Manuel Heinrich ist blind. Und er ist Torwart. Der 26-Jährige steht bei der Haßfurter Eishockey-Hobbymannschaft "Nierosta" zwischen den Pfosten. Und wenn er nicht gerade als Puckfänger auf dem Eis steht, sorgt er als ausgebildeter Masseur dafür, dass die Spieler des ESC Haßfurt fit in ihre Eishockey-Landesligapartien gehen.
Der groß gewachsene, lebenslustige Schwebheimer hat sein Augenlicht schon als Jugendlicher verloren. Schuld daran ist eine Erbkrankheit namens Retinitis Pigmentosa. Von der sind in der Regel ältere Menschen betroffen, bei denen ein Elternteil einen Gendefekt weitergegeben hat. Bei Manuel Heinrich allerdings waren es – was äußerst selten vorkommt – beide Eltern, die diesen Gendefekt in sich tragen. Und deshalb war er schon so früh davon betroffen.
Augenklinik statt Eisstadion
Mit elf Jahren hatte er festgestellt, dass mit seinen Augen etwas nicht stimmt. "In der Schule habe ich die Tafel immer schlechter sehen können", beschreibt er die ersten Auffälligkeiten. Binnen weniger Jahre sei seine Sehkraft dann auf null gesunken. "Mit dem Eishockey war es dann natürlich erst einmal vorbei", erinnert sich Manuel Heinrich an diesen Schicksalsschlag in seiner Kindheit.
Der schnellste Mannschaftssport der Welt hatte ihn da schon längst gepackt. Schon mit vier Jahren war er das erste Mal als Zuschauer beim ERV Schweinfurt. "Auf einem Bierkasten, damit ich etwas sehen konnte", erinnert sich der mittlerweile über 1,90 Meter große Eishockey-Fan. Ebenso an die Begegnung mit dem ERV-Veteranen Bruce Hardy, von dem er damals einen Schläger geschenkt bekam. Der hängt noch immer in seinem Zimmer in Schwebheim.
Es dauerte auch nicht lange, da fuhr Heinrich selbst in der ERV-Schülermannschaft aufs Eis – bis es dann eben nicht mehr ging und sein Weg ihn statt auf die Eisflächen immer öfter in Augenkliniken führte. Wo der Jugendliche schließlich auch die Diagnose der unheilbaren Krankheit mitgeteilt bekam.
Einen kleinen Hoffnungsschimmer gab es dann vor sieben Jahren, als ihm in Tübingen ein Netzhaut-Chip eingesetzt wurde, mit dem er seine nähere Umgebung zumindest wieder schemenhaft und in schwarz-weiß wahrnehmen konnte. "Zum Beispiel Bordsteinkanten konnte ich damit gut erkennen, auch zehn Zentimeter große Buchstaben konnte ich lesen. Das hat schon sehr geholfen", war diese technische Hilfe für ihn eine willkommene Unterstützung.
Der Chip ist mittlerweile allerdings nicht mehr aktiv, ein Ersatz derzeit nicht zu bekommen. Der Tübinger Hersteller meldete kurz nach der Operation Konkurs an, Manuel Heinrich muss also wieder ohne das gerade erst wenigstens in Teilen zurückgewonnene Augenlicht auskommen.
Sein Traum vom Eishockey war da natürlich schon zu Ende. Bis er 2017 beim ESC Haßfurt landete und sich dort dann auch der Hobbymannschaft anschloss – als Torwart. Ein Torwart, der nichts sieht. Wie das geht? "Ich höre Eishockey", sagt Manuel Heinrich und lächelt, "und habe inzwischen viel Erfahrung." Und ärgert damit die Gegner, wenn er als Blinder die gegnerischen Angriffsbemühungen vereitelt.
Bevor es aber aufs Eis geht, muss jeder Goalie erst einmal die Eishockey-Ausrüstung anlegen. Und die ist bei einem Torwart recht umfangreich. Rund 20 Minuten benötigt der Schwebheimer dafür – und das ohne jegliche Hilfe.
Dann geht es gut 20 Stufen hinunter auf die Eisfläche. Auch das bewältigt Manuel Heinrich allein. Auf dem Eis lässt er sich zum Tor führen, dort orientiert er sich zunächst, indem er mit seinem Schläger die Torpfosten abklopft. "Das Gespür, wo ich bin und wo das Tor ist, habe ich mit der Zeit entwickelt", ist das, was dann folgt, für "Manu", wie er genannt wird, kein Problem. Auch nicht, wenn der Puck auf seinen Kasten zufliegt.
