Ein junger Schweinfurter begleitet den Abzug der Amerikaner fotografisch. Als aus der US-Kaserne ein Flüchtlingszentrum wird, kommt er wieder. Und findet Parallelen.
Der Soldat wollte sich für einen höheren Posten bewerben, ein Porträtfoto genügte dafür. So stand er im Fotostudio der US-Base zwar in Uniform stramm. Doch die Flipflops, die ließ er an. Auch der Szene mit den beiden US-Soldaten, die vor der rot-weißen fränkischen Flagge rasenmähen, mutet etwas Bizarres an. „Vermutlich Arbeitsbeschaffungsmaßnahme“, sagt Max Ernst Stockburger.
Als die Auflösung der U. S. Army Garrison Schweinfurt beschlossen war und ab 2012 immer mehr Soldaten abgezogen wurden, wandelte sich die in ihren Hochzeiten über 12.000 Personen große Garnison zu einer Geisterstadt. „Und jeder“, sagt Max Ernst Stockburger, „hat trotzdem versucht, beschäftigt zu wirken.“ Auch im Commissary Supermarket wurde für den letzten Valentine's Day 2014 noch einmal so stereotyp-schön dekoriert wie die Jahrzehnte zuvor. Max Ernst Stockburger, Jahrgang 1988, ist in Schweinfurt groß geworden. USA! Das war für ihn nichts Fernes, auf der anderen Seite des Atlantiks, nicht Hollywood oder New York. Die USA lagen gleich hinterm Zaun. Und diese andere, fremd-faszinierende Welt da ganz in der Nähe des Elternhauses wurden ihm „zu einer Herzensangelegenheit“.
Als er sich 2010 für ein Fotografiestudium in Hannover entschied, wollte er eine Bilddokumentation der US-Basein die Bewerbungsmappe legen. Doch das Public Affairs Office lehnte ab. Ein Jahr später hört der Student vom Abzug– und versucht es erneut. Nach „einem ewigen Hin und Her“ darf der junge Schweinfurter tatsächlich auf das Gelände. Man hat für Stockburger „extra einen eigenen US-Soldaten abgestellt“, der nur dafür zuständig ist auf ihn aufzupassen. Auch als die Garnison schon weitgehend aufgelöst und fast keiner mehr da ist. „Einfach nur noch grotesk.“
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Irgendwann erkennt das Public Affairs Office, dass es dem jungen Fotografen, der zwei Jahre lang regelmäßig kommt, ernst ist mit der Dokumentation. Dass er wertfrei, unverfälscht, einfühlsam ist mit seiner Kamera. Und lässt ihn einfach alleine machen.
Soldaten beim Rasenmähen. Der Military Clothing Shop, in dem die Soldaten ihre Paradeuniform selbst kaufen müssen. Die Fast Food Restaurants, den Commissary Supermarket, das Matratzen- und Möbellager der U. S. Army Garrison. Soldatenzimmer. Max Stockburger bildet ab. Und merkt immer mehr, wie sehr die öffentliche Wahrnehmung der Garnison in seiner Heimatstadt, wie sehr auch sein eigenes Bild dieser amerikanischen Welt, auf die er so neugierig ist, „verzerrt ist“. Als im September 2014 in den Ledward Barracks die Amerikaner beim letzten Fahnenappelldie Sternenbanner der beiden Schweinfurter Kasernen an Oberbürgermeister und Landrat übergeben, hat Max Ernst Stockburger 40 Rollen Film à 100 Bilder zusammen. Und macht ein Buch. Aufwändig, mit eigenem Geld und zusammengesammeltem, 100 Exemplare gibt es davon.
Die Amis sind weg, in Hannover geht das Studium weiter. Max Ernst Stockburger geht mit einem Stipendium für anderthalb Jahre nach Japan, nach Hiroshima. Völlig überrascht, „wie amerikanisch es dort ist“, fasziniert vom amerikanischen Einfluss, fotografierte er Japan „als wären es die USA“.
