
Lässt sich das Strahlen eines 53-jährigen Mannes durch die Telefonleitung hören? Im Fall von Marco Depner eindeutig ja. Wenn der Knetzgauer davon erzählt, was er am vergangenen Wochenende geleistet und erlebt hat, möchte man fast mitgrinsen, so begeistert schildert er die Geschehnisse seines Geburtstags. Den nutzt Depner seit inzwischen fünf Jahren für seinen, wie er ihn nennt, "Lebenslauf".
Die Idee ist so simpel wie anspruchsvoll: Depner, hauptberuflich Kämmerer der Gemeinde Knetzgau, läuft seit 2020 sein Alter in Kilometern. Heuer waren dementsprechend 53 fällig. Ein Ultralauf, weil klar über der Marathondistanz von 42,195 Kilometern. Und Depner wählte dafür eine besondere Strecke: Beginnend in Geusfeld im Steigerwald sollte es durchs Maintal in die Haßberge gehen, das Ziel war Dürrenried, Gemeindeteil des Markts Maroldsweisach. Einmal quer durch den Landkreis Haßberge also.
"Das war mehr oder weniger Zufall", erzählt er zur Streckenfindung, für die der Initiator des "Laufparadies Haßberge-Maintal-Steigerwald" die eigene Homepage genutzt hatte. "Ich habe die beiden Orte willkürlich herausgesucht, ich wollte einfach vom Steigerwald in die Haßberge, also den Landkreis von Süd nach Nord durchqueren. Und die angezeigte Laufstrecke waren genau 53 Kilometer." Eine Fügung sozusagen.
Ungeplante Umwege auf der Suche nach dem Amtsbotenweg
Das mit den 53 Kilometern klappte dann allerdings nicht so ganz. Nicht, dass Depner die Strecke nicht geschafft hätte. Nein, in den 6:08 Stunden riss der Kumpel von Laufikone Hubert Karl gar knapp 58 Kilometer runter. Ein nicht geplanter Umweg gleich zu Beginn sorgte für ein paar Extrakilometer.
Dabei ging's gut los, als Depner morgens um acht Uhr in Geusfeld startete. "Ich bin gleich nach einem halben Kilometer an einem dampfenden Misthaufen vorbeigekommen", erzählt er. "Da wusste ich schon, dass ich richtig Dusel hatte mit dem Wetter." Eine Woche zuvor hatte in Geusfeld an selber Stelle noch Schnee gelegen. Der Wetterumschwung brachte aber auch eine Schattenseite mit sich. Der alte Amtsbotenweg von Ebrach nach Oberschwappach, den Depner nutzen wollte, war kaum mehr zu finden. "Da war plötzlich alles urwaldgleich verwildert. Zum Glück habe ich irgendwann an einem großen Baum das alte, verwaschene Wegzeichen gefunden."

Die Zwischenbilanz nach den ersten Kilometern durchs Dickicht, vormittags irgendwo beim Wald in Geusfeld: klitschnasse Schuhe, durchtränkte Socken – und noch über 50 Kilometer zu gehen. "Da hatte ich gleich zu Beginn schon ein paar Kilometer mehr auf dem Tacho. Aber solche Dinge machen es dann halt auch aus", sagt Depner und lacht.
Beim Erzählen von den kniffligeren Teilen seiner Landkreisquerung, von den Phasen, in denen es zwickte, kommt Depner immer wieder auf das Thema der mentalen Stärke zu sprechen. Wie wichtig bei einem solchen Vorhaben der Kopf sei. Und wie viel er in dieser Hinsicht von seinem Mentor Hubert Karl gelernt habe. Der, das nur nebenbei, gerade dabei ist, die Route 66 von Chicago bis nach Santa Monica zu laufen. Knapp 4000 Kilometer in 66 Tagen. Depner, gerade einen Ultralauf hinter sich, winkt diesbezüglich nur ab: "Mit Hubert kann sich niemand vergleichen. Das sind andere Welten."
