Die US-Army in Schweinfurt ist Vergangenheit. Das Abschiednehmen in den Kasernen Ledward und Conn, den Wohngebieten Yorktown und Askren Manor sowie dem Keßlerfield erfolgte etappenweise. Wie sehr Schweinfurter und Amerikaner sich schätzten, zeigte sich beim letzten Fahnenappell im September 2014 in Ledward: Colonel Christopher M. Benson übergab die Sternenbanner der Kasernen an Oberbürgermeister Sebastian Remelé und Landrat Florian Töpper. Fast 70 Jahre haben die Amerikaner mit zu Spitzenzeiten über 12 000 Soldaten und Angehörigen das Leben in Schweinfurt geprägt. Jetzt sind sie weg.
Ein junger Schweinfurter hat eine bleibende fotografische Dokumentation geschaffen. Max Ernst Stockburger ist in Schweinfurt geboren und aufgewachsen. Das Elternhaus stand nicht weit von Ledward-Kaserne und Heeresstraße entfernt, gleich nebenan gab es amerikanische Wohnsiedlungen. Stockburger, Jahrgang 1988, begann 2013, den Abzug, das Leben der Amerikaner in Bildern festzuhalten. Sein Buch ist beeindruckend. Die Fotos darin brauchen keiner großen Worte. Sie erzählen nüchtern, aber einfühlsam und sensibel von den letzten Tagen der Amerikaner in Schweinfurt. Stockburger gelingt eine Darstellung der Amerikaner, die viele von uns – auch der Zeitungsreporter – so nicht kannten. Insofern ist das Buch mehr als ein Dokumentieren des Abzugs.
Max Ernst Stockburger studiert seit 2011 Fotografie in Hannover, will weniger den Weg Richtung Journalismus, sondern Kunst gehen. Zur Zeit befindet er sich im japanischen Hiroshima, absolviert dort bis August ein Auslandsjahr. Ein Projekt: Dieses Jahr jährt sich zum 70. Mal der Abwurf der Atombombe auf Hiroshima. Er fotografiert entlang der 40 Kilometer langen Straße durch den Memorial Park, die skurrilerweise vor der US-Marine Air Force Station Iwakuni endet. Das Projekt nennt er „eine Reise durch die letzten 70 Jahre Japan, die vor allem vom enormen Einfluss der Amerikaner auf dieses Land erzählt“.
Das Interview mit ihm erfolgte am Telefon und per E-Mail. Wie kam er zur Fotografie? Eine erste Fotokamera erhielt er 2010 als Geschenk. Bei einem zweimonatigen Road Trip durch Nordamerika wenig später setzt er sich erstmals „so richtig mit Fotografie auseinander“. Nach der Rückkehr begann Max Ernst das geplante Industriedesign-Studium, merkte schnell, dass das nichts für ihn ist.
Max Ernst zog zur Selbstfindung nach Berlin, trampte am Ende einmal durch Europa und wusste danach, dass er statt Schreibtischarbeit „raus will in die Welt und am liebsten dabei noch etwas selbst erschaffen möchte“. Die Fotografie erschien ihm als ziemlich gute Lösung dafür.
Neben dem 2011 begonnenen Studium besuchte Max Ernst Philosophie-Seminare der Leibniz-Uni und er beschäftigte sich mit Fragen, die gar nicht oder kaum mit der Fotografie zu erfassen sind. „Das hat dazu beigetragen, dass ich mich nicht unbedingt im klassischen Feld des Fotojournalismus sehe.“ Deshalb auch hätten viele seiner Arbeiten gar nichts mehr mit Fotografie zu tun oder bedienten sich ihrer nur ganz am Rand.