Dann ist er zurück in Deutschland, beginnt den Master in Bielefeld, zieht nach Berlin. Und bekommt bei den Heimatbesuchen mit, wie 2015 aus dem ehemaligen US-Militärstützpunkt plötzlich eine Flüchtlingseinrichtung geworden ist. Wie an diesem einen Ort, der auf den Fliegerhorst und die Panzerkaserne der Nationalsozialisten zurückgeht, 80 Jahre deutsche und europäische Geschichte zusammenfallen – „für mich ist das unheimlich spannend zu sehen“, sagt der 30-jährige Fotograf. Und er sagt: „Es lässt sich durchaus eine Parallele von US-amerikanischen Kriegseinsätze zur 'Flüchtlingskrise' ziehen.“
Stockburger will wieder fotografieren. Nüchtern dokumentieren. Im August 2018 kann er für kurze Zeit mit der Kamera aufs Gelände. Gerade ist die Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in der ehemaligen US-Ledward-Kaserne zum Ankerzentrum für Unterfranken geworden. Ankunft, Entscheidung, Rückführung. Ein paar Jahre zuvor mähten, weil sie sonst nichts mehr zu tun hatten, Soldaten zur Beschäftigung den Rasen. Die Flüchtlinge, die Stockburger kennenlernt, können in der verordneten Untätigkeit nur warten. „Aber das Moment war das Gleiche, der Schwebezustand, diese Langeweile“, sagt Stockburger.
In der Lagerhalle des ehemaligen PX Supermarktes ist jetzt die Essensausgabe des Ankerzentrums. Auch Matratzen werden dort provisorisch gelagert, weil die meisten Betten nach dem Rückgang der Flüchtlingszahlen überflüssig wurden. Stockburger fotografiert die Schlafhalle der Flüchtlinge auf dem Gelände, das mal die Conn Barracks, der zweite große US-Standort bei Geldersheim, waren. Die Zelte und Kabinen mit den Hochbetten, in denen sich 2015 die Flüchtlinge drängten, stehen noch. Wieder leer. Wie verlassen.
Hier Clothing Shop mit Einheitsuniform für die Soldaten, da Rotkreuz-Kleiderkammer mit buntzusammengewürfelten getragenen Sachen für die Flüchtlinge. Hier Fotostudio für Soldatenbewerbungsfotos, da Kameras im Büro der erkennungsdienstlichen Untersuchung im Ankerzentrum. Hier Soldatenzimmer, da Flüchtlingszimmer. 20 Rollen Film hat Max Ernst Stockburger belichtet, als er im Ankerzentrum nicht weiter fotografieren darf. Genug Material, um krasse Gegensätze und verblüffende Parallelen in Bildpaaren zu zeigen.
Der Ort – er ist derselbe. Und doch um Welten anders. Aus der wohlgeordneten Armeebasis, die den stationierten Soldaten ein wenig Heimat und Kleinstadtgefühl bieten sollte, ist eine Transitstation geworden, anonym und freundlos. Hier feiern Soldaten Thanksgiving und gehen mit der Familie in der geschmückten Cafeteria fein Truthahn essen, die Kleinen sitzen im Maxicosi dabei. Dort stehen Kinderwagen vor dem alten Wehrmachtsgebäude, in dem jetzt Flüchtlingsfrauen leben. Weil es keine Aufzüge gibt in dem Bau, müssen die Kinderwagen vor der Türe bleiben.
„Es hat eine Weile gedauert, bis ich die Bildsprache hatte“, sagt Max Ernst Stockburger, der erst die Stimmung an einem Ort abtastet und erspürt, bevor er Aufnahmen macht. Der 30-Jährige bedauert, wie wenig Auseinandersetzung es gibt. Er würde sich wünschen, dass in seiner Heimatstadt diese abgetrennten Mikrokosmen – Soldaten einst, Flüchtlinge heute – präsenter sind. Dass man sich mehr interessieren würde füreinander, dass es mehr Austausch gäbe.
Wie bewertet der Fotograf die Veränderungen?
„Ich versuche seit einigen Jahren, die Geschichte des Ortes adäquat aufzuarbeiten“, sagt Stockburger und meint damit auch die nationalsozialistische Vergangenheit. „Leider ohne Erfolg. Es scheint, als würde dieser Ort die normale Bevölkerung nichts angehen.“ Seine Soldaten- und Flüchtlinge-Bilder wären ein leichter erster Zugang. Eine Ausstellung der Kasernen-Bilder? „Gerne!“, sagt Stockburger. Aber wo und wie?