Tübingen (dpa/lsw) - Die ersten Ärzte in der Königlich Württembergischen Augenklinik Tübingen haben vor 100 Jahren noch mit recht simplen Methoden gearbeitet: Wenn ein Patient schlecht sah, brauchte er eben mehr Licht, glaubten die Experten damals.
Heute pflanzen ihre Nachfolger am Universitäts-Klinikum Computerchips in die Augen ihrer Patienten oder ersetzen eine defekte Hornhaut durch eine Videokamera. Die Forschung hat gerade in der Augenheilkunde große Fortschritte gemacht. Und dass Forscher aus Tübingen daran einen großen Anteil haben, will die Uni-Klinik zu ihrem 100. Geburtstag im Jahr 2009 zeigen.
Schwere Fälle
Fast 60 000 Patienten kommen pro Jahr nach Tübingen und hoffen, dass die Spezialisten ihr Augenlicht retten oder es ihnen zurückgegeben können. Meist seien es besonders schwere Fälle, die in der bundesweit bekannten Klinik behandelt würden, sagt der ärztliche Direktor Karl Ulrich Bartz-Schmidt. Selbst Patienten, denen vor ein paar Jahren kein Arzt helfen konnte, können durch medizinische Fortschritte inzwischen wieder Farben und Umrisse erkennen.
Generationen von Wissenschaftlern haben in Tübingen geforscht, um die Medizin auf ihren heutigen Stand zu bringen. Schon Gustav von Schleich, der 1909 erster Direktor der neuen Augenklinik wurde, galt als versierter Fachmann auf seinem Gebiet. Seine wichtigster Ansatz: Er ließ die Klinikgebäude auf einer Ost-West-Achse ausrichten und unzählige Lichthöfe einbauen.
Wenn Sonnenstrahlen das Gebäude durchfluten, dann werde das auf die Sehkraft der Menschen einen sehr guten Einfluss haben, glaubte er. Seine Nachfolger heute wissen, dass Sonnenstrahlen allein keinem Blinden das Augenlicht zurückgeben. Aber die Lichthöfe, die von Schleich bauen ließ, machen das Jugendstil- Gebäude der Klinik bis heute zu einem architektonischen Prunkstück.
Computertechnik
Heute versuchen die Spezialisten, defekte Teile eines Auges mit modernster Computertechnik zu ersetzen. Als besonders vielversprechend bezeichnet die Augenklinik den sogenannten Retina Seh-Chip, der gemeinsam mit dem Reutlinger Unternehmen Retina Implant entwickelt wird.
Mit Hilfe des Chips sollen Blinde mit einem Netzhaut-Defekt eines Tages wieder sehen können – für elf Prozent aller Blinden könnte das die rettende Technik sein, hoffen die Tübinger Forscher. Einmal unter die Netzhaut implantiert, soll der Chip eintreffendes Licht in elektrische Signale umwandeln – und das Gehirn könnte daraus ein Bild machen.
Für Patienten mit schweren Verletzungen am Auge sollen Mini-Kameras die Rettung sein. Mit ihrer Hilfe könnten Lichtstrahlen die beschädigte Hornhaut überwinden und so im Gehirn wieder ein Bild entstehen lassen, hoffen die Fachleute.
Präzise Eingriffe ermöglicht
Zwar haben die modernen Behandlungsmethoden auf den ersten Blick kaum noch etwas mit der Medizin der vergangenen Jahrzehnte zu tun. Aber ohne die jahrzehntelange Vorarbeit könnten die Mediziner heute nicht auf so hohem Niveau forschen, betont Bartz-Schmidt. Unter anderem hat Heinrich Harms in Tübingen das Operationsmikroskop erfunden und somit sehr präzise und sichere Eingriffe am Auge möglich gemacht.
Ein weiterer Durchbruch war das „Tübinger Handperimeter“, mit dem Augenärzte unter anderem untersuchen konnten, ob die Sehstärke eines Autofahrers für den Straßenverkehr ausreicht. Bis heute muss jeder Führerschein-Neuling erst einmal zu einem vergleichbaren Sehtest.
In den nächsten Jahren wollen die 90 Tübinger Augen-Forscher immer kleinere Details eines Auges verstehen lernen. „Wir haben große Hoffnungen in die Gentherapie und die Stammzelltherapie“, sagt Bartz- Schmidt. Diese Methoden könnten in einigen Jahren oder Jahrzehnten noch mehr Blinden ihr Augenlicht zurückgeben.