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WÜRZBURG
Zimmerer: Presseberichte von 1962 bis 1984 (3/52)
20. Oktober 1962: Persönliche Interessen vor die der Gemeinschaft gestellt
Foto: Main-Post-Archiv | 20. Oktober 1962: Persönliche Interessen vor die der Gemeinschaft gestellt
Redaktion
 |  aktualisiert: 26.04.2023 23:31 Uhr
20. Oktober 1962, Main-Post:
 

Persönliche Interessen vor die der Gemeinschaft gestellt



Vielleicht kann man einer Zeitung einen Vorwurf machen, wenn sie den Gerüchten, die einer Stadt das gute Klima nehmen, nicht beizeiten entgegentritt. Wir haben uns bisher zurückgehalten, weil wir uns als überparteiliche Zeitung nicht dem Vorwurf aussetzen wollten, dass wir der freien Entfaltung der Parteien entgegengewirkt hätten. Man sagt heute der Presse nach, sie wäre zu rasch bei der Hand, um jemandem oder ganzen Personengruppen am Zeug zu flicken oder gar sie an ihrer Ehre zu kränken. So haben wir auch vor der letzten Oberbürgermeisterwahl geschwiegen. Nicht etwa, weil wir mit allem einverstanden waren, was im Rathaus und bei den Parteien ausgehandelt wurde. Doch die 36 Prozent, mit denen der bisherige Oberbürgermeister wiedergewählt wurde, mussten von uns als Beweis dafür hingenommen werden, dass der überwiegende Teil der Bürger dieser Stadt beiseite stand. Das ist keine gute Sache. Und inzwischen hat sich der Unwille gesteigert und man ist oft mit recht harten Worten an uns herangetreten, damit wir zur Entgiftung der Atmosphäre etwas Entscheidendes unternähmen.
 
Wir wären glücklich, glaubte man uns, dass wir keine Freude daran haben, das zu tun, was man "schmutzige Wäsche waschen" nennt. Menschen neigen nun einmal zum Eigennutz; darüber sich zu wundern, hieße, sich als weltfremd erweisen. Aber wer öffentliche Ämter innehat, wer sich zum Treuhänder einer Gemeinschaft bestellen lässt, der hat nun einmal die Verpflichtung, seine persönlichen Interessen nicht mit denen der Gemeinschaft zu vermischen. Wir zweifelten, ob wir vielleicht mit solcher Forderung nicht mehr ganz "zeitnah" wären. Aber die Äußerungen, die uns schriftlich und mündlich zugingen und immer weiter zugehen, bewiesen zur Genüge, dass man in weiten Kreisen, ja wir sind überzeugt, im überwiegenden Teil unserer Bevölkerung, noch das gleiche Gefühl für Sauberkeit im öffentlichen Bereich besitzt.
 
Es geht nicht, dass sich ein Stadtrat, wie das bisher unwiderlegt behauptet wird, bei dem allgemein herrschenden Landhunger ein Grundstück zur Errichtung von 104 Wohnungen aus öffentlichem Eigentum zuschanzen lässt. Es geht nicht, auch wenn er es zum realen Wert übernimmt und das erforderliche Kapital bereitzustellen in der Lage ist. Dass weder das eine noch das andere der Fall sein soll, und dass er zudem noch Vorsitzender einer Fraktion ist, macht die Angelegenheit nicht erfreulicher. Wir wollen Herrn Rücker nicht schlecht machen, sicher hat er seine Qualitäten, ist robust, hilfsbereit und zupackend. Aber noch viel bessere Eigenschaften würden nicht ausreichen, zu rechtfertigen, dass er seine persönlichen Interessen vor die der Gemeinschaft stellt. Und niemand, auch er nicht, wird ernstlich behaupten können, dass er dieses Mammutgrundstück in bester Lage aus dem Stiftungsvermögen erhalten hätte, wäre er nicht der mächtige Vorsitzende der stärksten Partei im Rathaus. Damit aber ist schon eigentlich das Urteil über diesen Fall gesprochen.
 
Die CSU, für die Rücker im Stadtrat von Würzburg spricht, vertritt zusammen mit ihrer größeren Schwesterpartei die Forderung einer weiten Streuung des Eigentums. Dieser gute Grundsatz wurde hier bedenkenlos in sein Gegenteil verkehrt. Ungezählte Menschen streben anhand von Bausparbriefen danach, sich ein Haus zu bauen oder eine Eigentumswohnung zu erwerben. In ihren Schubladen verlieren diese Briefe mit dem sauer ersparten Kapital an Wert, weil es für sie einfach keine Baugrundstücke gibt. Herr Rücker brauchte nicht zu sparen. Es genügte, dass er sich, nachdem er verschiedene Sättel ausprobiert hatte, aufs richtige Pferd setzte und unter jedweder Vermeidung von Streuung vereinigte er 104 Wohnungen in seiner Hand.
 
