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Fußball im Wandel
Warum "Ü 60"-Schiedsrichter auf Unterfrankens Fußballplätzen nicht wegzudenken sind
Rund 20 Prozent der unterfränkischen Fußball-Schiedsrichter sind über 60 Jahre alt. Was die "Senioren" so wertvoll macht und wofür sie selbst richtig dankbar sind.
War mit 84 Jahren noch aktiv: Alfred Mennel beendete 2020 nach 58 Jahren an der Pfeife seine Schiedsrichter-Karriere.
Foto: Ivana Biscan | War mit 84 Jahren noch aktiv: Alfred Mennel beendete 2020 nach 58 Jahren an der Pfeife seine Schiedsrichter-Karriere.
Matthias Lewin
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:11 Uhr

Wolfgang Ankenbrand ist erst seit gut elf Jahren Schiedsrichter. Der Wonfurter ist ein Spätberufener, denn er begann erst im Alter von 63 Jahren damit, Fußballspiele zu leiten. Der mittlerweile 74-Jährige pfeift für seinen Heimatverein TSV Wonfurt im Landkreis Haßberge und ist einer von über 200 Schiedsrichtern, die in Unterfranken der Altersgruppe Ü 60 zugezählt werden. Diese Gruppe umfasst immerhin knapp 20 Prozent aller im Bezirk aktiven Schiedsrichter. Bayernweit sind es 1872 Schiedsrichter, die das 60. Lebensjahr überschritten haben, 180 sind sogar "Ü 80".

Ankenbrand, viele Jahre aktiver Fußballer beim TSV Wonfurt und später bei den Alten Herren des FC Haßfurt, war auch als Spielertrainer auf den Fußballplätzen im Haßbergkreis unterwegs. Als die Knie dann aber nicht mehr mitmachten, musste er das Kicken zwar beenden, losgelassen hat ihn der Fußball aber nicht.

Der Fußball hat gefehlt

Ist erst mit 63 Jahren Schiedsrichter geworden: Wolfgang Ankenbrand aus Wonfurt.
Foto: Ankenbrand | Ist erst mit 63 Jahren Schiedsrichter geworden: Wolfgang Ankenbrand aus Wonfurt.

"Mir hat der Fußball gefehlt", glaubt der damals 63-Jährige, dass ihn genau diese Sehnsucht 2010 auf dem Haßfurter Straßenfest an den Stand der Schiedsrichtergruppe "gespült" hatte. Der Beginn einer zweiten oder dritten "Karriere" auf dem Rasen. "Ich bin ein Typ, der, wenn er weiß, da wird jemand gebraucht, auch da ist", sagt Ankenbrand. Und gebraucht wurde er. Der damalige und 2019 verstorbene Obmann Josef Raab habe ihn dann gar nicht mehr weggelassen, als der Wonfurter sich aus einer Laune heraus nach einer Schiedsrichterausbildung erkundigt hatte.

"Ich bin mal gespannt, ob ich irgendwann mal zu hören bekomme, 'so einen Alten lassen wir nicht mehr pfeifen'," lacht der bald 75-Jährige. Andererseits seien die Vereine ja froh, wenn ein Unparteiischer kommt. "Gott sei Dank kommt heute mal wieder ein Schiedsrichter. Vier Wochen waren wir ohne", lautet ein Satz, den er schon mehrfach zu hören bekam. "Und da spielt das Alter dann keine so große Rolle mehr", ist der Wonfurter überzeugt.

Späte Einsicht eines ehemaligen Kickers

"Manchmal muss man sich natürlich schon etwas anhören, aber das nehme ich mit einem Lächeln hin. Und meistens ist es ja eh so: Die Mannschaft, die gewinnt, lobt den Schiri, die Verlierer sagen meistens gar nichts", weiß Ankenbrand, der als aktiver Spieler auch eher selten ohne Gelbe Karte vom Platz ging. "Jetzt weiß ich eben, wie es auf der Gegenseite aussieht. Und ich muss gestehen, dass ich früher vielen Schiedsrichtern unrecht getan habe."

