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Schweinfurt
Auf der Intensivstation im St. Josef in Schweinfurt: "Das Sterben hat sich verändert"
Die Kliniken arbeiten am Anschlag. Auch im Krankenhaus St. Josef in Schweinfurt: immer mehr Corona-Patienten, viele jung und ungeimpft. Wir haben eine Frühschicht begleitet.
Ein kurzer und kontrollierter Kraftakt: Vier Personen sind nötig, um den Patienten im künstlichen Koma in die Rückenlage zu drehen. Eine weitere, um den Tubus zu fixieren. 
Foto: Anand Anders | Ein kurzer und kontrollierter Kraftakt: Vier Personen sind nötig, um den Patienten im künstlichen Koma in die Rückenlage zu drehen. Eine weitere, um den Tubus zu fixieren. 
Lukas Reinhardt
 |  aktualisiert: 23.02.2024 14:55 Uhr

Was das Alter betrifft, könnten die zwei ungleicher nicht sein. Sie: Jahrgang 1937. Er: 1994. Und doch teilen sie sich hier, auf der Intensivstation des Krankenhauses St. Josef in Schweinfurt, ein Zimmer. Eine Beatmungsmaske versorgt ihre vom Coronavirus befallenen Lungen mit Sauerstoff.

Ungleicher könnte auch ihre Vorgeschichte kaum sein. Sie: doppelt geimpft, mit langer Liste an Vorerkrankungen. Er: eigentlich kerngesund und ohne Impfschutz. "Der Junge hat vor kurzem geheiratet", sagt Thomas Seufert, Leiter des Fachbereichs Intensiv, und zeigt auf ein Hochzeitsfoto auf dem Nachttisch neben dem Bett. "Beide schlafen gerade nur. Andere hat es noch schlimmer erwischt." 

Wenn eine künstliche Lunge die Arbeit übernehmen muss

An diesem Morgen, 25. November, sind um 6.30 Uhr zu Beginn der Frühschicht im St. Josef Krankenhaus in Schweinfurt sieben Corona-Patienten hier auf der Intensivstation. Fünf von ihnen ungeimpft. "Das sind die Anderen", sagt Seufert und blickt durch eine Glasfront in einen sterilen Raum. Darin liegen zwei Covid-Kranke im künstlichen Koma, sediert mit starken Schlafmedikamenten. Jahrgang 1939 und 1987, beide ungeimpft.

Fünf Koma-Patienten seien es heute insgesamt, sagt Seufert. Selber atmen können sie nicht mehr: Über einen Schlauch – den Tubus, der über den Mund in die Luftröhre führt – versorgt eine Beatmungsmaschine die Lunge mit Sauerstoff. Ein weiterer Schlauch saugt Eiter und Schleim ab. "Durch die Bauchlage wird die Lunge zudem besser durchlüftet", erklärt der Intensivpfleger.

Gemeinsam mit seinem Team seit März 2020 im Corona-Einsatz: Thomas Seufert, Fachbereichsleiter Anästhesie und Intensiv am Krankenhaus St. Josef.
Foto: Anand Anders | Gemeinsam mit seinem Team seit März 2020 im Corona-Einsatz: Thomas Seufert, Fachbereichsleiter Anästhesie und Intensiv am Krankenhaus St. Josef.

Zwölf Pflegerinnen und Pfleger kümmern sich in dieser Frühschicht um die Kranken. Sechs Fachkräfte, sechs Hilfskräfte. "Vor der Pandemie hatten wir in einer solchen Schicht die Hälfte an Personal", sagt der 41-jährige Fachbereichsleiter. Inzwischen ist die Pflege deutlich intensiver: Corona-Patienten im kritischen Zustand zu betreuen, bedeutet Schwerstarbeit. Seufert, seit 2005 Intensivpfleger, bringt dafür alles Nötige mit: Zwei Meter groß, die Arme sind kräftig, das Kreuz ist breit. Und er hat keine Angst, anzupacken – wie all seine Kolleginnen und Kollegen. Denn die Koma-Patienten müssen gewaschen und gedreht werden. Druckstellen durch fehlendes Umlagern können sich schnell zu gefährlichen Geschwüren entwickeln.

