
Wer den Konvent der Franziskaner in der Würzburger Altstadt betritt, denkt an vieles - doch nicht an ein Leben in Armut. Durch eine große, moderne Fensterfront blickt man zum Empfang, innen ist massives, edles Parkett verlegt, im Gemeinschaftsraum lädt eine lange Tafel mit gepolsterten Stühlen zum Verweilen ein. Eine Schale mit Süßigkeiten steht auf einem kleinen Tisch, daneben eine angebrochene Tüte Knabberzeug. Die Türen öffnen sich über Chipkarten. Die Räume dahinter sind hell und strahlen eine freundliche Atmosphäre aus.

Hat sich so Franziskus von Assisi vor rund 800 Jahren das Leben seiner Brüder vorgestellt, nachdem er sich selbst zu einem Leben in völliger Armut entschlossen hatte? Wohl eher nicht. Doch dem Gelübde der Armut verpflichten sich, neben dem der Ehelosigkeit und des Gehorsams, auch heute noch alle katholischen Orden. Bei den Franziskanern gilt das Armutsgelübde als besonders prägend. Ordensgründer Franziskus war ein reicher Kaufmannsohn, doch er kehrte dem bürgerlichen Leben den Rücken, auch um der feudal lebenden Kirche im 13. Jahrhundert den Spiegel vorzuhalten. Denn, so Franziskus, genau wie Jesus sollte es der Kirche eigentlich um Hilfe für die Armen der Gesellschaft gehen.
Die Armut der Franziskaner ist frei gewählt
"Das Leben in Armut hat heute natürlich andere Ausprägungen als vor 800 Jahren", erklärt Konrad Schlattmann, der seit zweieinhalb Jahren der Franziskanergemeinschaft in Würzburg angehört. Der 33-Jährige hatte sich während seines Theologiestudiums mit der Armutsfrage intensiv auseinander gesetzt. Schlattmann kommt aus dem Ruhrgebiet, während seines Studiums bekam er immer mehr Kontakt zum Konvent. Dass er sich dann Anfang 20 für ein Leben in der Ordensgemeinschaft entschied, sei eine logische Konsequenz gewesen. Auch die Reaktionen seiner Freunde bestätigten ihn: "Das passt einfach zu dir", hätten viele gesagt.
"Ich kann von mir natürlich nicht sagen, dass ich arm lebe wie jemand, der auf der Straße lebt", sagt Konrad Schlattmann. Man müsse unterscheiden zwischen selbstgewählter Armut und schicksalhaft aufgezwungener Armut. Die Armut der Franziskanerbrüder ist freiwillig gewählt - und nicht vergleichbar mit der eines Menschen, der jeden Cent zählen muss.
"Wenn wir das Gelübde der Armut ablegen, hat das einen materiellen, aber auch einen spirituellen Aspekt", erklärt Bruder Konrad, der als Kaplan am Würzburger Käppele arbeitet. Franziskus sei, damals vor 800 Jahren in Italien, nur in Sandalen und einem Hemd herumgelaufen. "Doch dafür ist es hier einfach zu kalt." Das Leben der Ordensbrüder heute sei der Versuch, dem Denken von Franziskus möglichst nahe zu kommen, nicht der Kopie und konkreten Ausführung.

Brauche ich das wirklich?
Doch entscheiden sich die Franziskaner für ein Leben ohne Besitz. Mit dem Eintritt in den Konvent verzichten die Ordensbrüder auf ihr Erbe und ihr gesamtes Eigentum. Das heißt, sie haben keine eigenen Möbel, kein Vermögen, kein Auto. Wenn sie einen neuen Pullover kaufen möchten, müssen sie den Bruder um Geld fragen, der sich um die Finanzen kümmert. Der Lohn für ihre Arbeit geht an den Konvent. Jeder hat einen kleinen Betrag im Monat zur freien Verfügung. "Damit wir nicht jedes Mal, wenn wir eine Zahnpasta kaufen, nach Geld fragen müssen", sagt Schlattmann. Wenn er sich einen neuen Pullover kaufen möchte, muss der Kauf erst genehmigt werden, dann bekommt er das nötige Geld vom "Geldbruder", wie er sagt.
Vor jedem Kauf steht für ihn die Frage: Brauche ich das wirklich? Ein Limit für die Ausgaben gibt es nicht, sagt Schlattmann. Es sei an jedem Einzelnen, so sparsam wie möglich zu leben. Schon in seinem Elternhaus sei es üblich gewesen, sich immer zu fragen, ob eine Anschaffung tatsächlich sein muss. Sich auf das Leben bei den Franziskanern einzustellen, sei deshalb für ihn nicht übermäßig schwierig gewesen.
Doch der Verzicht auf das selbstbestimmte Geldausgeben fällt nicht jedem so einfach. Bruder Steffen Behr hatte zu Beginn Schwierigkeiten, nicht mehr über seine Ausgaben bestimmen zu dürfen. Er ist Architekt und besaß nach dem Studium ein eigenes Auto und eine Wohnung. "Als ich dann bei den Franziskanern eingetreten bin, musste ich plötzlich fragen, ob ich mir eine Hose kaufen oder am Freitag ins Kino gehen darf", erinnert sich Behr.
Nach Zweifeln für die Franziskaner entschieden
Nach rund einem Jahr seien seine Zweifel so groß gewesen, dass er überlegte, wieder zu gehen. Steffen Behr hatte bereits nach einer neuen Wohnung gesucht und mit seinem alten Architekturbüro Kontakt aufgenommen. "Doch abends, im Gebet, wusste ich plötzlich wieder, was mein Lebenssinn ist." Er entschied sich für die Franziskaner. Solch grundlegende Bedenken habe er in den folgenden 17 Jahren nicht mehr gehabt: "Auch wenn das nicht heißt, dass immer alles einfach ist", sagt der 41-Jährige. Man dürfe sich jedoch nicht über den Verzicht definieren.
Überhaupt ist das Leben im Konvent weit weniger streng als mancher es sich vorstellen mag. Die Brüder besitzen Handys, fahren in den Urlaub und gehen auch mal ins Kino oder auf ein Weinfest. Zum Geburtstag gibt es ein paar Flaschen Saft eines befreundeten Bio-Landwirts aus der Rhön. Ein Widerspruch zum Gelübde der Armut? Nein, sagt Konrad Schlattmann. Jeder Mensch brauche Urlaub, jeder müsse einmal etwas Abstand von der Gemeinschaft haben. "Das tut einem selbst gut, aber auch den anderen Brüdern", sagt er scherzend.