Strittige Entscheidungen habe es immer und werde es immer geben. "Selbst um einen lumperten Einwurf wird gestritten," weiß Ankenbrand, dass die emotionalen Ausbrüche bis zu einem gewissen Grad auch einfach mal ignoriert werden können.

"Wenn einer unserer Alten wegfällt, brauche ich vier, fünf Junge, die ihn ersetzen."
Christian Wetz, Obmann der Schiedsrichtergruppe Haßberge

Mindestens zehn Jahre wollte er ursprünglich pfeifen. "Das habe ich mittlerweile erreicht. Wie es weitergeht, das lasse ich auf mich zukommen. Solange mich der Obmann noch braucht und einteilt, bleibe ich dabei und pfeife am Wochenende ein- oder zweimal."

Und das ist definitiv der Fall. "Unsere 'Alten' sind mit Leib und Seele Schiedsrichter", betont Christian Wetz, Obmann der Schiedsrichtergruppe Haßberge. Oder eben "positiv Verrückte", wie Walter Moritz, der Verbandslehrwart des Bayerischen Fußballverbandes, hinzufügt.

"Heinrich Rambacher (TSV Prappach), Oskar Geus (TSV Kirchaich) und Winfried Mahr (TSV Knetzgau) sind alle schon über 80 und dennoch regelmäßig auf dem Platz", lobt Wetz seine Senioren. Er weiß, dass die Schiedsrichterei für diese auch durchaus eine Art Sucht ist. "Ich bin jedenfalls froh, wenn ich jedes Spiel besetzen kann."

"Wir kriegen definitiv ein Problem, wenn unsere älteren Kollegen wegbrechen. Die sind sehr zuverlässig. Wenn da einer wegfällt, brauche ich vier, fünf Junge, die ihn ersetzen", lobt der Obmann seine "Alten".

Die werden – wie alle anderen auch – jährlichen Leistungsprüfungen in Theorie und Praxis unterzogen. Regelmäßig sind die "Senioren" auch dabei, um die jungen Kollegen "an die Hand zu nehmen". Das vor wenigen Jahren eingeführte Patensystem, bei dem die Erfahrenen die Neulinge begleiten, führt auch Generationen zusammen. "Das tut den Jugendlichen gut", sind sich die AH-Schiris einig.

"Eine Stunde vor Spielbeginn sollen wir vor Ort sein. Da fährst Du um 10.30 Uhr los, da fällt dann das Mittagessen aus."
Robert Schnös, Schiedsrichter mit 76 Jahren

"Sportlich fit zu bleiben", war für Robert Schnös der Hauptgrund, die Pfeife in den Mund zu nehmen. Und die Hartnäckigkeit des ehemaligen Spielgruppenleiters Ludwig Vogt, der den Oberschleichacher Ende der 90-er Jahre in der ihm eigenen Art überzeugte. Der 76-Jährige, früher aktiver Kicker beim FC Strullendorf, hält sich regelmäßig zweimal pro Woche mit Läufen fit. "Ich mach' das noch, solange ich gesund bin und läuferisch mithalten kann". Somit ist ein Ende derzeit nicht absehbar.

"Wir werden ja größtenteils in den B-Klassen eingesetzt," weist Robert Schnös daraufhin, dass das sonntägliche Mittagessen dem Fußball oftmals zum Opfer fällt. "Die Partien beginnen meistens um 12 Uhr. "Eine Stunde vor Spielbeginn sollen wir vor Ort sein. Da fährst Du um 10.30 Uhr los, da fällt dann das Mittagessen aus," schmunzelt Schnös.

Oskar Geus (Mitte, hier bei der Überreichung der 'Goldenen Pfeife' vor zwei Jahren) ist der Senior unter den Senioren-Schiedsrichtern in der Gruppe Haßberge. Geus, der nach wie vor für den TSV Kirchaich pfeift, wird in wenigen Tagen 81 Jahre alt. 
Foto: SGR Haßberge/Bühl | Oskar Geus (Mitte, hier bei der Überreichung der "Goldenen Pfeife" vor zwei Jahren) ist der Senior unter den Senioren-Schiedsrichtern in der Gruppe Haßberge.

