Was das Alter betrifft, könnten die zwei ungleicher nicht sein. Sie: Jahrgang 1937. Er: 1994. Und doch teilen sie sich hier, auf der Intensivstation des Krankenhauses St. Josef in Schweinfurt, ein Zimmer. Eine Beatmungsmaske versorgt ihre vom Coronavirus befallenen Lungen mit Sauerstoff.
Ungleicher könnte auch ihre Vorgeschichte kaum sein. Sie: doppelt geimpft, mit langer Liste an Vorerkrankungen. Er: eigentlich kerngesund und ohne Impfschutz. "Der Junge hat vor kurzem geheiratet", sagt Thomas Seufert, Leiter des Fachbereichs Intensiv, und zeigt auf ein Hochzeitsfoto auf dem Nachttisch neben dem Bett. "Beide schlafen gerade nur. Andere hat es noch schlimmer erwischt."
Wenn eine künstliche Lunge die Arbeit übernehmen muss
An diesem Morgen, 25. November, sind um 6.30 Uhr zu Beginn der Frühschicht im St. Josef Krankenhaus in Schweinfurt sieben Corona-Patienten hier auf der Intensivstation. Fünf von ihnen ungeimpft. "Das sind die Anderen", sagt Seufert und blickt durch eine Glasfront in einen sterilen Raum. Darin liegen zwei Covid-Kranke im künstlichen Koma, sediert mit starken Schlafmedikamenten. Jahrgang 1939 und 1987, beide ungeimpft.
Fünf Koma-Patienten seien es heute insgesamt, sagt Seufert. Selber atmen können sie nicht mehr: Über einen Schlauch – den Tubus, der über den Mund in die Luftröhre führt – versorgt eine Beatmungsmaschine die Lunge mit Sauerstoff. Ein weiterer Schlauch saugt Eiter und Schleim ab. "Durch die Bauchlage wird die Lunge zudem besser durchlüftet", erklärt der Intensivpfleger.
Zwölf Pflegerinnen und Pfleger kümmern sich in dieser Frühschicht um die Kranken. Sechs Fachkräfte, sechs Hilfskräfte. "Vor der Pandemie hatten wir in einer solchen Schicht die Hälfte an Personal", sagt der 41-jährige Fachbereichsleiter. Inzwischen ist die Pflege deutlich intensiver: Corona-Patienten im kritischen Zustand zu betreuen, bedeutet Schwerstarbeit. Seufert, seit 2005 Intensivpfleger, bringt dafür alles Nötige mit: Zwei Meter groß, die Arme sind kräftig, das Kreuz ist breit. Und er hat keine Angst, anzupacken – wie all seine Kolleginnen und Kollegen. Denn die Koma-Patienten müssen gewaschen und gedreht werden. Druckstellen durch fehlendes Umlagern können sich schnell zu gefährlichen Geschwüren entwickeln.
Wenn der Schweiß unter der Schutzmontur zu fließen beginnt
"Der Schweiß läuft mir meistens schon nach kurzer Zeit runter", sagt Seufert und lacht, während er sich den Schutzkittel überwirft. Es folgen eine doppelte Lage Gummihandschuhe, zwei Haarnetze, eine zweite Maske und zuletzt das Plastik-Visier, der Spritzschutz. "Trotz der Nähe zu dem Virus habe ich mich bislang nicht infiziert." Die Schutzkleidung wirke. Und auch seine doppelte Impfung, ist er sich sicher.
Der Mann im künstlichen Koma, an dessen Bett Seufert nun mit vier weiteren Pflegerinnen und Pflegern steht, hatte diesen Impfschutz nicht.
"Anfang 30, verheiratet, mehrere Kinder, keine Vorerkrankungen", sagt Seufert, selbst zweifacher Vater, das dritte Kind ist gerade unterwegs. "Ich verstehe das nicht", raunt der 41-Jährige. "Zwei kleine Piekse hätten all das möglicherweise verhindert." Mit "all das" meint Thomas Seufert auch den Ablauf, der nun folgt: Mit einem kontrollierten Kraftakt wuchten vier Pflegerinnen und Pfleger den Mann in die Rückenlage. Der Tubus darf in dieser kritischen Phase nicht verrutschen, er sichert das Überleben des Patienten. "Geschafft", sagt Seufert. Doch der 41-Jährige weiß auch: "Stirbt einer, dann wartet bereits der Nächste auf das freie Bett. Das klingt Schlimm, ist hier aber Realität."
14 Plätze gibt es auf der Intensivstation im St. Josef. Der nächste Notfall ist inzwischen da, es muss schnell gehen. "Unser Alltag im Ausnahmezustand", sagt Seufert. Es ist Corona-Patient Nummer acht, Jahrgang 1960. Auch er: ungeimpft. Die Hände des Mannes zittern. "Das ist die Angst vor dem Ersticken", erklärt Seufert. "Das ist Corona." Eine Pflegerin verkabelt den Mann.
Hier wird jeder Patient dauerüberwacht: Sauerstoffsättigung, Blutdruck, Herzschlag. Auf der Intensivstation piept und fiept es ohne Pause. Ein Blick auf den Monitor: Der Puls - erst bei 113 Schlägen pro Minute, dann 109, schließlich 103 – verlangsamt sich. "Er hat ein Beruhigungsmittel bekommen", sagt Seufert. Das Beatmungsgerät läuft nun auf voller Leistung. "Wahrscheinlich", erklärt der diensthabende Oberarzt Dr. Elmar Wiesner, "müssen wir den Mann heute noch intubieren." Auch diesem Patienten droht das künstliche Koma. Noch in der folgenden Nacht wird er in eine andere Klinik verlegt werden. Um auf der Intensivstation im St. Josef Kapazitäten zu schaffen.
Wenn sich das Sterben auf der Intensivstation ändert
Auf dem Tisch im Pausenraum stehen Brötchen. Im vergangenen Jahr hatte es die für zwei Monate vom Freistaat gratis gegeben, als Dank für die harte Arbeit. Gemeinsam mit reichlich Applaus aus der Bevölkerung. Die Erinnerung daran macht Thomas Seufert wütend. "Klatschen reicht nicht, es gibt immer weniger Menschen, die heute noch unseren Job machen wollen, weil die Belastung so hoch ist." Die Pandemie habe daran einen entscheidenden Beitrag. Viele Überstunden hat Seuferts Team, das 55 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählt, seit März 2020 aufgebaut. "Ich bin so unglaublich dankbar, für jeden der hier arbeitet und einspringt", sagt er. "Jeder leistet hier gleich viel." Seuferts Stimme bricht, der Blick geht zur Seite.
Die aktuelle Situation auf seiner Station, sie bringt den Zwei-Meter-Mann nicht nur an seine körperlichen Grenzen. "Das schlimmste ist, wie sich das Sterben verändert hat", sagt Seufert. Stand 25. November wurden seit Pandemiebeginn 102 Corona-Patienten auf der Intensivstation der Klinik behandelt. 27 haben nicht überlebt.
"Den würdevollen Abschied gibt es nicht mehr", sagt Seufert. Nicht die Rituale, die nicht nur den Angehörigen den Abschluss erleichterten, sondern auch den Pflegerinnen und Pflegern. Der Besuch des Pfarrers bleibt aus. Nur der Leichensack mit Reißverschluss wartet. "All das", sagt Seufert, "macht es mir und auch meinen Kolleginnen und Kollegen unglaublich schwer."