Der letzte Kommandeur ist schon im Juni 2013 gegangen, die letzte große militärische Zeremonie war vergangenen Mai. Ende August schließlich ist der letzte Soldat verabschiedet worden. Die US Army hat Schweinfurt bereits verlassen, die riesigen Kasernengelände sind seit Wochen verwaist, die Gebäude leergeräumt und abgeschlossen. An den Türen kleben rote Punkte, Zeichen dafür, dass Wohngebäude, Garagen und Lagerhallen, Supermarkt und Theater bereit sind für die Übergabe an die BImA, die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, Eigentümerin aller amerikanischen Militärgelände in Deutschland. Am heutigen Freitag nun findet in den Ledward Barracks die endgültig letzte Schließungszeremonie statt, dann ist das Kapitel „Schweinfurt und seine Amerikaner“ – so auch der Titel einer Ausstellung, die noch bis Sonntag im Konferenzzentrum zu sehen ist – beendet.
Die gemeinsame Geschichte beginnt mit dem Einmarsch. Am Nachmittag des 11. April 1945, einem frühlingshaft warmen Mittwoch, hissen die Soldaten der 42. US-Infanterie-Division „Rainbow“ am Rathaus das Star Spangled Banner. Zuvor ist die Stadt – nach Jahren der Bombardierungen – zwei Tage lang von der Artillerie beschossen worden. Zeitgenössische Fotos zeigen Jeeps in schuttgesäumten Straßen, erste Begegnungen zwischen Kindern und GIs. Kurt Köhler, Jahrgang 1932, bekommt den ersten Kaugummi seines Lebens. Abends kleben die Kinder ihren Chewinggum an den Bettpfosten, um ihn am nächsten Tag weiterzukauen. Kurt Köhlers Geschichte ist, wie viele weitere, im Katalog zur oben erwähnten Ausstellung festgehalten. Die Kunsthistorikerin Daniela Kühnel hat dafür mit vielen Zeitzeugen gesprochen und unzählige Bilder zusammengetragen.
Die zeigen Schutträumaktionen oder einen Soldaten, der ein Schild „Adolf-Hitler-Straße“ abschraubt. Auch erste sportliche Begegnungen zwischen Siegern und Besiegten – zunächst ist dies der Status beider Seiten. Erst herrschen Ausgangssperre und Fraternisierungsverbot, dann entfalten Essen, Musik und Mode des American Way allmählich und unaufhaltsam ihre Anziehungskraft.
Die Army zieht 1951 in die 1936 gebaute Panzerkaserne an der Niederwerrner Straße, die fortan „Ledward Barracks“ heißt. Zunächst gilt es, in der zerstörten Stadt eine neue Verwaltung aufzubauen. Care-Pakete oder Schulspeisung mit Kakao und Weißbrötchen, Austauschprogramme oder Seifenkistenrennen haben alle ein Ziel: Erziehung zur Demokratie. Dazu gehört auch das Amerika-Haus, das ein junger Westfale namens Günther Fuhrmann leitet, ein großer Bewunderer der jungen amerikanischen Dramatiker wie Eugene O'Neill oder Arthur Miller. Fuhrmann (1925 bis 2013) wird von 1962 bis 1990 erster Chef des Schweinfurter Theaters, das er zu einem Gastspielhaus von überregionaler Bedeutung aufbaut.
Auf Kaugummi, Nylons und Zigaretten folgen Jazz, Country und Folk. Livemusik gibt es zunächst in Clubs in den Kasernen, doch bald auch in der Stadt. 1959 tritt Johnny Cash auf, der Wehrpflichtige Elvis Presley allerdings, ganz in der Nähe stationiert, macht leider nur einen – historisch noch nicht endgültig belegten – Zwischenstopp in den Conn Barracks vor den Toren der Stadt. Für den jungen Bergrheinfelder Ed Sperber, Jahrgang 1937, ist der Jazz eine Offenbarung. Sperber steigt bereits mit 16 Jahren beim Orchester Oskar Emmert ein. Später wird er Leiter des Nürnberger Rundfunk-Tanzorchesters und Professor an der Musikhochschule Würzburg.
1956 gründet sich der Schweinfurter Jazz-Club, der deutsche wie amerikanische Musiker einlädt, zum Beispiel Oskar Peterson, der nach dem Konzert geduldig Schellack-Platten der deutschen Fans signiert.
Neben der Annäherung – die erste deutsch-amerikanische Ehe in Schweinfurt wird am 31. März 1947 geschlossen – gibt es auch Härten. So beschlagnahmt die Army neben Ämter- und Schulgebäuden ganze Wohnviertel in einer Stadt, die ohnehin ein massives Wohnungsproblem hat. Die Wohnungsinhaber dürfen nichts mitnehmen und müssen oft jahrelang in engen Notquartieren zusammenleben. Auch gibt es Vorurteile gegenüber den schwarzen Soldaten. Diese fallen jedoch – anders als hin und wieder betrunken randalierende und schlägernde weiße GIs – durch Freundlichkeit und Freigebigkeit auf.
Im Kalten Krieg sind die Amerikaner als Schutzmacht präsent, vor allem aber als verlässlicher Wirtschaftsfaktor. Gastronomie, Taxigewerbe und viele Vermieter zählen auf die Army. In ihren Hochzeiten umfasst die Garnison 12 000 Menschen – Soldaten, Angehörige, Angestellte. Über die Jahrzehnte wird das Zusammenleben zum Alltag – die Kontakte sind vielfältig, auch wenn es immer eine Gruppe Armeeangehöriger gibt, die ungern den Schutzraum der Kasernen verlassen. Die verschärften Sicherheitsvorkehrungen nach dem 11. September 2001 machen zwar manche Begegnung umständlicher, beeinträchtigen die Beziehungen aber nicht grundsätzlich.
In der Stadt werden nun 90 Hektar auf mehreren Flächen frei – rund 300 Gebäude, Siedlungen mit 700 Wohnungen, Schulen, Einkaufszentren, Turnhallen, eine Tankstelle, ein Krankenhaus, Kino und Kirche. Auf Geldersheimer und Niederwerrner Gebiet liegen die gut 200 Hektar großen Conn Barracks mit 280 Gebäuden und Flugplatz. Hinzu kommen Übungsgelände, darunter der Brönnhof mit gut 2500 Hektar.
Auf die Koexistenz folgt die Konversion: Stadt, Landkreis und betroffene Gemeinden haben einen Zweckverband gegründet, um möglichst schnell neue Nutzungen zu entwickeln. Erste Pläne sehen einen internationalen Hochschulcampus in den Ledward Barracks vor und einen Standort für Logistik-Unternehmen in den Conn Barracks.
Ein neuer Aspekt ist hinzugekommen: Wie berichtet, ist Schweinfurt als Standort für eine Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber vorgesehen. Deren Einrichtung – wo auch immer sie Platz findet – wird einige Monate in Anspruch nehmen. Dringend benötigt werden allerdings temporäre Notunterkünfte für die Flüchtlinge, und die Regierung von Unterfranken macht kein Hehl daraus, dass dafür auch die beiden Schweinfurter US-Kasernen im Gespräch sind.