In der Welt Depners gab's nach der Steigerwald-Episode den ersten Postkarten-Moment: Als er bei Eschenau raus kam aus dem Wald und das Maintal vor sich liegen hatte. "Wie weit der Blick da plötzlich geht, ist unglaublich." Sein nächstes Zwischenziel sah er schon am Horizont: die Hohe Wann.
Zufällige Zusammenkunft mit den Eltern in Knetzgau
Zuvor war aber ein Zwischenstopp in Knetzgau nötig. Der war eingeplant, um die Wasservorräte aufzufüllen. Nicht geplant war, dass Depner nach dem Einkauf seinen Eltern in die Arme lief. "Das war klasse. Mein Vater konnte es gar nicht glauben, dass ich gerade aus Geusfeld komme", erzählt Depner und lacht wieder. "Ich habe ihn beruhigt und gesagt: 'Mach' dich nicht verrückt, ich hab' nur noch 40 Kilometer.'"
Fortan hatte der Knetzgauer Heimspiel. Im Maintal kennt Depner nahezu jede Strecke, schnell hatte er schon Königsberg im Visier, lief sich auf den gerade verlaufenden Flurwegen fast schon in Trance. "So etwas liebe ich, das hat etwas Meditatives", sagt er. An gelb blühenden Rapsfeldern vorbei aufend habe sich dann auch der Genuss eingestellt. "Manche fragen uns Läufer immer, wovon wir davon laufen. Das Gegenteil ist doch der Fall: Wie viele schöne Momente ich auf so einer Strecke sammle, davon zehre ich manchmal noch ein Jahr später."

Kurz vor Königsberg, Depner war nun schon etwa vier Stunden unterwegs, gab's die nächste Pause. Eine Pfefferbrezel für den Magen, Dehnübungen für die Sehnen. Das brauchte es auch, nun standen die Haßberge an. Kurz vor Hohnhausen bei Burgpreppach kündigten sich während eines langen Anstiegs Krämpfe an, doch Depner hielt durch. "Es ist unglaublich, wie viel sich einfach weglaufen lässt." Außerdem rief er sich wieder seinen Kumpel Hubert Karl in Erinnerung, der wenige Tage zuvor zwei Marathons an einem Tag absolviert hatte: "Immer wenn es mir schlecht geht, denke ich an Hubert, so komme ich durch", erzählt Depner – und lacht wieder.
So meisterte der 53-Jährige auch den steilen Anstieg bei Altenstein (Depner: "Gefühlt geht es da senkrecht hoch"). Nun betrat er ihm unbekanntes Terrain und erlebte erstmalig die nördlichen Teile des Landkreises beim Laufen. "Das ist eine herrliche Landschaft, die Natur hat mich richtig getrieben", sagt er. Über die B303 und Wasmuthhausen hatte er dann sein Ziel im Visier.
Depner: "Laufen zu können, ist für mich Glückssache"
Schon beim Erzählen der letzten Kilometer wird Depner emotional. Und man bekommt eine leise Ahnung, wie er sich beim Ansteuern der Kirche in Dürrenried, wo seine Freundin auf ihn wartete, gefühlt haben muss. "Da bist du so glückshormongeschwängert, du freust dich wie ein Kleinkind. Es war der Hammer", erzählt er von seiner Ankunft.
Bleibt die Frage, warum er das eigentlich macht, am Geburtstag stundenlang durch den Landkreis zu laufen? "Im Ziel ankommen und lachen, auch wenn mal eine Träne dabei ist", sagt er. "Ich bin kein Wettbewerbstyp. Meine Intention ist es, Spaß zu haben. Ich will ankommen und lachen. Wenn andere sehen, dass ich nach diesen Strapazen lache, ist das für mich ein Siegesgefühl. Laufen zu können, ist für mich eine Glückssache."