WÜRZBURG
Zimmerer: Presseberichte von 1962 bis 1984 (8/52)
19. Januar 1963, Fränkisches Volksblatt:
Auf einen scharfen Angriff der "Nürnberger Nachrichten"
Einen scharfen Angriff gegen Oberbürgermeister Dr. Zimmerer richteten die "Nürnberger Nachrichten" in ihrer Freitagsausgabe. Sie veröffentlichten Auszüge aus der Doktordissertation, die Helmuth Zimmerer 1936 bei der juristischen Fakultät der Erlanger Universität unter dem Titel "Rasse, Staatsangehörigkeit, Reichsbürgerschaft – ein Beitrag zum völkischen Staatsbegriff" eingereicht hat. Wie uns dazu Oberbürgermeister Dr. Zimmerer mitteilt, "zitiert der Artikel in völlig einseitiger Weise Bruchstücke und übersieht, dass es sich bei den zitierten Stellen in der Hauptsache um ein Referat der bestehenden Gesetze, nicht aber um eigene Gedankengänge handelt". Dazu heißt es im Einzelnen in der uns von Dr. Zimmerer zur Verfügung gestellten Stellungnahme:
1. Ich wollte als mein Berufsziel vom Beginn meines Studiums ab Verwaltungsbeamter werden. Deshalb musste ich auch dem öffentlichen Recht Aufmerksamkeit schenken. So kam es zwangsläufig, dass ich auch für meine Doktordissertaton ein Thema aus dem öffentlichen Recht erhielt. Hierbei darf ich darauf hinweisen, dass sich ein Student nach den bei den Universitäten allgemein üblichen Gepflogenheiten zwar das Fachgebiet, nicht aber das spezielle Thema seiner Dissertation aussuchen kann.
Herr Universitätsprofessor Dr. Wenzel, Erlangen, bei dem ich um das Thema einer Doktorarbeit nachsuchte, stellte mir ursprünglich das Thema: Staat und Staatsangehörigkeit. Ich begann mit der Arbeit etwa im Frühjahr 1935. Im September 1935 wurden die Nürnberger Gesetze erlassen. Hierauf machte mich Herr Professor Dr. Wenzel ausdrücklich darauf aufmerksam, dass ich diese neuen Gesetze nunmehr selbstverständlich bei der Bearbeitung meines Themas mit berücksichtigen müsse. Dieser Weisung musste ich nachkommen. Etwa im Spätherbst 1935 war die Arbeit beendet. Ich war damals noch nicht 23 Jahre alt.
Natürlich ist es kein Kunststück, aus einer öffentlich-rechtlichen Arbeit, die im Jahre 1935 geschrieben ist, Sätze und Passagen zu zitieren, die den Schreiber als einen Nationalsozialisten erscheinen lassen müssen. Notwendig ist es aber, die Arbeit im Ganzen zu werten und insbesondere die Teile, die nicht schulmäßige Darstellung der seinerzeit auf den Universitäten wiedergegebenen Auffassungen darstellen, sondern eigene Gedanken enthalten. Diese in meiner Arbeit hervortretenden eigenen Gedanken stehen aber im direkten Gegensatz zu den vom Nationalsozialismus vertretenen Ideen, insbesondere was die damals propagierte Höherbewertung der deutschen Rasse anbelangt. So ist z. B. durch vielfache Zitate zu belegen
Die Arbeit hat also kein nationalsozialistisches Ergebnis, sondern das Gegenteil.
Dass die Arbeit als nicht nationalsozialistische betrachtet wurde, beweist sicher die Tatsache, dass sie in keiner einzigen nationalsozialistischen Zeitschrift, insbesondere nicht im "Deutschen Recht" besprochen worden ist. Bei dem Mangel an "nationalsozialistisch einwandfreier" Literatur wäre dies sonst sicher geschehen. Ja, ich erinnere mich, dass mir ein Amt der Reichsführung der SS, dessen Namen mir nicht mehr geläufig ist (es war ein Amt, das sich mit der Prüfung nationalsozialistischen Schrifttums beschäftigte) ausdrücklich mitgeteilt hat, dass die Ergebnisse meiner Dissertation nicht nationalsozialistischen Vorstellungen entsprächen.
