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FUSSBALL
Fifa-Kongress mit mutmaßlicher Wiederwahl von Gianni Infantino: Gekickt wird dort, wo die meiste Kohle fließt
Der Fifa-Präsident hat ein System des Gebens und Nehmens unter den 211 Mitgliedsverbänden installiert. Wer den Schweizer als gerissen bezeichnet, untertreibt noch höflich.
Gianni Infantino steht beim 73. Fifa-Kongress in Ruandas Hauptstadt Kigali vor seiner Wiederwahl als Präsident des Fußball-Weltverbandes. 
Foto: Tim Groothuis, Witters | Gianni Infantino steht beim 73. Fifa-Kongress in Ruandas Hauptstadt Kigali vor seiner Wiederwahl als Präsident des Fußball-Weltverbandes. 
Frank Hellmann
 |  aktualisiert: 15.07.2024 11:34 Uhr

Natürlich ist der Fußball-Weltverband nicht ohne Geschenke nach Kigali gekommen. Noch bevor die obersten Repräsentanten zum 73. Fifa-Kongress in der Hauptstadt von Ruanda landeten, hatte sich der Geldkoffer geöffnet. 4,7 Millionen Dollar sind aus dem Fifa-Forward-Programm bewilligt worden, um dem Fußballverband von Ruanda ein brandneues Unterkunftszentrum zu spendieren. Hier sollen nun alle Nationalteams beherbergt und verpflegt werden. So etwas kommt in einem der ärmsten Länder Afrikas gut an. Fast alle Konföderationen stehen geschlossen hinter dem spendablen Mann, der dieses System aus Geben und Nehmen hoffähig gemacht hat: Gianni Infantino.

Der Strippenzieher des Weltfußballs, dessen Wiederwahl auf der Vollversammlung der 211 Fifa-Mitgliedsverbände am Donnerstag als Formsache gilt. Ruanda hat die Bühne für die nächste PR-Show des Schweizer Impresarios bereitet, der sich für nichts zu schade ist, um Zustimmung zu erhaschen.

Bald soll jeder Verband ohne Zutun 2,3 Millionen Euro von der Fifa bekommen

Unvergessen, wie er sich einen Tag vor dem Eröffnungsspiel der umstrittenen WM in Katar als wandlungsfähig wie kein Homo sapiens vor ihm beschrieb. "Heute fühle ich mich als Katarer, heute fühle ich mich als Araber, heute fühle ich mich afrikanisch. Heute fühle ich mich homosexuell", rief der 52-Jährige aus. "Heute fühle ich mich behindert, heute fühle ich mich als Arbeitsmigrant." Dass er sich nicht noch als Frau fühle, entschuldigte er tatsächlich damit, dass er mit seiner aus dem Libanon stammenden Frau vier Töchter habe.

Dieser Schauspieler wird vermutlich erneut per Akklamation, also einem zustimmenden Applaus, für weitere vier Jahre in seinem Amt bestätigt, um vornehmlich Funktionäre in Staaten mit begrenzter Population an Kickern glücklich zu machen. Ganz genau prüft die Fifa nicht mehr, ob die Zuwendungen wirklich in Entwicklungsprojekte fließen oder vielleicht doch in Verbandskreisen versickern. Bald sollen es 2,3 Millionen Euro sein, die jeder Verband einfach mal ohne Zutun, ohne Turnierteilnahme von der Fifa bekommt.

Selbst die oberste Managementebene der Fifa beklagt intransparente Entscheidungswege

Infantino als gerissen zu bezeichnen, wäre vermutlich noch höflich untertrieben. Demokratische Prinzipien kickt er gerne mal beiseite wie einen achtlos herumliegenden Ball. Seine letzten Kritiker kommen aus Europa, die er wie in Doha mit solchen Argumenten attackiert: "Was wir in den letzten 3000 Jahren gemacht haben, da sollten wir uns 3000 Jahre entschuldigen, bevor wir anfangen, moralische Ratschläge an andere zu verteilen." Argumente, die nur dem Fußball-Gott einfallen.

Der wegen schwerer Vorwürfe zurückgetretene französischen Verbandschefs Noël Le Graët wurde von Gianni Infantino zum Fifa-Büroleiter ernannt.
Foto: Alexis Reau, dpa | Der wegen schwerer Vorwürfe zurückgetretene französischen Verbandschefs Noël Le Graët wurde von Gianni Infantino zum Fifa-Büroleiter ernannt.

