„Passen jetzt die Abstände, sind alle dabei?“ Manuel Heinrich muss sich bei seiner Tanzpartnerin rückversichern. Dass er als Planbursche auf dem Plan tanzen kann, ist keine Selbstverständlichkeit. Zwar ist er Schwebheimer und schon seit Kindesbeinen auf der „Kerm“, aber Manuel ist blind. Mit etwa zehn Jahren verlor er durch eine Netzhautablösung mehr und mehr sein Augenlicht, seit ungefähr vier Jahren ist er fast völlig erblindet.
Aus der Traum vom Planburschen, den er schon als Vierjähriger träumte? Nein. Mit nur vier Wochen Training schaffte es Manuel, drei Plantänze einzuüben. „Der Walzer, der Schottisch und der Hupfer sind kein Problem“, sagt Manuel. Nur den Dreher lässt er noch aus, aber seine Tanzpartnerin Nadine Rudolph ist sich sicher: „Den kriegen wir bis zum nächsten Jahr auch noch hin.“
Nadine hat die Führungsrolle übernommen, aber beim Dreher wird's problematisch, sie kann nicht über den 1,90 Meter großen Manuel drüberschauen, da sind Zusammenstöße vorprogrammiert. Trainer Florian Kress ist begeistert: „Ich zieh den Hut vor Manuel, dass er das geschafft hat.“ Dabei hatten am Anfang alle ein bisschen Bauchweh. „Wir wussten nicht, wie das gehen soll“, erinnert sich Trainerin Anke Grimm. „Wir wären schon stolz gewesen, wenn er einen Tanz schafft.“ Schnell war auch klar, dass keines der neuen Planmädchen mit Manuel tanzen kann. „Die sind noch zu sehr mit ihren eigenen Beinen beschäftigt“, sagt Anke. „Wir brauchten jemand mit Erfahrung“, ergänzt Florian. Glücklicherweise ließ sich „Nadine reaktivieren“.
Nadine Rudolph hat selbst viermal auf dem Plan getanzt, einmal als Trainerin mitgearbeitet und sie hat die richtige Größe für Manuel. Nach vier Jahren Pause fungiert sie heuer wieder als Planmädchen und tanzt mit Manuel. Dies habe sich in der Gemeinde rumgesprochen wie ein Lauffeuer, erzählt Nadine, „wenn ich in die Geschäfte gegangen bin, musste ich gar nichts erzählen, die Leute haben mich alle von selbst drauf angesprochen“.
Nadine war von Anfang an klar, dass sie mit Manuel mindestens drei Tänze hinbekommt. Und das haben die beiden auch geschafft. „Manuel hat ein gutes Rhythmusgefühl“, lobt Nadine. Für ihren Tanzpartner ist das eigentlich ganz klar: „Ich spiele ja schließlich auch Schlagzeug in einer Band, so hobbymäßig“, erklärt er. Anke glaubt, dass Manuel noch einen weiteren Vorteil hat: „Wo die anderen Jungs mit ihren Augen beschäftigt sind, da hört Manuel nur auf den Takt.“
Ein blinder Planbursche, das war nicht nur für Manuel eine Herausforderung. Auch wenn alle bereit waren, ihn überallhin mitzunehmen, und die Gemeinschaft von Anfang an gut geklappt hat, mussten die Sehenden doch so einiges lernen. Nadine erinnert sich: „Ganz am Anfang, da haben wir schon mal gesagt: 'Schau mal, so musst du das machen', bis uns wieder einfiel, dass er ja nicht schauen kann.“ Sie findet es „cool“, so etwas einmal mitzuerleben, sensibel zu werden für die Herausforderungen, die Blind-Sein mit sich bringt.
Auch Florian hat dazugelernt. Am Kirchweihsamstag musste Manuel sogar den Pritschenwagen besteigen und ist mit durchs Dorf gefahren, aber er hat immer wieder nachgefragt: „Wo sind wir denn jetzt, wo fahren wir gerade hin?“ „Da denkt man gar nicht dran, dass der das ja nicht sieht und man es immer wieder sagen muss“, stellt Florian fest. Eigentlich, meint er, müssten wir allen Burschen mal die Augen verbinden und ausprobieren, wie das so ist, zu tanzen, wenn man nichts sieht.
Von Anfang an sei Manuel gut in die Gruppe aufgenommen worden, freut sich Anke. Sie glaubt, dass auch die Gemeinschaft letztendlich davon profitiert, dass Manuel dabei ist. „Bei uns soll keiner ausgeschlossen werden“, heißt ihre Prämisse. Manuel fühlte sich auch gleich angenommen. „Die meisten kenne ich ja noch von der Grundschule oder von der KJG (Katholische Junge Gemeinde).“ Nur seine Mutter sei anfangs skeptisch gewesen, „aber jetzt nicht mehr, die freut sich auch, glaub' ich“. Und Manuel freut sich am meisten auf den Ehrentanz am Kirchweihsonntag. „Das ist das Größte“, schwärmt er, und anschließend wird mit der Mutter getanzt, das hat er schon im vergangenen Jahr geübt.