Das nehme er aber gerne in Kauf, wenn dafür ein Lob der Kicker kommt. "Nach dem Spiel kommen schon mal Fragen wie 'wie alt sind Sie eigentlich?'. Und dann gibt es große Augen und eine Anerkennung" für seine läuferische Leistung.

Dass die ältere Generation mit der modernen Technik nicht mithalten kann, komme vor, so Schnös. Beruflich lange Jahre mit der PC-Technik betraut, hilft er dann auch mal anderen Kollegen, die mit dem Computer nicht ganz so vertraut sind, wenn es ans Ausfüllen des Elektronischen Spielberichtsbogen (ESB) geht. 

Warum 'Ü 60'-Schiedsrichter auf Unterfrankens Fußballplätzen nicht wegzudenken sind

Probleme gebe es eher, "wenn plötzlich wieder mal Spielberichtsbögen in Papier auftauchen", wie es bei zuvor nicht erfassten Freundschaftsspielen der Fall sein kann. "Da brauchst Du schon einen Moment, um den richtig auszufüllen", lacht Michael Peter (63), seit knapp 20 Jahren Schiedsrichter.

Willi Fuß ist "auf dem Fußballplatz groß geworden" und immer noch "mit Leib und Seele Fußballer". "Ich wollte sportlich einfach noch was machen, auf keinen Fall einrosten," begründet der ehemalige Vereinsvorsitzende des TSV Zell am Ebersberg, seinen vor sechs Jahren gefassten Entschluss, die Schiedsrichterprüfung abzulegen.

Die "dritte Halbzeit" fehlt auch den Schiedsrichtern

"Solange ich noch einigermaßen geradeaus laufen kann, will ich dabei sein. Es macht Spaß, auf dem Sportplatz zu sein und von den jungen Fußballern akzeptiert zu werden." Der 64-Jährige ist schon zufrieden, wenn er nach einem Spiel gesagt bekommt: "Schiri, das war gar nicht so schlecht."

Was allen Schiedsrichtern, auch oder vor allem den älteren, fehlt, ist die "dritte Halbzeit" im Sportheim. "Ich wünsche mir, dass das nach Corona wieder kommt", hofft Wolfgang Ankenbrand, dass der "Austausch mit den Spielern und Trainern" wieder stattfinden kann. Denn "auch das gehört zum Fußball dazu."

Fußball im Wandel - die Serie

Verwaiste Sportplätze, verlassene Vereinsheime und ein grassierender Bedeutungsverlust bei Jung und Alt: Was ist aus unserem Fußball geworden? Stirbt hier, in den Dörfern und Städten, ein Kulturgut, das einmal emotionaler Halt und sozialer Kitt dieses Landes war? Dieser Frage wollen wir nach- spüren in unserer großen Serie „Fußball im Wandel“. Wandel bedeutet Veränderung, nicht selten unter Druck und Zwang. Aber Wandel bietet stets auch Chancen für Neues, für bisher Unentdecktes.
Zwischen diesen beiden Polen, Tradition und Moderne, Umbruch und Aufbruch, werden wir uns in den nächsten Monaten bewegen. Wir wollen wissen: Wie hat sich der uns so vertraute Fußball ver- ändert? Was macht der Wandel mit Vereinen und Verband? Weshalb gelingt der Umbruch im einen Dorf besser als im anderen nebenan? Was tun mit Vereinsheim und Sportgelände, wenn der Fußball nicht mehr rollt? Wir hören Experten, diskutieren mit Trainern über die wahre Lehre, über Taktiken und Strategien – und gerne auch mit Ihnen.
Wenn Sie Ideen und Anregungen für diese Serie haben, bitte melden an: Main-Post, Sportredaktion, Berner Straße 2, 97084 Würzburg, ? (09 31) 60 01 - 237 E-Mail: red.sport@mainpost.de
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