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Fußball im Wandel
Ein Glücksfall für Unterfrankens Schiedsrichter
Ein aufsehenerregender Neulings-Lehrgang der Gruppe Schweinfurt: Von 33 Absolventen bleiben 17 aktive Referees. Warum Frauen ein Schlüssel für die Zukunft sein könnten.
Notfalls gibt's eben die Rote Karte: Der 15-jährige Schiedsrichter-Neuling Conner Blasius (FV Egenhausen) versucht freilich ohne sie auszukommen.
Foto: Dominik Großpietsch | Notfalls gibt's eben die Rote Karte: Der 15-jährige Schiedsrichter-Neuling Conner Blasius (FV Egenhausen) versucht freilich ohne sie auszukommen.
Michi Bauer
 |  aktualisiert: 07.04.2020 13:14 Uhr

Conner Blasius ist 15 Jahre jung, hat am 19. Februar 2019 seine Schiedsrichter-Prüfung bestanden und seitdem 49 Fußballspiele geleitet. Er ist so etwas wie der Vorzeige-Jugendliche in der Schiedsrichtergruppe Schweinfurt. Und definitiv der Aktivste aus einem Neulingslehrgang, der im vergangenen Jahr bayernweit für Schlagzeilen gesorgt hatte. 45 Teilnehmer - ein einzigartiger Rekord. Und vor allem ein Gegenpol zum landläufigen Schiedsrichter-Schwund.

Von 2008 bis 2018 ist die Zahl der gemeldeten Schiedsrichter in Unterfranken von ohnehin nicht sonderlich üppigen 2007 auf 1825 gesunken, also um 182 beziehungsweise annähernd zehn Prozent. In einigen Gruppen konnten zuletzt nicht mehr alle Spiele am Wochenende besetzt werden. Da fällt der kleine Anstieg 2019 auf 1845 umso mehr auf, da beispielsweise die Gruppe Schweinfurt in dieser Zeit etwa 50 Karteileichen aussortiert hat - mit 283 Aktiven aber immer noch eine der größten im Bezirk ist.

Initiative des TSV Grafenrheinfeld

Heinrich Keller, Obmann der Schiedsrichtergruppe Schweinfurt, weiß freilich, dass dieser Erfolg weniger auf einer gezielten Kampagne, denn auf einem Glücksfall ("ein Nachahmereffekt ist derzeit nicht in Sicht") fußt: In der Juniorenabteilung des TSV Grafenrheinfeld hat U-13-Trainer Christian Schleyer seine Jungs animiert, sich für einen Neulingslehrgang anzumelden; daraus entwickelte sich über Freunde, Eltern, Betreuer und auch Spieler umliegender Vereine eine regelrechte Anmeldungslawine. Gemeinhin melden sich mal fünf oder sechs Leute für so einen Kurs an, von denen letztlich bestenfalls drei der Pfeife treu bleiben. Hier haben von den 45 Gemeldeten 33 die Prüfung bestanden, geblieben sind etwas zehn Referees, die regelmäßig Spiele leiten und sieben, die weniger oft auf den Platz gehen.

Schiedsrichter im Fußball-Bezirk Unterfranken
Foto: MP-Grafik Jutta Glöckner | Schiedsrichter im Fußball-Bezirk Unterfranken

"Im Großen und Ganzen ein Bombenerfolg für das Schiedsrichterwesen und speziell die Gruppe Schweinfurt", sagt Keller. Auch die restlichen 15 Absolventen, einer ist in die Gruppe Gerolzhofen abgewandert, will er noch nicht abschreiben, schließlich habe so eine Prüfung ja zwei Jahre Gültigkeit. "Da sind auch ein paar noch zu jung, haben nicht das Mindestalter von Zwölf. Andere haben Angst, sie könnten von Schulkameraden gemobbt werden, wenn sie die mal pfeifen müssen." Diese Angst, so sie denn nicht als Ausrede vorgeschoben werde,  müsse man ihnen nehmen.