Man darf überzeugt sein, dass sich vor Herrn Rücker, dem mächtigsten Mann im Rathaus neben dem Oberbürgermeister, die sonst nicht immer so leicht beweglichen Türen der Amtsstuben öffneten. Wer soll ihm von den städtischen Beamten und Angestellten entgegentreten, wo er im Personalausschuss über deren Verwendung und Beförderung, also über ihr berufliches Schicksal, maßgebend mitzubestimmen hat? So baut sich leicht, und Richtlinien und Bebauungspläne, an denen alle anderen scheitern, erweisen sich als gefügig, noch bevor sie beschlossen werden.
 
Die Beteiligten berufen sich, was den niedrigen Preis anlangt, darauf, dass ja früher, wo sie an Gärtnereien verpachtet gewesen waren, die Grundstücke einen viel geringeren Ertrag abgeworfen hätten. Das erinnert an den Strauchdieb in der Komödie, der einen gefundenen Edelstein mit der Begründung behält, verloren wäre er ja für den Besitzer noch viel weniger wert gewesen. Wenn eine Stadt sich vergrößert, dann werden die landwirtschaftlichen Grundstücke zu Bauplätzen und ihr Wert wird an den bebauten Grundstücken und nicht an den Äckern gemessen. Solches Wissen hat schon im Altertum die Bodenspekulation auf den Plan gerufen. Das sollte also kein Diskussionspunkt sein.
 
Herr Rücker, von dem man den Eindruck hat, dass die erhobenen Vorwürfe ihn nicht erreichen, erklärt zu seiner Verteidigung, er stelle ja der Stadt die Mehrzahl der Wohnungen zur Verfügung. Übersetzt in die Sprache des Alltags heißt das, er nehme die Mieter auf, die ihm von der Stadt benannt worden sind, wobei in jedem Fall, notfalls durch Mietbeihilfen, die Mietzinszahlungen gesichert sind. Nein, Herr Rücker, wenn schon, dann doch lieber in der derben und offenen Art, auf die Sie sich sonst berufen: sicher haben Sie oft auch an andere gedacht, in diesem Fall aber, wo Sie sich auf dem Rücken der Allgemeinheit zum Millionär aufschwingen wollen, haben Sie nur an sich selbst gedacht.
 
Wie konnte es dazu kommen? Herr Rücker erklärt uns: Der Stadtrat habe beschlossen, da könne niemand was dran machen und sein Buckel sei breit genug, das auszuhalten. Wie aber kommt der Stadtrat zu einer solch ungewöhnlichen Entscheidung, einen Mann, der keinerlei echtes Eigenkapital mitbrachte, unter Ausschaltung aller anderen Bewerber so zu bevorteilen? Wenn mehrere Stadträte übereinstimmend erklären, dass die ganze Angelegenheit so geräuschlos über die Bühne ging, dass sie nicht erkannten, um was es sich handle, so haben wir keinen Grund, an einer solchen Aussage zu zweifeln. Wie wir auch nach den uns gemachten Beteuerungen überzeugt sind, dass die Mehrheit der Stadträte, wenn sie richtig ins Bild gesetzt worden wären, so gestimmt hätten, wie es ihre Pflicht gegenüber den Wählern und der Allgemeinheit verlangt.
 
Wer sich in der Verwaltung auskennt, weiß, dass es darauf ankommt, wie ein Fall vorgetragen wird. Und am Ende einer anstrengenden Stadtratssitzung kann es geschehen, dass unter den Routinebauangelegenheiten ein solcher Fall durchschlüpft wie weiland Odysseus unter den Widdern in der Höhle des Polyphem.
 
Damit aber kommen wir zum letzten entscheidenden Punkt. Und hier scheint uns auch Herr Rücker bis zu einem gewissen Grad entlastet zu sein. Mit anderen Worten: die weitaus größere Schuld liegt auf Seiten der Verwaltung. Dort sitzen die Juristen, dort sitzen die Beamten. Sie müssen wissen, wo das Recht aufhört und das Unrecht beginnt. Der Oberbürgermeister ist gehalten, nur solche Anträge an den Stadtrat zu stellen, die niemanden in Versuchung führen und ein Mitglied des Stadtrats nicht in eine Interessenkollision bringen, wie es hier geschehen ist. Gott ja, wenn einem die Rechtsräte und Juristen, den der Spitze der Oberbürgermeister, erklären, das sei in Ordnung und man könne auf diese Weise ein Millionenvermögen erwerben, dann kann es schon passieren, dass man nach diesem Angelhaken schnappt, auch wenn man bisher den nicht mochte, der die Angel warf.
 
