Eigentlich wollte das Klinikum Main-Spessart maximal zwei Covid-Patienten auf der Intensivstation aufnehmen. Mehr gaben die Räumlichkeiten in Lohr nicht her. Heute liegen hier vier Patienten. "Wir haben auch Pläne, um sechs Patienten zu versorgen", sagt Oberärztin Dr. Susann Walz. "Dann wären wir aber im Bereich der Katastrophen-Medizin. Das wäre dramatisch."
Quasi über Nacht hat die Haustechnik hier vor einigen Monaten Wände hochgezogen und Schleusen für Isolationszimmer eingerichtet. Die Techniker haben die Baumärkte in der Region angefahren, um irgendwie Schutzbrillen für das Intensivpersonal aufzutreiben. Aus normalen Drei-Bett-Intensiv-Zimmern wurden zwei Isolations-Doppelzimmer. Viel haben sie hier improvisiert, immer wieder probieren sie neue Methoden aus, um den Covid-Patienten die optimale Pflege zu ermöglichen – und auch, um den "regulären" Intensivpatienten weiter gerecht werden zu können.
"In der ersten Corona-Welle waren wir hier ängstlich, aber auch euphorisch", erinnert sich Steffen Daiss, stellvertretender Leiter der Station. "Wir haben uns gesagt, wir schaffen das, wenn wir einfach zusammenhalten. Da hatten wir auch Erfolge zu verbuchen."
Corona-Wellen waren emotionale Achterbahnfahrt
"In der zweiten Welle haben wir hier richtig gelitten", sagt Oberärztin Susann Walz. Covid-Patienten konnte das Klinikum damals nicht mehr aufnehmen, sie mussten in umliegende Krankenhäuser gebracht werden. Von über 200 Betten im ganzen Haus konnten im Dezember 2020 nur noch maximal 80 belegt werden. Es fehlte schlicht an Personal. "Aber damals gab es den Lichtblick, die Impfung."
Die dritte Welle im Frühjahr 2021 habe das Personal dann recht gut überstanden, sagt Intensivpfleger Steffen Daiss. "Da haben wir uns gesagt, jetzt geben wir nochmal alles, und danach ist es vorbei."
Jetzt, mitten in der vierten Pandemie-Welle, ist die Stimmung auf der Station gedrückt. "Jetzt sind wir einfach nur noch müde", sagt Daiss. "Jetzt kämpft man anders", sagt Stationsleiterin Tanja Tillenburg. "Jetzt sind hier alle Patienten ungeimpft, das ist für mich das schlimmste", sagt Susann Walz.
Erfolgserlebnisse haben sie jetzt kaum noch. In den vergangenen Monaten sind alle Covid-Intensiv-Patienten gestorben. "Das ist bedrückend, weil diese Situation so vermeidbar war", sagt Tillenburg. Sie erzählt von Ehepaaren, die hier gemeinsam gestorben sind, ungeimpft. Und von Angehörigen, die das Bedürfnis haben, sich vor dem Pflegepersonal für die ungeimpften Verwandten zu rechtfertigen.
Vorbereitet auf das Äußerste: Das Triage-Konzept steht
In Lohr sind sie auch auf das Äußerste vorbereitet: Was passiert, wenn nur noch ein Beatmungsgerät verfügbar ist, aber zwei Patienten beatmet werden müssen? Ein Konzept für eine solche Triage-Situation hat Dr. Kilian Distler ausgearbeitet. Der Chef der Intensivstation ist erst im April 2020 vom Würzburger Juliusspital nach Lohr gewechselt und hat dort sofort begonnen, ein Ethikkomitee aufzubauen. 15 Mitglieder aus allen Berufsgruppen, die im Klinikum arbeiten, gehören zu diesem Kreis - Ärztinnen und Ärzte, Pflegefachkräfte, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Verwaltung.