Man kann mir nicht vorwerfen, ich hätte als ausgebildeter Jurist etwa die Unrichtigkeit des Führerprinzips erkennen müssen. Abgesehen davon, dass man von einem 23-jährigen Menschen wohl nicht die Einsicht eines reifen Mannes verlangen kann, würde man völlig die Situation übersehen, in der wir damals lebten. Dies wurde uns damals gelehrt, meine Doktorarbeit wiederholt das, was auf der Universität gelehrt wurde. Und es ist wohl schon ein beachtliches Zeichen gegenteiligen selbstständigen Denkens, wenn ich etwa das Parteiprogramm als objektives Recht abgelehnt habe. Die ohne weiteres auffindbaren abfälligen Worte über die Demokratie galten ihrer Weimarer Form (eine andere hatten wir ja noch nicht kennen gelernt) und dass diese leider Gottes nicht funktioniert hatte, ist schon von berufenerer Seite als mir festgestellt worden.
Wenn ich nationalsozialistische Auffassungen vertreten hätte, wäre ich auch nicht in dem gerade in der amerikanischen Zone besonders scharf gehandhabten Entnazifizierungsverfahren bei strengster Prüfung und unter Einschaltung des obersten bayerischen Entnazifizierungsgerichts – des Kassationshofes – in die Gruppe V der Entlasteten eingereiht worden, in die bekanntlich nur eingereiht war, wer nach dem Maß seiner Kräfte aktiv Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geleistet und dadurch Nachteile erlitten hatte.
2. Wie wenig meine Einstellung und auch meine Doktorarbeit bei den Nazis angesprochen hat, ergibt sich auch aus der unbestrittenen Tatsache, dass ich niemals ein Nutznießer des Nazi-Systems gewesen bin.
Nach Ablegung des Assessorenexamens, etwa im Februar 1939, trat ich am 2. April 1939 in den Dienst der Bayer. Innerer Verwaltung ein und wurde dem Landkreis Ebermannstadt zugeteilt. Ende August 1939 rückte ich zum Wehrdienst ein. Im Laufe des Jahres 1942 wurde ich zwar dann zum Regierungsrat ernannt, dies aber mit mindestens einjähriger Verspätung gegenüber meinen gleichaltrigen Kollegen, weil es bereits während der kurzen Dienstzeit am Landratsamt Ebermannstadt zu erheblichen Schwierigkeiten mit der Kreisleitung gekommen war. Ich habe also im Dritten Reich nicht, wie man vielleicht vermutet, eine "große Laufbahn" hinter mir. Ich wäre für diejenigen, die sich mit Renazifizierung beschäftigen, interessant, wenn ich im Dritten Reich eine "Größe" gewesen wäre und es heute wieder wäre. Das ist aber nicht der Fall. Meine Laufbahn begann vielmehr unter den heutigen demokratischen Verhältnissen.
Nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft war ich einige Jahre Anwalt. 1950 wurde ich in den Dienst der Stadt Würzburg eingestellt. 1952 zum Stadtkämmerer (berufsmäßiger Stadtrat) und 1956 zum OB gewählt. Da ich keiner Partei angehöre, dürfen Sie ruhig annehmen, dass dies jeweils auf Grund meiner persönlichen Leistungen geschah. Insbesondere hätten wohl nicht alle im Rathaus von Würzburg vertretenen politischen Parteien und Wählergruppen jetzt meine Wiederwahl getragen, wenn ich etwa undemokratischen Verhaltens verdächtig wäre. Die Parteien, die zur Nominierung ja bekanntlich die Zustimmung von Wahlversammlungen aus ihren Mitgliedern brauchen, kennen mich auf Grund meiner Tätigkeit genau.
Es erhebt sich aber die Frage, ob nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und Fairness ein schutzwürdiges Interesse dafür besteht, einem Mann, der die besten Jahre seines Mannesalters dem Wiederaufbau einer völlig zerstörten Großstadt unter Einsatz seiner Gesundheit geopfert hat, nachzurechnen, ob jeder Satz, den er als 23-Jähriger geschrieben hat, heute, wo man bekanntlich alles besser weiß, noch standhält.