Die Ohren ersetzen die Augen
"Wir hatten mal einen Spezialpuck aus Amerika, der in der dortigen Blindenliga eingesetzt wird. Der ist mit einem Glöckchen im Inneren versehen, damit die Spieler wissen, wo die Scheibe gerade ist. Doch den wollten meine Mitspieler nicht, weil ich dann immer alles gehalten habe", erzählt der Goalie lachend. Also wird bei den Hobbyspielern wieder ein herkömmlicher Puck eingesetzt. Manuel Heinrich erledigt seinen Job zwischen den Pfosten aber auch ohne den "Warnton" in der Hartgummischeibe.
"Ich höre es an den Schlittschuh-Geräuschen, von wo ein Spieler auf mich zufährt. Dann mach' ich mich breit, bleibe lange stehen", hat der Goalie ein Rezept parat. Zusätzlich steht ein Mitspieler hinter dem Tor, der ihm entsprechende Hinweise gibt, aus welcher Richtung gerade konkrete Gefahr für seinen Kasten droht.
Ein besonderes Duell mit dem großen Bruder
Nur bei Fernschüssen braucht Manuel Heinrich auch ein wenig Glück und muss schon mal spekulieren, wohin die Scheibe genau fliegt. "Aber auch da habe ich schon den einen oder anderen Puck gefangen", erzählt er stolz.
Ein besonderes Duell führt der Goalie auf dem Eis mit seinem Bruder. "Markus will mich natürlich immer ein bisschen ärgern", sagt der blinde Torwart über den privaten Zweikampf mit seinem sehenden Bruder und grinst. "Er bremst gerne kurz vor mir ab, um mir eine kleine Eisdusche zu verpassen", weiß Manuel, dass Markus ihn gerne auch mal neckt. "Beim letzten Mal hab' ich den Spieß aber umgedreht, bin zur Seite und er ist ins Tor rein gefahren", freut er sich diebisch über die kleine Retourkutsche.
Mittlerweile ausgebildet zum Masseur und medizinischen Bademeister, hat er nach einer kurzen Zeit bei den Schweinfurter Mighty Dogs vor vier Jahren auch als medizinischer Helfer beim ESC Haßfurt angeheuert und kümmert sich seitdem ehrenamtlich um die kleinen und größeren Wehwehchen der Landesliga-Spieler. Bei den drei Trainingseinheiten pro Woche und in der Regel auch bei beiden Wochenendspielen sorgt der Schwebheimer für eine gelockerte Muskulatur bei den Hawks.
"Manuel ist bei 99 Prozent unser Trainingseinheiten dabei", bescheinigt ESC-Sportvorstand Andreas Kurz dem "Physio" die wohl größte Anwesenheitsquote im gesamten Verein. Kurz ist "heilfroh, dass wir ihn an Bord haben". Und das, ohne dass der Klub ihn dafür bezahlen muss. "Hawks"-Torhüter Nicolas Hetzel nimmt Heinrich nach Haßfurt mit und fährt ihn auch wieder nach Hause.
"Die Jungs sagen immer, der Manu mit den heilenden Händen", weiß der Vereinsmasseur, dass die Spieler sich gerne auf seinen Tastsinn verlassen. Der ist, davon ist Heinrich überzeugt, bei ihm ausgeprägter als bei sehenden Kollegen.
Und das kommt ihm nach eigenen Worten nicht nur auf der Massagebank im Haßfurter Eisstadion, sondern auch in seinem Beruf in einer Schweinfurter Physiotherapie-Praxis zugute. Sein Chef habe großes Verständnis für seine Leidenschaft Eishockey und lasse ihn auch schon mal früher in den Feierabend, damit er in Haßfurt rechtzeitig vor Trainingsbeginn aktiv werden kann.
Auch beim Hausbau legt er selbst Hand an
Der Eishockey-Fan lebt derzeit noch bei seinen Eltern, baut aber in Schwebheim gerade ein Haus in unmittelbarer Nähe seines Elternhauses. Auch dabei beweist er trotz seines Handicaps Eigeninitiative und legt selbst mit Hand an: "Zusammen mit meinem Bruder, der ist vom Fach, und einigen Kumpels" soll im nächsten Jahr sein komplett selbst finanziertes Eigenheim entstehen. Der Hardy-Schläger wird dann natürlich mit umziehen.
Manuel Heinrich hofft, dass die Forschung auf dem Gebiet der Netzhaut-Implantate weiter voranschreitet, damit er vielleicht irgendwann mal wieder sehen kann und die Bilder seiner Umgebung nicht nur aus der Erinnerung hervorrufen muss. Bis dahin will er seinem Ziel, als Physiotherapeut bei einem Eishockey-Profiverein anzuheuern, näherkommen. Ab April nimmt er deshalb eine Weiterbildung zum Sporttherapeuten in Angriff.