zurück
FUSSBALL
Chaos in Giebelstadt: 14 Spieler gehen
Dominic Dorsch steht nach zwei Jahren als Trainer der SpVgg Giebelstadt mit leeren Händen da und muss Platz machen.
Foto: Hans Will | Dominic Dorsch steht nach zwei Jahren als Trainer der SpVgg Giebelstadt mit leeren Händen da und muss Platz machen.
Eike Lenz
 |  aktualisiert: 07.04.2020 12:46 Uhr

Abgestürzt sind die Fußballer der SpVgg Giebelstadt in dieser Saison, und das lässt sich durchaus doppelt deuten. Denn der Abstieg aus der Kreisliga ist längst nicht alles, was der Klub nach dieser Schreckensspielzeit nun aufzuarbeiten hat. Zu den Misserfolgen auf sportlicher Ebene kamen atmosphärische Störungen, die sich spätestens mit der Niederlage im entscheidenden Relegationsspiel entluden. Eine Mannschaft, die in Grüppchen zerfiel und sich zusehends voneinander entfremdete, ein Coach, der daran zerbrach, die Konflikte zu moderieren, und zwischen allen Fronten ein Vorsitzender – Michael Lutz –, der bald nur noch staunte über diese Lust am Untergang. Er endet, wie man inzwischen weiß, im Auseinanderfallen der Mannschaft. Und Lutz (56), dem der Verein fast alles ist, findet lobenswert ehrliche und erfrischend offene Worte zu dieser bizarren Selbstzerstörung.

Frage: Es ist keine zwei Jahre her, dass in Giebelstadt mehr als 50 Spieler beim Trainingsauftakt auf dem Feld standen. In dieser Saison klagte Trainer Dominic Dorsch, ihm fehlten die Leute. Wo sind sie denn geblieben, die Euphorie und die Spieler?

Michael Lutz: Wenn ich das wüsste. Ich glaube, die Charaktere innerhalb der Mannschaft haben einfach nicht zueinander gepasst. Da waren auf der einen Seite die erfahrenen Spieler wie Stefan Reinhard, Benni Kemmer oder Michael Kutz. Auf der anderen Seite gab es die neuen Spieler, die der Trainer geholt hatte – und dann gab es noch die ganz Jungen. Letztlich ist es dem Trainer nicht gelungen, aus diesen drei Grüppchen eine intakte Einheit zu formen.

Sie wollen sagen, die Mischung hat nicht gepasst?

Lutz: Genau.

Wenn das so offensichtlich war, warum hat der Verein nicht während der Saison gegengesteuert?

Lutz: Vielleicht wollten wir ja nicht gegensteuern.

Das müssen Sie erklären.

Lutz: Wir hätten in der Winterpause aktiv werden können, aber es war unklar, wer dann von den Spielern noch übrig geblieben wäre und die Saison zu Ende gespielt hätte. Hätten wir gewusst, wie es weiterläuft, hätten wir den Schritt gemacht. Aber er barg Risiken. Wir wollten bis zum Saisonende warten.

Giebelstadt hatte noch die Gelegenheit, sich in der Relegation vor dem Abstieg zu retten.

Lutz: Ja, nur kamen bezeichnenderweise vier Spieler nicht zu dem Relegationsspiel. So etwas habe ich noch nie erlebt.

Wie, die kamen nicht zum Relegationsspiel?

Lutz: Ich weiß nicht, wie es kommuniziert wurde: ob sie spielen müssten oder sollten. Ich weiß nur, dass einer kurzfristig abgesagt hatte, weil er länger arbeiten musste. Dabei war doch der Termin des Spiels bekannt. Von den drei anderen wusste ich nicht, ob sie sich abgemeldet hatten. Erst nach dem Spiel bin ich zum Trainer, habe gefragt, was da los war: dass man zum Relegationsspiel mit 13 Leuten fährt. Man hätte zumindest aus der Jugend den einen oder anderen mitnehmen können und mit allen Mitteln versuchen können, das Spiel zu gewinnen. Denn Dipbach war an diesem Tag zu schlagen.

Ihr Trainer Dominic Dorsch meinte, das Spiel sei ein Spiegelbild dieser Saison gewesen.