Inzwischen arbeiten unter seiner Ägide rund 1000 Mitarbeiter in dem gläsernen Palast auf dem Zürichberg, der sich Home of Fifa nennt. Selbst die oberste Managementebene beklagt dort intransparente Entscheidungswege. Und heraus kommt dann so etwas wie die Ernennung des wegen schwerer Vorwürfe – unter anderem sexuelle Belästigung – zurückgetretenen französischen Verbandschefs Noël Le Graët zum Fifa-Büroleiter. Installiert über Nacht von seinem Busenfreund Infantino.

Mit seiner Dichte an Affären und Intrigen hat Infantino seinen Vorgänger Blatter übertroffen

Es ist erstaunlich, dass sich bis heute keine Opposition aufgebaut hat; auch weil die Uefa offenbar so sehr mit der Vergrößerung ihrer eigenen Wettbewerbe (EM und Champions League) oder Schaffung neuer Formate (Nations League, Conference League) beschäftigt ist, dass es keinen Gegenkandidaten gibt.

Mit seiner Dichte an Affären und Intrigen hat Infantino seinen Vorgänger und Landsmann Sepp Blatter mal locker übertroffen: vom Kaltstellen der verbandseigenen Ethikkommission bis hin zu Geheimplänen, fast alle Fifa-Rechte in ein von Saudi-Arabien aus gelenktes Konsortium auszulagern. Zwar ist gerade das Verfahren der Schweizer Bundesanwaltschaft wegen der Nutzung eines teuren Privatfliegers 2017 auf Fifa-Rechnung eingestellt worden, aber der Verdacht bleibt, dass Infantino gerne auch Ermittler beeinflusst. Unter dem obskuren Fifa-Chef ist der Fußball nicht nur globaler, sondern auch gieriger geworden.

Angesichts von Infantinos Vita verblüfft seine Skrupellosigkeit

Angesichts seiner Vita verblüfft die Skrupellosigkeit. In Brig im Kanton Wallis als Sohn italienischer Eltern geboren, schlugen sich Infantinos Eltern bald in der Schweiz durch. Sein Vater Vincenzo arbeitete als Zeitungsbote, seine Mutter Maria am Kiosk. Weggefährten beschrieben deren Sohn als intelligenten jungen Mann, der schnell Zusammenhänge verstand.  Er studierte Rechtswissenschaften, kam als Berater für verschiedene Fußballorganisationen unter, wurde Generalsekretär des Internationalen Zentrums für Sportstudien (CIES) an der Universität von Neuchâtel und trat 2000 in den Dienst der Uefa.

Intern galt er lange als Gefolgsmann des populären Uefa-Präsidenten Michel Platini, dem Infantino irgendwann als Generalsekretär in den Rücken fallen sollte. Er bestieg 2016 in der großen Fifa-Krise den Thron. Erst führte er Blatters Wahlperiode zu Ende, jetzt muss seine zweite Wiederwahl gar nicht die letzte sein: Eine dritte Amtszeit bis 2031 wäre laut Statuten möglich. Ein hausinternes Korrektiv ist weit und breit nicht zu entdecken: Generalsekretärin Fatma Samoura aus dem Senegal ist leider nur seine Erfüllungsgehilfin.

Gigantismus in Reinkultur und die Uefa als Lieblingsfeind

Seine simple Regel: Gekickt wird dort, wo die meiste Kohle fließt. Infantino hat mal eben die WM in Katar trotz aller Vorbehalte aus der westlichen Welt als die "beste aller Zeiten" verkauft. Immerhin war das 200 Milliarden Euro teure Turnier gut organisiert und die Stimmung besser als gedacht. Auch der Transport war so perfekt durchorchestriert, dass die EM 2024 in Deutschland in diesem Vergleich nur verlieren kann. Nur: Unter Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit oder Einhaltung der Menschenrechte war die erste Wüsten-WM ein Eigentor.

Fifa-Präsident Gianni Infantino (links) hat kein Problem damit, Menschen wie dem russischen Präsidenten Wladimir Putin die Hand zu reichen - oder ihn umarmen, wie hier am Vorabend des WM-Finales 2018 in Moskau.
Foto: Yuri Kadobnov | Fifa-Präsident Gianni Infantino (links) hat kein Problem damit, Menschen wie dem russischen Präsidenten Wladimir Putin die Hand zu reichen - oder ihn umarmen, wie hier am Vorabend des WM-Finales 2018 in Moskau.