Nervös bei der Permiere in einem Mädchen-Spiel

Diese Angst erst gar nicht gehabt, hat BVB-Fan Conner Blasius. Auch wenn er vor seinem ersten Spiel, einer U-13-Mädchen-Partie zwischen dem FC 05 Schweinfurt und der DJK Hergolshausen, mächtig nervös war. "Kaum stand ich auf dem Platz, wusste ich gar nicht mehr, wann ich jetzt zum Beispiel Abseits pfeifen soll." Doch da war ja noch Papa Thorsten, selbst Schiedsrichter, und an diesem Tag sein Pate, also die Person, die jugendliche Schiris noch begleiten muss. Er hat ihm in der Pause Ratschläge erteilt, und schon lief's besser.

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Natürlich hat auch der 15-jährige Bergrheinfelder, der für den FV Egenhausen pfeift und wegen der Schiedsrichterei mit dem aktiven Fußballspielen aufgehört hat, erfahren müssen, wie rau es auf den Plätzen zugehen kann. Im dritten Spiel, diesmal bei den U-13-Jungs des FC 05, wurde es laut, ein Trainer ist gar auf den Platz gelaufen. "Da habe ich ihn nur gefragt, was das soll, und ihm gesagt, er soll das Feld wieder verlassen." Er hatte sich das erste Mal durchgesetzt. "Ich bin mir schon bewusst, dass ich entscheide, was gemacht wird." Inzwischen ist er nicht nur auf dem Platz, sondern auch im täglichen Leben selbstbewusster geworden.

"Am Ende sind beide Trainer zu mir gekommen und haben mir zu meiner guten Leistung gratuliert."
Der 15-jährige Conner Blasius fühlt sich seiner Entscheidung für das Schiedsrichter-Amt bestätigt

Blasius, der Bundesliga-Schiedsrichter Felix Brych zum Vorbild hat, bereits in Gespannen in der Bezirksliga der Männer Assistent war und so früh wie möglich in dieser Spielklasse selbst ein solches Gespann leiten will, erzählt mit Begeisterung vom U-15-Spiel zwischen der FT Schweinfurt und dem SV Mühlhausen. "Da war von Karten bis Foulelfmeter alles dabei. Und am Ende sind beide Trainer zu mir gekommen und haben mir zu meiner guten Leistung gratuliert."

Der Anfang eines außergewöhnlichen Neulingskurses in der Schiedsrichter-Gruppe Schweinfurt: Die Protagonisten waren (von links) Werner Binder (Fußball-Jugendleiter TSV Grafenrheinfeld), Christian Schleyer (U-13-Trainer TSV Grafenrheinfeld, Heinrich Keller (Gruppen-Schiedsrichterobmann), Armin Wagner (Vorsitzender TSV Grafenrheinfeld) und David Kern (Gruppen-Schiedsrichterlehrwart).
Foto: Michael Bauer | Der Anfang eines außergewöhnlichen Neulingskurses in der Schiedsrichter-Gruppe Schweinfurt: Die Protagonisten waren (von links) Werner Binder (Fußball-Jugendleiter TSV Grafenrheinfeld), Christian Schleyer ...

Eine solche Behandlung durch die Erwachsenen wünscht sich Keller generell für seine jungen Schiedsrichter. Will aber künftig wieder - trotz der guten Erfahrungen mit dem 2019er Kurs - auf ein höheres Einstiegsalter achten. Unter 14 Jahren sollen nur noch bei einer guten Langzeitprognose Jugendliche angenommen werden. Wer in diesem Alter beginnt, dem sei in der Regel eher zuzutrauen, über viele Jahre oder gar Jahrzehnte bei der Stange zu bleiben.