Lutz: Ja, es war symptomatisch. Wir haben ganz ordentlich gespielt, aber nach vorne fehlte die Durchschlagskraft, und hinten waren wir löchrig wie ein Schweizer Käse. Im Mittelfeld sieht das noch ganz gefällig aus, aber sobald wir den Ball verlieren, geht es zack-zack. Die Gegner wussten, was sie zu tun hatten. Die wussten auch, dass unser Torhüter immer sehr weit vor seinem Kasten stand. Drei Treffer im Relegationsspiel bekamen wir aus gut 25 Metern Entfernung, der vierte war ein Eigentor. Aber auch wenn wir die Klasse gehalten hätten, hätte das wenig geholfen.

Warum?

Lutz: Nach heutigem Stand werden 14 Spieler den Verein verlassen oder aufhören.

14 Spieler? Ist das eine Folge der ganzen Querelen?

Lutz: Das ist eine Folge daraus, dass die Mannschaft nicht zusammengepasst hat. Die Älteren wie Benni Kemmer, Stefan Reinhard, Ferdi Lunz, Michi Kutz hören auf; andere wie Omar Cissé, Andrej Vlad oder Robert Jakob verlassen den Verein. Nils Lange geht wieder weg zum Studieren. Von einigen Älteren hätte ich mir gewünscht, dass sie weitermachen und die Jüngeren führen. Sie haben hier zehn Jahre oder länger gespielt und eine Ära geprägt. Die wussten gar nicht, wie gut sie waren, weil sie sich meist mit dem Erreichten zufrieden gaben. Zu unserer Zeit war das anders: Wir wollten immer mehr erreichen. Dass das alles so ausgeht, tut mir auch für die Jungs Leid.

Hätten Sie angesichts dieser Eskalation nicht doch in der Winterpause reagieren müssen?

Lutz: Nein. Was da passiert, darüber musste sich jeder selbst klar werden. Hätte ich eingegriffen, wäre das von manchem nicht verstanden worden. Ich habe selbst lange Zeit Fußball gespielt, war 20 Jahre Abteilungsleiter. Glauben Sie mir: Ich hatte eine eigene These zu der Situation des Teams. Aber ich habe mich von der ein oder anderen Meinung überzeugen lassen und gesagt: Gut, lassen wir es laufen. Geht es gut, kommen wir heil raus. Geht es schief, merken manche, dass sie falsch lagen.

Jetzt haben Sie Gewissheit, dass es schief ging und die Saison in einem Knalleffekt endete.

Lutz: Ja – wobei großer Knall? Ich sehe es als Selbstreinigungsprozess. Die Jungs verstehen mittlerweile, dass es besser gewesen wäre, wenn mancher erfahrene Spieler während der Saison zu mir gekommen wäre und gesagt hätte: So geht es nicht weiter. Warum das nicht geschehen ist, weiß ich bis heute nicht.

Wie haben Sie denn Wind von der Sache bekommen?

Lutz: Ich habe gesehen, wie die Trainingsbeteiligung war – und ich habe gesehen, was daraus resultierte: eine desolate körperliche Verfassung. Wir hatten Luft für 45 Minuten, das ist zu wenig, um sich in der Kreisliga zu behaupten. Hinzu kam, dass im März unser Abteilungsleiter mit sofortiger Wirkung zurückgetreten ist: aus beruflichen und privaten Gründen. Ich habe auch vorher gewisse Dinge mitbekommen. Unser Trainer Dominic Dorsch hat alles in seiner Macht Stehende versucht, aber so ehrlich muss man sein: Er hatte vorher nur eine Jugendmannschaft trainiert, und eine Herrenmannschaft ist halt etwas Anderes.

Aber als er im Sommer 2017 anfing, war doch ein Aufbruch zu spüren: ein Mann aus dem eigenen Verein, der im Training mehr als 50 Leute versammelt. Und zunächst lief es auch ganz gut. Was ist danach passiert?

Lutz: Das war ein schleichender Prozess. Wir waren irgendwann an dem Punkt, dass es einzelne Gruppen gab und jede in eine andere Richtung lief. Ich habe dann alle zusammengeholt und gesagt: Wenn ihr mit dem Trainer weitermachen wollt, dann müsst ihr ab jetzt liefern – Punkte und Einstellung!

Und?

Lutz: Tja, es kam überhaupt nichts, null und nichts. Bei uns war nur noch Chaos.

Um so überraschter müssen Sie gewesen sein, dass sich am letzten Spieltag trotzdem noch die Chance auf die Relegation ergab, oder?

