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Würzburg
Das alte Würzburg, wie man es bisher kaum gesehen hat: Historische Fotos bieten seltene Einblicke
Würzburg ab 1860: Alexander Kraus präsentiert in einem neuen Buch Fotografien, die Würzburg vor eineinhalb Jahrhunderten zeigen. Manches, was man sieht, mag man kaum glauben.
Blick von der Alten Mainbrücke auf das Mainviertel in den 1880er Jahren. In der Bildmitte ist die Einfahrt zum Umlaufkanal zu erkennen, der um die Kirche St. Burkard herum zum Oberlauf des Mains führte. Der Kanal wurde nach 1945 weitgehend verfüllt und bebaut.
Foto: Franz Albert | Blick von der Alten Mainbrücke auf das Mainviertel in den 1880er Jahren. In der Bildmitte ist die Einfahrt zum Umlaufkanal zu erkennen, der um die Kirche St. Burkard herum zum Oberlauf des Mains führte.
Roland Flade
 |  aktualisiert: 08.02.2024 13:00 Uhr

Würzburg ab 1860: Alexander Kraus präsentiert in einem neuen Buch Fotografien, die Würzburg vor eineinhalb Jahrhunderten zeigen. Manches, was man sieht, mag man kaum glauben.

Das soll die Schönbornstraße sein? Straßenbahnschienen schlängeln sich zwischen Kopfsteinpflaster durch ein enges verwinkeltes Gässchen. Die Schaufenster sind verbarrikadiert. Ein Mann steht einsam herum. Falls er etwas einkaufen will, wird er in diesen Läden nicht fündig werden.

Was für ein Unterschied zu heute: Außer dem Kaufhof locken in der Schönbornstraße Dutzende Geschäfte zum Shoppen, ihre Auslagen sind auch nachts hell beleuchtet. Einsam ist es hier höchstens in den frühen Morgenstunden.

Die Würzburger Schönbornstraße im Jahr 1891. Damals hieß sie Sandgasse und war noch nicht verbreitert.
Foto: Franz Albert | Die Würzburger Schönbornstraße im Jahr 1891. Damals hieß sie Sandgasse und war noch nicht verbreitert.

Zugegeben: Das Bild aus dem Buch "Würzburg 1860-1900" mit seltenen Fotografien aus der Sammlung von Alexander Kraus zeigt die Sandgasse, die erst später Schönbornstraße hieß. Es wurde im Jahr 1891 aufgenommen. Damals war die Pferdebahn neu und die Sandgasse eng. Lange sollte es allerdings nicht so bleiben. Mitte der 1890er Jahre wurden die Häuser abgebrochen und die Straße verbreitert. Neue Gebäude entstanden, und 1900 wandelte sich die Pferdebahn zur elektrischen Straßenbahn. Die Sandgasse, die vom Dominikanerplatz zum Marktplatz führte, hieß hinfort Schönbornstraße. Eine Gasse war sie definitiv nicht mehr.

Der Kürschnerhof 1891 mit dem Neumünster und dem Alten Landgericht. In die Domstraße führte ein Durchgang, den auch die Pferdebahn benutzte.
Foto: Franz Albert | Der Kürschnerhof 1891 mit dem Neumünster und dem Alten Landgericht. In die Domstraße führte ein Durchgang, den auch die Pferdebahn benutzte.
Die Ludwigstraße im Jahr 1898. Rechts steht der ehemalige Ludwigsbahnhof, der nur von 1854 bis 1864 seiner eigentlichen Bestimmung diente und dann durch den Hauptbahnhof ersetzt wurde. Danach war seine große Abfahrts- und Ankunftshalle unter anderem  Ausstellungs- und Veranstaltungsraum. Heute befindet sich hier das Mainfranken Theater.
Foto: Otto Patzig | Die Ludwigstraße im Jahr 1898. Rechts steht der ehemalige Ludwigsbahnhof, der nur von 1854 bis 1864 seiner eigentlichen Bestimmung diente und dann durch den Hauptbahnhof ersetzt wurde.