Mulikulturelle Gruppe in Main-Spessart

Ein Horn, in das auch Kellers Kollege Bernd Kuger, Obmann der Gruppe Main-Spessart stößt. Auch dessen Gruppe fällt im Bezirk ob ihrer Zusammensetzung etwas aus dem üblichen Rahmen. Vielleicht auch durch die Nähe zum Aschaffenburger Raum, finden sich hier auffallend viele Namen, die auf einen Migrationshintergrund schließen lassen. Was Kuger bestätigt, gleichwohl einige dieser Referees bereits in zweiter oder dritter Generation in Deutschland leben. Aber: Dass so viele türkisch-, italienisch-, bosnisch oder kosovarischstämmige Mitbürger im Spessart zur Pfeife greifen, hat auch einen Grund - die Mund-zu-Mund-Propaganda in der Familie und untereinander.

Der Klassiker: Der Schiedsrichter zeigt die Rote Karte, der Spieler mimt das Unschuldslamm.
Foto: Bradley Collyer | Der Klassiker: Der Schiedsrichter zeigt die Rote Karte, der Spieler mimt das Unschuldslamm.

Auch im aktuellen Neulingskurs befinden sich wieder "angehende Schiedsrichter aus dem türkischen Sprachraum", so Kuger, der jeden Unparteiischen brauchen kann. Denn: "Wir befinden uns in unserer Gruppe in guter Gesellschaft, wenn es um den Schiedsrichter-Schwund geht. Bei den 15- bis 35-Jährigen passt es noch, die Älteren zwischen 55 und 70 bleiben auch treu. Aber es klafft eine Lücke bei den 35- bis 55-Jährigen. Das ist dann das Alter, wo die Frauen zu Hause zu verstehen geben, dass es schön wäre, wenn der Mann jetzt mal daheim bleiben könnte."

Frauen könnten der Schlüssel sein

Genau das greift Kuger auf und könnte sich vorstellen, explizit Frauen für das Schiedsrichteramt zu begeistern. "Ich würde mir viel mehr Frauen in der Gruppe wünschen. Das könnte der Schlüssel sein, das Schiedsrichterwesen wieder ins richtige Fahrwasser zu bringen." Einzig: Im Bayerischen Fußball-Verband gibt es diesbezüglich noch keine entsprechende Kampagne. Möglicherweise auch, weil die rückläufigen Schiedsrichterzahlen noch halbwegs dadurch abgefedert werden, weil auch die Anzahl aktiver Fußballer und Mannschaften vor allem in strukturschwächeren Regionen sinkt und damit weniger Spiele zu besetzen sind.

Fußball im Wandel - die Serie
Verwaiste Sportplätze, verlassene Vereinsheime und ein grassierender Bedeutungsverlust bei Jung und Alt: Was ist aus unserem Fußball geworden? Stirbt hier, in den Dörfern und Städten, ein Kulturgut, das einmal emotionaler Halt und sozialer Kitt dieses Landes war? Dieser Frage wollen wir nach- spüren in unserer großen Serie „Fußball im Wandel“. Wandel bedeutet Veränderung, nicht selten unter Druck und Zwang. Aber Wandel bietet stets auch Chancen für Neues, für bisher Unentdecktes.
Zwischen diesen beiden Polen, Tradition und Moderne, Umbruch und Aufbruch, werden wir uns in den nächsten Monaten bewegen. Wir wollen wissen: Wie hat sich der uns so vertraute Fußball ver- ändert? Was macht der Wandel mit Vereinen und Verband? Weshalb gelingt der Umbruch im einen Dorf besser als im anderen nebenan? Was tun mit Vereinsheim und Sportgelände, wenn der Fußball nicht mehr rollt? Wir hören Experten, diskutieren mit Trainern über die wahre Lehre, über Taktiken und Strategien – und gerne auch mit Ihnen.
Wenn Sie Ideen und Anregungen für diese Serie haben, bitte melden an: Main-Post, Sportredaktion, Berner Straße 2, 97084 Würzburg, ? (09 31) 60 01 - 237 E-Mail: red.sport@mainpost.de
 
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