Lutz: Wir alle gingen davon aus, direkt abzusteigen. Dass wir 3:0 gegen Bütthard gewinnen würden, konnte keiner ahnen. Da hat sich die Mannschaft noch einmal zusammengerissen. Wenn ich dann allerdings sehe, dass wir Donnerstag ein Relegationsspiel vor uns haben und wir Dienstag nicht trainieren, weil niemand zum Training kommt, fehlen mir einfach die Worte.

Das Spiel ging 1:4 verloren, der Abstieg war besiegelt.

Lutz: Es ist besser so, wir akzeptieren das. Ich freue mich auf die neue Runde und auf die Jungs, die aus unserer U19 hochkommen. Die sind alle klar im Kopf. Mit ihnen hatte ich bereits ein Gespräch: Alle 13 waren gekommen, nur einer nicht, und der hatte sich entschuldigt. Daran sieht man, dass da eine ganz andere Einstellung herrscht.

Das wird Ihr neuer, alter Trainer Frank Wettengel gerne hören.

Lutz: Er weiß, was auf ihn zukommt. Ich habe mit ihm gesprochen und gesagt: Wir bauen jetzt eine ganz neue Mannschaft auf, und wenn es in die A-Klasse geht – egal. Jetzt wird Tabula rasa gemacht. Wir rennen in Giebelstadt keinem Spieler mehr hinterher. Entweder sie sind da, oder sie gehen. Fertig!

Also lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

Lutz: Genau so sehe ich es auch. Ich schlafe jetzt wieder besser. Die erste Zeit war hart. Ich bin ja auch Vorsitzender und hänge mit Leib und Seele an diesem Verein. Es tut weh, zu erleben, wie das Ganze den Bach runtergeht.

Es ist ja fast Ironie des Schicksals. In der Bezirksliga kickte Giebelstadt auf einem Rübenacker und träumte von einer neuen Sportanlage. Jetzt hat sich dieser Traum erfüllt, und Ihr Klub spielt künftig in der Kreisklasse.

Lutz: Ja, nicht wahr? Aber das waren andere Zeiten damals. Heute müssen die Spieler zum Fußballspielen – wir durften zum Fußballspielen. Für uns war es etwas Besonderes, erste Mannschaft zu spielen. Und was das Sportgelände angeht: Wir hatten kürzlich Handwerker da, einer fragte mich, in welcher Klasse wir spielten. Ich sagte ihm: in der Kreisliga, noch. Darauf er: Aber ihr steigt in die Bezirksliga auf, oder? Und ich: Nein – wir steigen in die Kreisklasse ab. Er konnte es kaum glauben.

Sie kämpften mit am Heftigsten für das neue Gelände.

Lutz: Und ich weiß manchmal nicht, ob es eher Fluch oder Segen für mich ist. Ich kann mich gar nicht aus dem Verein zurückziehen, denn wenn ich es tue, fühlen sich die Kritiker wieder bestätigt, die sagen: Du hast damals am lautesten geschrien, dass ihr den neuen Sportplatz braucht. Dabei kam die Anlage für den Verein 20 Jahre zu spät. Jetzt spielen wir eben Kreisklasse. Aber den Zuschauern ist die Liga sowieso egal. Die wollen eine intakte Mannschaft auf dem Platz sehen. Es gibt auch andere Beispiele, denen es so ging wie uns, Kirchheim zum Beispiel.

Muss man es so pragmatisch sehen?

Lutz: Wahrscheinlich schon. Ich sage immer: Der Amateurfußball stirbt. Die Älteren haben irgendwann keine Lust mehr, Thekendienst zu machen oder den Platz zu mähen, die Jungen haben keine Zeit mehr oder studieren irgendwo. Mir wäre am liebsten eine Mannschaft mit 15 Malern und Verputzern. Das meine ich jetzt gar nicht abwertend. Aber die Jungs haben in der Regel um fünf Uhr abends Feierabend, gehen heim und können Fußball spielen.

Frank Wettengel, der schon einmal Trainer war in Giebelstadt, soll nun den Neuaufbau übernehmen.
Foto: Hans Will | Frank Wettengel, der schon einmal Trainer war in Giebelstadt, soll nun den Neuaufbau übernehmen.
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Giebelstadt
Eike Lenz
Relegationsspiele
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top