Gez. Dr. Zimmerer
Nächste Seite:
22. Januar 1963: Abendzeitung: Würzburger Oberbürgermeister verklagt Nürnberger Tageszeitung
Inhaltsverzeichnis
Auf einen scharfen Angriff der "Nürnberger Nachrichten"
Die Antwort Dr. Zimmerers
Einen scharfen Angriff gegen Oberbürgermeister Dr. Zimmerer richteten die "Nürnberger Nachrichten" in ihrer Freitagsausgabe. Sie veröffentlichten Auszüge aus der Doktordissertation, die Helmuth Zimmerer 1936 bei der juristischen Fakultät der Erlanger Universität unter dem Titel "Rasse, Staatsangehörigkeit, Reichsbürgerschaft – ein Beitrag zum völkischen Staatsbegriff" eingereicht hat. Wie uns dazu Oberbürgermeister Dr. Zimmerer mitteilt, "zitiert der Artikel in völlig einseitiger Weise Bruchstücke und übersieht, dass es sich bei den zitierten Stellen in der Hauptsache um ein Referat der bestehenden Gesetze, nicht aber um eigene Gedankengänge handelt". Dazu heißt es im Einzelnen in der uns von Dr. Zimmerer zur Verfügung gestellten Stellungnahme:
1. Ich wollte als mein Berufsziel vom Beginn meines Studiums ab Verwaltungsbeamter werden. Deshalb musste ich auch dem öffentlichen Recht Aufmerksamkeit schenken. So kam es zwangsläufig, dass ich auch für meine Doktordissertaton ein Thema aus dem öffentlichen Recht erhielt. Hierbei darf ich darauf hinweisen, dass sich ein Student nach den bei den Universitäten allgemein üblichen Gepflogenheiten zwar das Fachgebiet, nicht aber das spezielle Thema seiner Dissertation aussuchen kann.
- Die Skandale des Dr. Zimmerer
- Kommentar: Keine Straße für Helmuth Zimmerer
- Dokumentation: Zimmerers Doktorarbeit
Herr Universitätsprofessor Dr. Wenzel, Erlangen, bei dem ich um das Thema einer Doktorarbeit nachsuchte, stellte mir ursprünglich das Thema: Staat und Staatsangehörigkeit. Ich begann mit der Arbeit etwa im Frühjahr 1935. Im September 1935 wurden die Nürnberger Gesetze erlassen. Hierauf machte mich Herr Professor Dr. Wenzel ausdrücklich darauf aufmerksam, dass ich diese neuen Gesetze nunmehr selbstverständlich bei der Bearbeitung meines Themas mit berücksichtigen müsse. Dieser Weisung musste ich nachkommen. Etwa im Spätherbst 1935 war die Arbeit beendet. Ich war damals noch nicht 23 Jahre alt.
Natürlich ist es kein Kunststück, aus einer öffentlich-rechtlichen Arbeit, die im Jahre 1935 geschrieben ist, Sätze und Passagen zu zitieren, die den Schreiber als einen Nationalsozialisten erscheinen lassen müssen. Notwendig ist es aber, die Arbeit im Ganzen zu werten und insbesondere die Teile, die nicht schulmäßige Darstellung der seinerzeit auf den Universitäten wiedergegebenen Auffassungen darstellen, sondern eigene Gedanken enthalten. Diese in meiner Arbeit hervortretenden eigenen Gedanken stehen aber im direkten Gegensatz zu den vom Nationalsozialismus vertretenen Ideen, insbesondere was die damals propagierte Höherbewertung der deutschen Rasse anbelangt. So ist z. B. durch vielfache Zitate zu belegen
- Betonung des Eigenwertes anderer Rassen, die als anders, aber nicht minderwertig sind; Ablehnung einer Wertskala der Rassen, einer absoluten Wertung überhaupt;
- Insbesondere Ablehnung des Gedankens, das jüdische Volk sei minderwertig;
- Ablehnung der Annektierung anderer Völker.
Die Arbeit hat also kein nationalsozialistisches Ergebnis, sondern das Gegenteil.
Dass die Arbeit als nicht nationalsozialistische betrachtet wurde, beweist sicher die Tatsache, dass sie in keiner einzigen nationalsozialistischen Zeitschrift, insbesondere nicht im "Deutschen Recht" besprochen worden ist. Bei dem Mangel an "nationalsozialistisch einwandfreier" Literatur wäre dies sonst sicher geschehen. Ja, ich erinnere mich, dass mir ein Amt der Reichsführung der SS, dessen Namen mir nicht mehr geläufig ist (es war ein Amt, das sich mit der Prüfung nationalsozialistischen Schrifttums beschäftigte) ausdrücklich mitgeteilt hat, dass die Ergebnisse meiner Dissertation nicht nationalsozialistischen Vorstellungen entsprächen.