Für die Arbeit in den Zimmern der Covid-Patienten wirft Thomas Seufert den Schutzkittel über: Es folgen Gummihandschuhe, zwei Haarnetze, eine zweite Maske und ein Plastik-Visier.
Foto: Anand Anders | Für die Arbeit in den Zimmern der Covid-Patienten wirft Thomas Seufert den Schutzkittel über: Es folgen Gummihandschuhe, zwei Haarnetze, eine zweite Maske und ein Plastik-Visier.

Wenn der Schweiß unter der Schutzmontur zu fließen beginnt

"Der Schweiß läuft mir meistens schon nach kurzer Zeit runter", sagt Seufert und lacht, während er sich den Schutzkittel überwirft. Es folgen eine doppelte Lage Gummihandschuhe, zwei Haarnetze, eine zweite Maske und zuletzt das Plastik-Visier, der Spritzschutz. "Trotz der Nähe zu dem Virus habe ich mich bislang nicht infiziert." Die Schutzkleidung wirke. Und auch seine doppelte Impfung, ist er sich sicher.

Jung, ungeimpft und ohne Vorerkrankungen: Neben älteren Menschen kümmern sich die Intensivpflegerinnen und -pfleger zunehmend auch um solche Patienten. 
Foto: Anand Anders | Jung, ungeimpft und ohne Vorerkrankungen: Neben älteren Menschen kümmern sich die Intensivpflegerinnen und -pfleger zunehmend auch um solche Patienten. 

Der Mann im künstlichen Koma, an dessen Bett Seufert nun mit vier weiteren Pflegerinnen und Pflegern steht, hatte diesen Impfschutz nicht.

"Anfang 30, verheiratet, mehrere Kinder, keine Vorerkrankungen", sagt Seufert, selbst zweifacher Vater, das dritte Kind ist gerade unterwegs. "Ich verstehe das nicht", raunt der 41-Jährige. "Zwei kleine Piekse hätten all das möglicherweise verhindert." Mit "all das" meint Thomas Seufert auch den Ablauf, der nun folgt: Mit einem kontrollierten Kraftakt wuchten vier Pflegerinnen und Pfleger den Mann in die Rückenlage. Der Tubus darf in dieser kritischen Phase nicht verrutschen, er sichert das Überleben des Patienten. "Geschafft", sagt Seufert. Doch der 41-Jährige weiß auch: "Stirbt einer, dann wartet bereits der Nächste auf das freie Bett. Das klingt Schlimm, ist hier aber Realität."

"Stirbt ein Corona-Patient, dann wartet bereits der Nächste auf das freie Bett."
Thomas Seufert, Fachbereichsleiter Anästhesie und Intensiv

14 Plätze gibt es auf der Intensivstation im St. Josef. Der nächste Notfall ist inzwischen da, es muss schnell gehen. "Unser Alltag im Ausnahmezustand", sagt Seufert. Es ist Corona-Patient Nummer acht, Jahrgang 1960. Auch er: ungeimpft. Die Hände des Mannes zittern. "Das ist die Angst vor dem Ersticken", erklärt Seufert. "Das ist Corona." Eine Pflegerin verkabelt den Mann.

Auf der Intensivstation im St. Josef Krankenhaus stehen die Patientinnen und Patienten unter Dauerbeobachtung: Alle Vitalparameter werden hier überwacht.
Foto: Anand Anders | Auf der Intensivstation im St. Josef Krankenhaus stehen die Patientinnen und Patienten unter Dauerbeobachtung: Alle Vitalparameter werden hier überwacht.

Hier wird jeder Patient dauerüberwacht: Sauerstoffsättigung, Blutdruck, Herzschlag. Auf der Intensivstation piept und fiept es ohne Pause. Ein Blick auf den Monitor: Der Puls - erst bei 113 Schlägen pro Minute, dann 109, schließlich 103 – verlangsamt sich. "Er hat ein Beruhigungsmittel bekommen", sagt Seufert. Das Beatmungsgerät läuft nun auf voller Leistung. "Wahrscheinlich", erklärt der diensthabende Oberarzt Dr. Elmar Wiesner, "müssen wir den Mann heute noch intubieren." Auch diesem Patienten droht das künstliche Koma. Noch in der folgenden Nacht wird er in eine andere Klinik verlegt werden. Um auf der Intensivstation im St. Josef Kapazitäten zu schaffen.