Die Idee mit der US-Base hatte er früh. Sie sollte Hauptbestandteil der Bewerbungsmappe fürs Studium in Hannover sein. Das war aber 2011 nicht möglich, da das Public Affairs Office (Öffentlichkeitsarbeit der US-Army) nicht genügend Leute für sein „Monsterprojekt“ hatte. Das Thema kehrte zurück, als er vom Abzug hörte. „Vor allem war es aber die eigene Neugier, die mich getrieben hat.“ Zu Beginn wollte er „einfach nur diesen historischen Moment für unsere Stadt und auch für mich selbst festhalten“.
Je mehr sich Max Ernst Stockburger allerdings mit dem Thema beschäftigte, merkte er, dass sowohl sein eigenes Bild als auch das der öffentlichen Wahrnehmung bezüglich der Garnison „ganz schön verzerrt ist“. Stockburger suchte das Gespräch mit Geschichtswissenschaftlern, Soziologen, Amerikanisten, Militärspezialisten. Je tiefer er eintauchte, „desto weiter in den Hintergrund ist eigentlich die Tatsache gerückt, dass sich all das in meiner Heimatstadt abspielt“.
„Why Quit Our Own To Stand Upon Foreign Ground?“ so der Titel. Es stammt von George Washington und bedeutet sinngemäß: Warum unser eigenes Gebiet verlassen, um auf fremdem zu stehen. In einem Epilog schildert der Herausgeber das wenig aufregende Leben mit den Amerikanern in der Stadt, die Begegnungen mit dem Amerikanischen. „Der Mittelpunkt der Erde lag für mich nicht, wie für die meisten Kinder meines Alters, rund 6000 Kilometer weit westlich, sondern lediglich vier Straßen entfernt vor unserer Haustür“, schreibt er. Max Ernst schildert auch das durch die Anschläge vom 11. September 2001 schlagartige Ende der „friedlichen Koexistenz“, als die US-Einrichtungen militärischen Festungen glichen. Beeindruckend ist eine Begegnung von Max Ernst mit US-Soldaten im Jugendkulturzentrum Stattbahnhof, die ein halbes Jahr zuvor aus dem Irakkrieg zurückgekommen waren. Er habe sich auch Fragen zum Krieg, zum Sterben eines Freundes zu stellen getraut und von allen bereitwillig Auskunft erhalten. Nur einer schwieg, starrte ins Leere. Wenig später nannte dieser US-Soldat den auch den Kameraden unbekannten Grund: „They shot my little brother“. Auch der jüngere Bruder war Soldat im Irak und umgekommen. „Nun war ich es, der einfach nur dastand und in die Leere starrte. Mir liefen die Tränen in Strömen die Wangen herab“, schreibt er.
Was auf den ersten Blick nicht auffällt, verrät der Autor. Die Zahl 9 spielt eine ziemlich wichtige Rolle. Der Titel besteht aus 9 Wörtern. Auch das abgebildete Abzeichen mit 9 Streifen ist die symbolische Umsetzung des Titels. Außerdem: Es gibt 9 Zitate von ehemaligen US-Präsidenten, die alle 9 Seiten erscheinen. Was hat es mit der 9 auf sich? Max Ernst Stockburger will es „nicht gleich verraten“.
Das Buch hat das Format der Feldzeitung des US Militärs. Es gibt nur 100 Stück. 75 normale Versionen – „Fußsoldaten“ – und 25 „Deluxe-Generäle“, die Stockburger alle in mühevoller Handarbeit komplett selbst hergestellt hat. Zwei Jahre Arbeit und ein paar Tausend Euro hat ihn das Werk gekostet. Der Preis von 79 Euro für einen „Fußsoldaten“ und 129 Euro für den „General“ mag deshalb auf den ersten Blick teuer wirken: Er ist berechtigt. Finanziert hat er das Buch teilweise über Crowdfunding. Für die finanziellen Hilfen der Firma Krönlein, der Stadt Schweinfurt und privater Schweinfurter dankt er. Das Buch hat es auf die „2014 Fotobuch Topliste der Photonews“ geschafft. Es ist im Buchhandel erhältlich.