Der Kern des Konzepts: Wenn eine Triage-Situation eintritt, kann das behandelnde Team die Entscheidung an das Ethikkomitee abgeben. Eine kleine Runde tritt dann zusammen: Distler, ein Neurologe, ein Seelsorger. "Vor Ort will man jeden retten, man hat eine Art Allianz mit dem Patienten", erklärt Distler, warum es sinnvoll sein kann, die Entscheidung nicht selber treffen zu müssen.
Das Komitee entscheidet dann nach allgemeinen medizinethischen Prinzipien und nach der Prognose der Patientinnen und Patienten. "Wer die besten Überlebenschancen hat, bekommt das Gerät. Das ist immer eine harte Entscheidung." Auf dieses Prinzip hat man sich in Deutschland und Europa verständigt, erklärt der Leiter der Lohrer Intensivstation. In den USA zum Beispiel werde auf einer ganz anderen Grundlage entschieden: "Dort ist entscheidend, welchen Beruf der Patient hat und wie systemrelevant er ist."
Distler lässt keinen Zweifel daran, wie kritisch er diese Haltung sieht. Und noch haben sie hier in Lohr diesen "Joker", wie er das Komitee nennt, nicht ziehen müssen. An diesem Dezembertag ist die Intensivstation aber genau genommen nur einen Notfall von der Triage entfernt: Alle Beatmungsgeräte sind in Gebrauch. Mit einem Transportgerät könnten sie aber einen Notfall für einige Zeit versorgen. Ein zusätzliches Gerät soll Ende Dezember geliefert werden.
Emotionale Belastung für die Pflege ist groß
Beim Anblick der Covid-Patientinnen und Covid-Patienten kann man sich kaum vorstellen, dass diese Menschen vor wenigen Tagen noch mitten im Leben gestanden haben sollen. Jetzt sind sie mit starken Medikamenten sediert, nicht ansprechbar. Alles Überlebenswichtige übernehmen jetzt entweder die Pflegekräfte oder die Maschinen für sie.
Intensivpflegerin Theresa Fuchs wäscht die Patientinnen und Patienten sorgfältig. Sie entfernt Exkremente von der wasserdichten Unterlage, bezieht mit großer Anstrengung das Bett neu. Sie wäscht die Gesichter, putzt die Zähne. Dabei trägt sie aufwendige Schutzkleidung, riskiert permanent, sich anzustecken. Sie tut es – lange, sorgfältig und achtsam – mögen die Überlebenschancen der Patienten noch so gering sein.
Stationsleitung Tanja Tillenburg ist stolz, dass sich in der ganzen Zeit noch kein Mitarbeiter auf Station mit dem Virus angesteckt hat. Die Maßnahmen würden wirken, die Impfungen auch. "Ich achte darauf, dass ich meine Leute nicht verheize." Und das Team fange sich gegenseitig emotional auf.
Wunsch nach Verbesserung des Gesundheitssystems
Dass die neue Bundesregierung wieder einen Bonus für alle Pflegenden ausgeben will, begrüßt Tillenburgs Stellvertreter Steffen Daiss grundsätzlich. Er ist seit über 20 Jahren Intensivpfleger auf dieser Station. "Wenn ich ganz ehrlich bin, dann will ich im Moment eigentlich nicht mehr Geld", sagt Daiss. "Ich will lieber, dass sich an unserem Gesundheitssystem nachhaltig etwas ändert."
Auf die Frage, was sie in dieser Situation noch bei der Stange hält, erzählen viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die gleiche Geschichte: Von jenem ehemaligen Patienten aus dem Landkreis, der einer der ersten Covid-Erkrankten hier war. Einer der Wenigen, die sie durchgebracht haben in den vergangenen Monaten. Er hält Kontakt zum Pflegeteam, feuert sie mit Karten und Paketen immer wieder an. "Der", sagt Tanja Tillenburg, "hält unsere Moral aufrecht."
Respekt an alle Pflegekräfte in den Krankenhäusern die das aushalten und durchstehen.
Jeder, der sich bewusst nicht impfen lässt, aber könnte, sollte alternativ in einer Klinik aushelfen müssen!
Ich glaube dann würden sich einige anders entscheiden......