Wenn sich das Sterben auf der Intensivstation ändert

Auf dem Tisch im Pausenraum stehen Brötchen. Im vergangenen Jahr hatte es die für zwei Monate vom Freistaat gratis gegeben, als Dank für die harte Arbeit. Gemeinsam mit reichlich Applaus aus der Bevölkerung. Die Erinnerung daran macht Thomas Seufert wütend. "Klatschen reicht nicht, es gibt immer weniger Menschen, die heute noch unseren Job machen wollen, weil die Belastung so hoch ist." Die Pandemie habe daran einen entscheidenden Beitrag. Viele Überstunden hat Seuferts Team, das 55 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählt, seit März 2020 aufgebaut. "Ich bin so unglaublich dankbar, für jeden der hier arbeitet und einspringt", sagt er. "Jeder leistet hier gleich viel." Seuferts Stimme bricht, der Blick geht zur Seite.

Stand Donnerstag wurden seit Pandemiebeginn 102 Corona-Patienten auf der Intensivstation der Klinik St. Josef behandelt. 27 haben nicht überlebt.
Foto: Anand Anders | Stand Donnerstag wurden seit Pandemiebeginn 102 Corona-Patienten auf der Intensivstation der Klinik St. Josef behandelt. 27 haben nicht überlebt.

Die aktuelle Situation auf seiner Station, sie bringt den Zwei-Meter-Mann nicht nur an seine körperlichen Grenzen. "Das schlimmste ist, wie sich das Sterben verändert hat", sagt Seufert. Stand 25. November wurden seit Pandemiebeginn 102 Corona-Patienten auf der Intensivstation der Klinik  behandelt. 27 haben nicht überlebt.

"Den würdevollen Abschied gibt es nicht mehr", sagt Seufert. Nicht die Rituale, die nicht nur den Angehörigen den Abschluss erleichterten, sondern auch den Pflegerinnen und Pflegern. Der Besuch des Pfarrers bleibt aus. Nur der Leichensack mit Reißverschluss wartet. "All das", sagt Seufert, "macht es mir und auch meinen Kolleginnen und Kollegen unglaublich schwer."

Der Autor über diese Reportage

Auf der Intensivstation im St. Josef in Schweinfurt: 'Das Sterben hat sich verändert'
Foto: Lukas Reinhardt
Ich habe viel gelesen über die Lage auf den Intensivstationen. Doch mit eigenen Augen zu sehen, in welchem Ausmaß das Personal derzeit am Anschlag arbeitet, war etwas völlig anderes. Es war eine Erfahrung, die sich einprägt: Da waren junge Menschen im eigenen Alter, die im künstlichen Koma liegen. Pflegende, die ihre Gesundheit für uns alle aufs Spiel setzen. Und ein Gesundheitssystem, das sich zu den modernsten der Welt zählen möchte, nun aber an seine Grenzen stößt. Nach dem Herzstillstand eines Patienten auf Normalstation, war die Intensivstation für einige Stunden komplett voll und nicht weiter aufnahmefähig, kein einziges Bett war mehr frei.
Seit meinem Besuch am Donnerstag sind vier der acht Corona-Patienten von der Intensivstation im Krankenhaus St. Josef in andere Kliniken verlegt worden. Um Platz zu schaffen. Alle vier Betten sind inzwischen  – Stand Dienstagmittag – wieder mit Covid-Kranken belegt. Die Belastung für die Belegschaft bleibt. Anders als für mich ist der Ausnahmezustand für sie längst Alltag.
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Kommentare
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  • Linter07212602
    Das ist einfach Wahnsinn, Respekt für diese unglaubliche Leistung vom gesamten Personal. Wenn man nicht in der Pflege arbeitet, vergisst man viel zu oft was dort geleistet wird.
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  • fsbl
    Meinen aller höchsten Respekt vor allen Mitarbeitern im Pflegebereich, vor allem auf den Intensivstation. Das ist selbstloser Einsatz am Mitmenschen. Den Vorschlag, sich bei ihnen ab sofort mit dem doppelten Gehalt zu bedanken, kann ich nur unterstützen. Dankesworte allein reichen nicht, liebe Politiker! Alle Ungeimpfte sollten einen Tag dort mitarbeiten, dann würden viele anders denken.
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