Das 144 Seiten umfassende Buch mit seinen rund 70 historischen Fotos, sachkundig erläutert von Alexander Kraus, ist ein Schatzkästlein mit überraschenden, manchmal verwirrenden Einblicken. Der Kürschnerhof machte beispielsweise früher seinem Namen alle Ehre und präsentierte sich wirklich als Hof, abgetrennt von der Domstraße durch das prächtige alte Landgericht. Auf einem Foto, das ebenfalls von 1891 stammt, führt das Gleis der Pferdebahn durch einen Torbogen zur Domstraße. Das Landgericht wurde 1894 abgerissen; seitdem fährt die Bahn zweigleisig um die Kurve.

Die Rückfront des Juliusspitals. 1882, als das Foto aufgenommen wurde, befand sich auf dem Gelände noch der Botanische Garten der Universität.
Foto: Sophus Williams | Die Rückfront des Juliusspitals. 1882, als das Foto aufgenommen wurde, befand sich auf dem Gelände noch der Botanische Garten der Universität.

Faszinierend auch der Blick auf die Rückfront des Juliusspitals, festgehalten im Jahr 1882. Die Pfade durch den sorgfältig gepflegten Garten und die Gewächshäuser irritieren – aber nur so lange, bis man sich vergegenwärtigt, dass sich hier damals der Botanische Garten der Universität befand.

Der Barbarossaplatz war 1869 terrassiert.
Foto: Jean Gattineau | Der Barbarossaplatz war 1869 terrassiert.

Und so geht es immer weiter: Eines der ältesten Fotos, aufgenommen 1869, zeigt die obere Juliuspromenade und den Barbarossaplatz mit Pferdegespannen. Der Barbarossaplatz, heute eine einheitliche Fläche, war damals terrassiert.

Blick auf die Kirche Stift Haug von der Stadtbefestigung am heutigen Haugerring aus, fotografiert in den 1870er Jahren. Das hohe schlanke Bauwerk links ist ein Wasserturm.
Foto: Franz Albert | Blick auf die Kirche Stift Haug von der Stadtbefestigung am heutigen Haugerring aus, fotografiert in den 1870er Jahren. Das hohe schlanke Bauwerk links ist ein Wasserturm.

Die Fotos, die der Sammler Alexander Kraus 2018 zusammen mit vielen anderen aus seinem Bestand an das Würzburger Stadtarchiv abgab, hatte er über Jahre hinweg erworben, einige von einem Antiquariat in der Nähe von Paris. In zahlreichen Fällen waren dem Kauf längere Preisverhandlungen vorausgegangen.

Blick vom Bahnhofsvorplatz in die Kaiserstraße im Jahr 1898. Links steht das repräsentative Palais der Bauunternehmung Buchner, das den 16. März 1945 weitgehend überstand, aber Anfang der 1970er Jahre zugunsten des Modehauses C&A abgerissen wurde.
Foto: Sammlung Alexander Kraus | Blick vom Bahnhofsvorplatz in die Kaiserstraße im Jahr 1898. Links steht das repräsentative Palais der Bauunternehmung Buchner, das den 16.

Die Bilder ermöglichen Einblicke in die Geschichte der Fotografie. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verließen die Fotografen ihre Ateliers und machten sich daran, mit ihren unhandlichen Apparaten die Umgebung zu dokumentieren. Angesichts langer Belichtungszeiten und der hohen Kosten des Equipments waren spontane Schnappschüsse unmöglich – auch ein Grund dafür, dass die historischen Stadtsichten Ruhe und Beschaulichkeit ausstrahlen.

Holzplatz und Kranenbastion von der Alten Mainbrücke aus. Das Bild von 1885 zeigt im Vordergrund rechts das Wellenbad, eines der im Main festgemachten Würzburger Schwimmbäder. Dahinter liegen mit Holz beladene Schiffe; in der nahegelegenen Kärrnergasse wohnten die Kärrner, die Fuhrleute, die das Holz mit ihren Karren weitertransportierten.
Foto: Franz Albert | Holzplatz und Kranenbastion von der Alten Mainbrücke aus. Das Bild von 1885 zeigt im Vordergrund rechts das Wellenbad, eines der im Main festgemachten Würzburger Schwimmbäder.

