Würzburg ab 1860: Alexander Kraus präsentiert in einem neuen Buch Fotografien, die Würzburg vor eineinhalb Jahrhunderten zeigen. Manches, was man sieht, mag man kaum glauben.
Das soll die Schönbornstraße sein? Straßenbahnschienen schlängeln sich zwischen Kopfsteinpflaster durch ein enges verwinkeltes Gässchen. Die Schaufenster sind verbarrikadiert. Ein Mann steht einsam herum. Falls er etwas einkaufen will, wird er in diesen Läden nicht fündig werden.
Was für ein Unterschied zu heute: Außer dem Kaufhof locken in der Schönbornstraße Dutzende Geschäfte zum Shoppen, ihre Auslagen sind auch nachts hell beleuchtet. Einsam ist es hier höchstens in den frühen Morgenstunden.
Zugegeben: Das Bild aus dem Buch "Würzburg 1860-1900" mit seltenen Fotografien aus der Sammlung von Alexander Kraus zeigt die Sandgasse, die erst später Schönbornstraße hieß. Es wurde im Jahr 1891 aufgenommen. Damals war die Pferdebahn neu und die Sandgasse eng. Lange sollte es allerdings nicht so bleiben. Mitte der 1890er Jahre wurden die Häuser abgebrochen und die Straße verbreitert. Neue Gebäude entstanden, und 1900 wandelte sich die Pferdebahn zur elektrischen Straßenbahn. Die Sandgasse, die vom Dominikanerplatz zum Marktplatz führte, hieß hinfort Schönbornstraße. Eine Gasse war sie definitiv nicht mehr.
Das 144 Seiten umfassende Buch mit seinen rund 70 historischen Fotos, sachkundig erläutert von Alexander Kraus, ist ein Schatzkästlein mit überraschenden, manchmal verwirrenden Einblicken. Der Kürschnerhof machte beispielsweise früher seinem Namen alle Ehre und präsentierte sich wirklich als Hof, abgetrennt von der Domstraße durch das prächtige alte Landgericht. Auf einem Foto, das ebenfalls von 1891 stammt, führt das Gleis der Pferdebahn durch einen Torbogen zur Domstraße. Das Landgericht wurde 1894 abgerissen; seitdem fährt die Bahn zweigleisig um die Kurve.
Faszinierend auch der Blick auf die Rückfront des Juliusspitals, festgehalten im Jahr 1882. Die Pfade durch den sorgfältig gepflegten Garten und die Gewächshäuser irritieren – aber nur so lange, bis man sich vergegenwärtigt, dass sich hier damals der Botanische Garten der Universität befand.
Und so geht es immer weiter: Eines der ältesten Fotos, aufgenommen 1869, zeigt die obere Juliuspromenade und den Barbarossaplatz mit Pferdegespannen. Der Barbarossaplatz, heute eine einheitliche Fläche, war damals terrassiert.
Die Fotos, die der Sammler Alexander Kraus 2018 zusammen mit vielen anderen aus seinem Bestand an das Würzburger Stadtarchiv abgab, hatte er über Jahre hinweg erworben, einige von einem Antiquariat in der Nähe von Paris. In zahlreichen Fällen waren dem Kauf längere Preisverhandlungen vorausgegangen.
Die Bilder ermöglichen Einblicke in die Geschichte der Fotografie. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verließen die Fotografen ihre Ateliers und machten sich daran, mit ihren unhandlichen Apparaten die Umgebung zu dokumentieren. Angesichts langer Belichtungszeiten und der hohen Kosten des Equipments waren spontane Schnappschüsse unmöglich – auch ein Grund dafür, dass die historischen Stadtsichten Ruhe und Beschaulichkeit ausstrahlen.
Die Bilder stammen, soweit die Fotografen bekannt sind, mehrheitlich von Franz Albert und Otto Patzig aus Würzburg und Sophus Williams aus Berlin. Von Albert weiß man wenig, außer dass er sein Studio in der Sanderglacisstraße hatte.
Otto Patzig war nicht nur Fotograf, sondern auch Maler; sein Studio befand sich am Main. Patzig, der 1885 starb, leitete ab 1860 die Kunstschule in Würzburg. Dass er nicht nur Porträts malte, sondern auch faszinierende Stadtansichten im Foto festhielt, zeigt seine Aufgeschlossenheit der neuen Technik gegenüber.
Sophus Williams hieß eigentlich Sophus Vilhelm Schou und stammte aus Kopenhagen. Er ließ sich nach einem Aufenthalt in London in Berlin nieder und betätigte sich selbst als Fotograf, verlegte aber zusammen mit einem Kompagnon auch die Aufnahmen anderer. Im Jahr 1873 beteiligte sich das Unternehmen an der Weltausstellung in Wien.
Ebenfalls in Würzburg wirkte Jean Gattineau, dem wir das Foto des terrassierten Barbarossaplatzes von 1869 verdanken. Gattineau hatte offenbar einen guten Namen; der "Würzburger Anzeiger" lobte jedenfalls bereits 1856 "Treue, Reinheit und Sorgfalt der Ausführung" seiner Bilder. Auf der Rückseite bezeichnet er sich als herzoglich-sächsischer Hoffotograf mit einem Studio in der Herrengasse, der heutigen Herrnstraße, "visavis dem bischöflichen Palais".
Mit Titel und Adresse verband Gattineau zweifellos die Absicht, sich und seinen Fotos mehr Respektabilität zu verschaffen. Damals mag das nötig gewesen sein. Heute ist die Fotografie längst als eigenständige, ernst zu nehmende Kunstgattung etabliert.
Das Buch: Alexander Kraus, Würzburg 1860-1900. Seltene Fotografien der Sammlung Alexander Kraus, (Aus Würzburgs Stadt- und Universitätsgeschichte, Band 10), AKAMEDON-Verlag Pfaffenhofen 2023, 144 Seiten, 29,90 Euro (erscheint am 13. Mai).
Die Ausstellung: 30 großformatige Drucke aus dem Buch sind bis 30. Juni im Lesecafé der Würzburger Stadtbücherei am Marktplatz zu sehen. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 10 bis 18 Uhr, Samstag 10 bis 15 Uhr.