Und 2026 verteilen sich dann 48 Mannschaften in den USA, Kanada und Mexiko auf 16 Spielorte. Gigantismus in Reinkultur. Der Fifa-Präsident hat kein Problem damit, Wladimir Putin oder Donald Trump die Hand zu reichen. Hauptsache, die Staatspräsidenten dienen seinen Interessen. Sein Lieblingsfeind ist die Uefa, die abseits der WM alle Filetstücke des Fußballs – gerade auf Vereinsebene – besitzen.

Die nächste WM soll mehr als zehn Milliarden Euro einbringen

Liebend gerne würde Infantino wohl der Golfregion gleich das nächste Großereignis auf dem goldenen Tablett servieren: Saudi-Arabien möchte, gemeinsam mit Ägypten und Griechenland, die WM 2030 austragen. Die saudischen Herrscher bezahlen genau wie der katarische Emir fürs "Sportswashing" jeden Preis. Schon die nächste WM soll mehr als zehn Milliarden Euro einbringen, für 2030 ist dann gewiss noch mehr rauszuholen. Am liebsten hätte Infantino ja eine WM im Zweijahresrhythmus ausgerichtet.

Quasi als Appetizer hat die Fifa dem nächsten Land, das es mit den Menschen- und Frauenrechten nicht so genau nimmt, schon mal die Klub-WM 2025 zugeschanzt, auf der plötzlich 32 Teams mitspielen sollen. Auffällig oft sucht der Fifa-Boss die Nähe mit Machthaber Kronprinz Mohammed bin Salman, der gegen Kritiker schon mal die Todesstrafe vollstreckt. Saudi-Arabiens Tourismusbehörde ist als Sponsor für die Frauen-WM in Australien und Neuseeland im Gespräch, und selbstredend hat mit Yasser Al-Misehal auch erstmals ein Funktionär aus Saudi-Arabien einen Platz im Fifa-Rat erhalten. Wer nach Blatters Rücktritt auf Besserung gehofft hatte, wurde längst eines Besseren belehrt.

Für den DFB ist der Umgang mit Infantino und seinem System schwierig

Für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) ist der Umgang mit diesem System und diesem Präsidenten schwierig. So klar wie die norwegische Fifa-Kritikerin Lise Klaveness ("Wir werden ihn nicht wählen") kommt DFB-Präsident Bernd Neuendorf nicht aus der Deckung. Vielleicht aus gutem Grund: Erst am 5. April rückt der vor einem Jahr gewählte Verbandsboss über die Uefa ins wichtigste Gremium, das 37-köpfige Fifa-Council auf.

Für DFB-Präsident Bernd Neuendorf ist der Umgang mit Infantino und seinem System schwierig.
Foto: Arne Dedert, dpa | Für DFB-Präsident Bernd Neuendorf ist der Umgang mit Infantino und seinem System schwierig.

Infantino auf offener Bühne den Fehdehandschuh hinzuwerfen, wäre auch wenig geschickt. Gerade vor dem Hintergrund, dass Deutschland doch gemeinsam mit den Niederlanden und Belgien gerne 2027 die Frauen-WM ausrichten möchte. Was Neuendorf am meisten ärgert, ist die Minimaldosis an Verlässlichkeit, die vom ranghöchsten Fußballfunktionär ausgeht. Auf einfache Fragen, ob denn nun die "Migration Working Centres" in Katar angelegt oder der Entschädigungsfonds eingerichtet worden sei, bekommt der DFB keine Antwort.

Debatte um "One-Love-Binde" schadete dem DFB weit mehr als der Fifa

Ohne konkrete Informationen werde "es schwer, ihn zu unterstützen", sagte Neuendorf vergangene Woche, schränkte aber auch ein: "Ich werde ihn niemals persönlich attackieren." Weil vermutlich jede Verbalinjurie von deutscher Seite am vielsprachigen Impresario abperlen würde wie Regen von einer Öljacke. Die Debatte um die "One-Love-Binde" schadete dem DFB letztlich weit mehr als der Fifa.

Schon der ehemalige DFB-Chef Reinhard Grindel, zwischen 2017 und 2019 auch Mitglied im Fifa-Rat, berichtete von skurrilen Erfahrungen mit einem aalglatten Wendehals, der wie ein Magier immer neue Kaninchen aus dem Hut zu zaubern vermag. Darunter findet sich dann immer mal wieder ein Geschenk, mit dem einer die Fußball-Welt macht, wie sie ihm gefällt.

 
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