Die Bilder stammen, soweit die Fotografen bekannt sind, mehrheitlich von Franz Albert und Otto Patzig aus Würzburg und Sophus Williams aus Berlin. Von Albert weiß man wenig, außer dass er sein Studio in der Sanderglacisstraße hatte.

Im Jahr 1891 geht der Blick von der Augustinerstraße nach Osten in die Neubaustraße mit der Neubaukirche. Das Eckhaus, in dem damals Georg Pankratius Moritz seine „Colonialwarenhandlung“ betrieb, wurde später abgebrochen, um die Straße zum Johanniterplatz und zur Sanderstraße hin zu verbreitern.
Foto: Franz Albert | Im Jahr 1891 geht der Blick von der Augustinerstraße nach Osten in die Neubaustraße mit der Neubaukirche. Das Eckhaus, in dem damals Georg Pankratius Moritz seine „Colonialwarenhandlung“ betrieb, wurde später ...

Otto Patzig war nicht nur Fotograf, sondern auch Maler; sein Studio befand sich am Main. Patzig, der 1885 starb, leitete ab 1860 die Kunstschule in Würzburg. Dass er nicht nur Porträts malte, sondern auch faszinierende Stadtansichten im Foto festhielt, zeigt seine Aufgeschlossenheit der neuen Technik gegenüber.

Vom Steinberg aus zeigt das Bild vom Anfang der 1870er Jahre den frei fließenden und noch unbefestigten Main. Die Mainwiesen und die Talavera dienten als Überschwemmungsflächen, der Alte Hafen entstand erst ab 1875, die Luitpoldbrücke, die heute Friedensbrücke heißt, ab 1886.
Foto: Otto Patzig | Vom Steinberg aus zeigt das Bild vom Anfang der 1870er Jahre den frei fließenden und noch unbefestigten Main. Die Mainwiesen und die Talavera dienten als Überschwemmungsflächen, der Alte Hafen entstand erst ab 1875, ...

Sophus Williams hieß eigentlich Sophus Vilhelm Schou und stammte aus Kopenhagen. Er ließ sich nach einem Aufenthalt in London in Berlin nieder und betätigte sich selbst als Fotograf, verlegte aber zusammen mit einem Kompagnon auch die Aufnahmen anderer. Im Jahr 1873 beteiligte sich das Unternehmen an der Weltausstellung in Wien.

Ebenfalls in Würzburg wirkte Jean Gattineau, dem wir das Foto des terrassierten Barbarossaplatzes von 1869 verdanken. Gattineau hatte offenbar einen guten Namen; der "Würzburger Anzeiger" lobte jedenfalls bereits 1856 "Treue, Reinheit und Sorgfalt der Ausführung" seiner Bilder. Auf der Rückseite bezeichnet er sich als herzoglich-sächsischer Hoffotograf mit einem Studio in der Herrengasse, der heutigen Herrnstraße, "visavis dem bischöflichen Palais".

Domstraße mit Dom in den 1880er Jahren.
Foto: Franz Albert | Domstraße mit Dom in den 1880er Jahren.

Mit Titel und Adresse verband Gattineau zweifellos die Absicht, sich und seinen Fotos mehr Respektabilität zu verschaffen. Damals mag das nötig gewesen sein. Heute ist die Fotografie längst als eigenständige, ernst zu nehmende Kunstgattung etabliert.

Das Buch: Alexander Kraus, Würzburg 1860-1900. Seltene Fotografien der Sammlung Alexander Kraus, (Aus Würzburgs Stadt- und Universitätsgeschichte, Band 10), AKAMEDON-Verlag Pfaffenhofen 2023, 144 Seiten, 29,90 Euro (erscheint am 13. Mai).

Die Ausstellung: 30 großformatige Drucke aus dem Buch sind bis 30. Juni im Lesecafé der Würzburger Stadtbücherei am Marktplatz zu sehen. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 10 bis 18 Uhr, Samstag 10 bis 15 Uhr.

 
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