Denn wer im Konvent lebt, hat keine Freizeit im Sinne eines freien Wochenendes. Drei Mal täglich ist gemeinsamer Gottesdienst, auch die Seelsorge macht am Wochenende keine Pause. Deshalb stehen jedem Bruder 27 Tage Urlaub und ein bestimmtes Budget dafür zu. "Davon kann man keine Luftsprünge machen", sagt Schlattmann, der gerne an die Nordsee fährt oder seine Eltern im Ruhrgebiet besucht.
Der Versuch, sich selbst in den Hintergrund zu stellen
Genauso wie die Brüder heute nicht in Sandalen herumlaufen wie einst Franziskus, können und wollen sie auch nicht auf moderne Kommunikationsmittel verzichten: "Da sind wir Kinder unserer Zeit", erklärt Schlattmann die Tatsache, dass sie alle Handys besitzen und per E-Mail kommunizieren. Wichtiger als die Frage, ob man sich das erlauben dürfe, sei doch die Frage, ob man verantwortungsvoll damit umgehe.
Neben dem Verzicht auf materielle Dinge bedeutet ein Leben in Armut für die Franziskaner viel mehr. Konrad Schlattmann nennt es geistliche Armut. Dahinter steht der Versuch, sich selbst in den Hintergrund zu stellen, die eigenen Bedürfnisse nicht über die der anderen zu setzen. "Das ist zum Beispiel der Fall, wenn ich eigentlich gerade mit etwas beschäftigt bin, aber die Beichtglocke geht, weil ein Mensch mich braucht", sagt Schlattmann. Dann müsse er dafür verfügbar sein. "Ich sehe in diesem Moment ab von meinem eigenen Willen, meinem Ego, meiner Zeit. Das ist meine Armut."
Es sei ein Prozess, ein an sich arbeiten, sagt Steffen Behr: "Ich muss immer wieder neu üben, dass ich nicht von Dingen und Menschen besessen werde und diese nicht besitzen möchte. Oder nicht neidisch zu sein. Das gehört auch zum Gelübde."
Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen
Was sehr theoretisch klingen mag, wird greifbarer, wenn man das Konzept der Solidarität mit den Armen betrachtet. Traditionell sind Mitglieder einer Ordensgemeinschaft in der Seelsorge tätig, arbeiten in der Krankenpflege oder kümmern sich um Obdachlose. So auch bei den Franziskanern. Jedes Jahr gibt der Konvent in Würzburg rund 3000 Brotzeiten für Bedürftige an der Pforte aus. Bekannt in Würzburg ist auch die Straßenambulanz von Bruder Tobias, der sich mit einer medizinischen Erstversorgung um Obdachlose kümmert.
Auch Steffen Behr und Maximilian Bauer kümmern sich im Auftrag der Franziskaner um die Armen der Gesellschaft. Beide sind Seelsorger, Behr in der Würzburger Justizvollzugsanstalt, Bauer in der Uniklinik. Bei ihrer Arbeit geht es darum, Menschen zu helfen, die am Rande der Gesellschaft stehen. "Das ist ein armer Kerl" - so ein Satz meine ja nicht, dass jemand kein Geld im Portemonnaie habe, sondern dass ihn etwas belaste. Arm kann jeder sein, der sich in einer sozialen oder psychischen Notlage befindet. Und klar ist für die Franziskaner auch: Keine Form der Armut ist weniger schlimm oder wichtiger als die andere.
In zwei Interviews erzählen die Franziskanerbrüder Steffen Behr und Maximilian Bauer von ihrer Arbeit im Gefängnis und im Krankenhaus.
- Klinikseelsorger im Interview: "Patienten erleben die eigene Hilflosigkeit"
- Gefängnis-Seelsorger im Interview: "Menschen im Gefängnis sind nicht nur arm an Freiheit"
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