Man kann mir nicht vorwerfen, ich hätte als ausgebildeter Jurist etwa die Unrichtigkeit des Führerprinzips erkennen müssen. Abgesehen davon, dass man von einem 23-jährigen Menschen wohl nicht die Einsicht eines reifen Mannes verlangen kann, würde man völlig die Situation übersehen, in der wir damals lebten. Dies wurde uns damals gelehrt, meine Doktorarbeit wiederholt das, was auf der Universität gelehrt wurde. Und es ist wohl schon ein beachtliches Zeichen gegenteiligen selbstständigen Denkens, wenn ich etwa das Parteiprogramm als objektives Recht abgelehnt habe. Die ohne weiteres auffindbaren abfälligen Worte über die Demokratie galten ihrer Weimarer Form (eine andere hatten wir ja noch nicht kennen gelernt) und dass diese leider Gottes nicht funktioniert hatte, ist schon von berufenerer Seite als mir festgestellt worden.
Wenn ich nationalsozialistische Auffassungen vertreten hätte, wäre ich auch nicht in dem gerade in der amerikanischen Zone besonders scharf gehandhabten Entnazifizierungsverfahren bei strengster Prüfung und unter Einschaltung des obersten bayerischen Entnazifizierungsgerichts – des Kassationshofes – in die Gruppe V der Entlasteten eingereiht worden, in die bekanntlich nur eingereiht war, wer nach dem Maß seiner Kräfte aktiv Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geleistet und dadurch Nachteile erlitten hatte.
2. Wie wenig meine Einstellung und auch meine Doktorarbeit bei den Nazis angesprochen hat, ergibt sich auch aus der unbestrittenen Tatsache, dass ich niemals ein Nutznießer des Nazi-Systems gewesen bin.
Nach Ablegung des Assessorenexamens, etwa im Februar 1939, trat ich am 2. April 1939 in den Dienst der Bayer. Innerer Verwaltung ein und wurde dem Landkreis Ebermannstadt zugeteilt. Ende August 1939 rückte ich zum Wehrdienst ein. Im Laufe des Jahres 1942 wurde ich zwar dann zum Regierungsrat ernannt, dies aber mit mindestens einjähriger Verspätung gegenüber meinen gleichaltrigen Kollegen, weil es bereits während der kurzen Dienstzeit am Landratsamt Ebermannstadt zu erheblichen Schwierigkeiten mit der Kreisleitung gekommen war. Ich habe also im Dritten Reich nicht, wie man vielleicht vermutet, eine "große Laufbahn" hinter mir. Ich wäre für diejenigen, die sich mit Renazifizierung beschäftigen, interessant, wenn ich im Dritten Reich eine "Größe" gewesen wäre und es heute wieder wäre. Das ist aber nicht der Fall. Meine Laufbahn begann vielmehr unter den heutigen demokratischen Verhältnissen.
Nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft war ich einige Jahre Anwalt. 1950 wurde ich in den Dienst der Stadt Würzburg eingestellt. 1952 zum Stadtkämmerer (berufsmäßiger Stadtrat) und 1956 zum OB gewählt. Da ich keiner Partei angehöre, dürfen Sie ruhig annehmen, dass dies jeweils auf Grund meiner persönlichen Leistungen geschah. Insbesondere hätten wohl nicht alle im Rathaus von Würzburg vertretenen politischen Parteien und Wählergruppen jetzt meine Wiederwahl getragen, wenn ich etwa undemokratischen Verhaltens verdächtig wäre. Die Parteien, die zur Nominierung ja bekanntlich die Zustimmung von Wahlversammlungen aus ihren Mitgliedern brauchen, kennen mich auf Grund meiner Tätigkeit genau.
Es erhebt sich aber die Frage, ob nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und Fairness ein schutzwürdiges Interesse dafür besteht, einem Mann, der die besten Jahre seines Mannesalters dem Wiederaufbau einer völlig zerstörten Großstadt unter Einsatz seiner Gesundheit geopfert hat, nachzurechnen, ob jeder Satz, den er als 23-Jähriger geschrieben hat, heute, wo man bekanntlich alles besser weiß, noch standhält.
Gez. Dr. Zimmerer
Nächste Seite:
22. Januar 1963: Abendzeitung: Würzburger Oberbürgermeister verklagt Nürnberger Tageszeitung
Inhaltsverzeichnis
Themen & Autoren / Autorinnen