzt wird, nicht anzutreten."
Drei Spieler in Quaratäne
Ein Verein, der bereits einen Coronafall in seiner ersten Mannschaft hatte, ist der MHV Schweinfurt, weswegen sein Bezirksoberliga-Auswärtsspiel am Samstag beim TV Großlangheim abgesagt wurde. "Wir hatten noch Glück", erklärte der Sportliche Leiter und Trainer der ersten Mannschaft, Markus Thalhäuser. "Der Spieler ist positiv getestet worden, war aber acht Tage zuvor nicht im Training, weil er im Urlaub war. Allerdings hatte er privat Kontakt zu zwei anderen Spielern, deshalb haben wir bis nächste Woche drei Leute in Quarantäne, auch wenn die ersten Tests bei den Kontaktpersonen negativ waren." Ob das geplante MHV-Heimspiel am kommenden Sonntag, 11. Oktober, gegen die HSG Mainfranken stattfinden könne, sei derzeit offen.
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In Schweinfurt haben sie es erwachsenen Handballern freigestellt, ob sie am Spielbetrieb teilnehmen. Bei Kindern und Jugendlichen liegt die Entscheidung bei den Eltern. "Bisher hatten wir noch keine negativen Rückmeldungen", sagt Thalhäuser. Allerdings müsse das nicht so bleiben: "Wir hatten zum Glück noch keinen Fall, bei dem es aus beruflichen Gründen Schwierigkeiten gab. Aber natürlich ist es denkbar, dass, wenn ein Spieler in Quarantäne muss, ein Arbeitgeber sagt, dass so etwas nicht noch einmal passieren soll."
Anderswo gibt es solche Fälle sehr wohl: So berichtet Sport-Vorstand Winfried Körner vom Männer-Bayernligisten DJK Waldbüttelbrunn, dass in seinem Verein zwei Handballer nicht am Spielbetrieb teilnehmen. Die dritte DJK-Mannschaft hat ihr Team gar ganz aus dem Bezirksklassen-Spielbetrieb zurückgezogen, weil der Aufwand, die ganzen mit Corona verbundenen Regelungen umzusetzen, einfach zu groß gewesen sei.
"50 Prozent der Absagen im Bezirk rührten daher, dass die Vereine ihre Hygienekonzepte nicht rechtzeitig umsetzen konnten", berichtet Reinhard Sachse, der Spielleiter der Männer-Bezirksoberliga ist. Das war auch bei Sachses eigenem Verein so, der HG Maintal, wo der Spielleiter die Handball-Abteilung führt. Auch das Männer-Bezirksoberliga-Team aus Veitshöchheim und Margetshöchheim konnte am Wochenende sein geplantes Heimspiel nicht austragen. Bei den Hygienekonzepten müssen feste Wege für Sportler und Zuschauer festgelegt werden sowie Lüftungspausen und Kontakdatenerfassung der Anwesenden gewährleistet sein. Außerdem muss das Konzept vom Hallenträger – in der Regel Kommune oder Landkreis – abgenommen werden.

"Es wurde vom Verband vorgegeben, an den ersten beiden Spieltagen mit Absagen großzügig zu verfahren. Die Vereine sollen erst einmal reinkommen. Alle Bestimmungen vom BHV hatten wir erst am Mittwoch vor dem ersten Spieltag. Um ein Hygienekonzept umzusetzen, braucht es bei meinem Verein etwa eineinhalb Wochen. Dann wären wir Mitte Oktober startklar", erklärt Sachse, der zuversichtlich ist, dass sich die Situation in den kommenden Wochen bessern werde.
"Ziel ist es natürlich, die ganze Saison mit Hin- und Rückrunde auszutragen", so Sachse. Sollte dies nicht möglich sein, weil das Infektionsgeschehen zunehme, gebe es aber auch Möglichkeiten, Spielrunden zu verkürzen. "Wichtig wäre, dass jede Mannschaft zumindest einmal gegen jeden Konkurrenten gespielt hat." Sachse selbst war am Wochenende beim Zweitliga-Spiel TV Großwallstadt gegen TuS Ferndorf, bei dem 750 Zuschauer zugegen waren. "Hier wurden Hygienekonzepte gut umgesetzt, die Leute haben sich rücksichtsvoll verhalten. Wenn das überall so ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass es bei Handballspielen groß zu Infektionen kommt."
Es gibt einen Plan B
Die Spitze des BHV will sich in dieser Woche besprechen und die Situation bewerten. "Es werden jetzt sicher noch keine Änderungen beschlossen, aber natürlich haben wir auch Szenarien entworfen für den Fall, dass sich die Lage zuspitzt", erklärt Geschäftsführer Reichard. Was möglicherweise auf eine Reduzierung der Spiele, etwa auf eine Einfach-Runde, hinauslaufen könnte. Dafür müssten allerdings gültige Durchführungsbestimmungen im Nachhinein geändert werden. "Ich rechne dann mit einer Welle von Klagen gegen den Verband", erklärt Manuel Feitz.
Die Befürchtung teilt BHV-Geschäftsführer Reichard nicht: "Auch wenn ich kein Jurist bin, gehe ich davon aus, dass Änderungen an den Bestimmungen möglich sind." Auch dass Ehrenamtliche juristisch belangt werden könnten, wenn sich jemand bei einem Handballspiel infiziert, glaubt er nicht: "So lange niemand vorsätzlich falsch oder grob fahrlässig handelt, sehe ich keine Gefahr."
Unterschiedliche Interessen
Er appelliert an die Flexibilität der Vereine: "Keiner kann vorhersehen, wie sich die Situation in den nächsten Wochen entwickelt. Wenn die Infektionszahlen steigen, müssen wir natürlich reagieren." Gleichwohl weist der Geschäftsführer darauf hin, dass es keine einheitliche Interessenlage bei den bayerischen Handballklubs gebe: "Die, die jetzt Kritik üben, werden natürlich mehr wahrgenommen. Die, die spielen wollen, artikulieren sich derzeit nicht so." Gleichwohl will der Verband das Gespräch suchen – mit Befürwortern und Gegnern des Umstands, dass der Spielbetrieb wieder begonnen wurde. Doch Reichard ist sich darüber im Klaren: "Allen recht machen können wir es sicher nicht."