Während in der integren Verwaltung durch die Oberbürgermeister Dr. Löffler und Dr. Stadelmayer die jeweiligen Referenten, hier z. B. die Stiftungsverwaltung, die Abgabe von Grundstücken im Erbbaurecht zu vertreten hatten, nahm Herr Dr. Zimmerer den Referenten diese Entscheidung und zog den ganzen Komplex der Vergebung von Grundstücken an sich. Vielleicht ist das nur Zufall und Arbeitseifer, und vielleicht ist es auch nur Zufall, dass Herr Dr. Zimmerer bei der Behandlung der Angelegenheit Rücker im Stiftungsausschuss wider Erwarten den Vorsitz übernahm und danach die Sitzung verließ. Aber daran ist nicht zu zweifeln, dass gemeinnützige Wohnungsbaugenossenschaften dieses riesengroße Bauland zu für die Stadt weit günstigeren Bedingungen und ohne das Risiko für die öffentliche Hand, das in dem fehlenden Kapital liegt, übernommen haben würden. Man hat es nicht ihnen, die keine Grundstücke finden können, sondern man hat es Herrn Rücker gegeben. Und Herr Rücker wurde an der Spitze seiner Fraktion vom Saulus zum Paulus und stellte Herrn Dr. Zimmerer, den er früher bekämpft hatte, als Kandidaten der CSU auf, obschon dieser wie bei der letzten Wahl bereits für die Wahlgemeinschaft und die SPD kandidierte. Erlaubt man da der Öffentlichkeit nicht mehr, sich über diesen Ablauf – der Jurist nennt es Kausalzusammenhang – zu wundern?
 
Da auf solcher Grundlage das Vertrauen der Bürger nicht wiederhergestellt werden kann, sollte der Stadtrat alles tun, um klar und eindeutig zu sagen, was geschehen kann, damit die leidige Angelegenheit aus der Welt geschafft wird. Baugenossenschaften werden sich finden, die einspringen und Herrn Rücker für seine Arbeit ausreichend entschädigen. Oder will man sich hinstellen und der Öffentlichkeit ins Gesicht sagen, es sei alles in Ordnung? Es wäre für alle Beteiligten besser, man würde die fadenscheinigen und unaufrichtigen Ausflüchte, die widerlegt sind, bevor sie ausgesprochen werden, beiseite lassen.
 
Des Umfangs wegen sind wir heute nur auf diesen Komplex eingegangen. Wir verstehen in dieser Hinsicht aber Herrn Rücker, der uns sagte, seine Sache vertrete er, das andere aber sollten die ausbaden, die es zu verantworten hätten. In einer Atmosphäre, wo 11000 Quadratmeter erstklassigen Baulandes aus dem Gemeineigentum einem Stadtratsmitglied und Fraktionsvorsitzenden unter den geschilderten Umständen überantwortet werden, wundert sich niemand, dass noch viele andere Dinge geschehen sind, die man nicht gutheißen kann. Wir haben mit eindringlichen Worten bei den verschiedensten Gelegenheiten vor dem hochfahrenden Wesen, das unserer Meinung nach die Ursache der ganzen Misere ist, gewarnt. Leider vergebens. Man soll es uns bitte glauben, dass wir uns nicht von Sensationslust oder Gehässigkeit leiten lassen; sonst hätten wir damit nicht so lange gebraucht und uns so viele Gedanken gemacht. Es ist nichts als die Sorge und die Liebe für die Stadt, unsere Heimat, die uns zwingt, so lange unsere Stimme zu erheben, bis wir das Gefühl haben, dass man zur Sauberkeit und Unparteilichkeit, die noch unter Löffler und Stadelmayer das Rathaus beherrschten, zurückgekehrt ist. Wir wollen aber auch draußen in anderen Gemeinden den Menschen helfen, damit sie nicht das Gefühl haben, sie seien denen, die Macht haben, schutzlos ausgeliefert. In Würzburg zweifeln wir nicht daran, dass wir die Unterstützung der Mehrheit der anständigen Bürger einschließlich der Beamten und Angestellten der Stadt und nicht zuletzt auch eine großen Teiles des Stadtrates für unser Vorhaben finden werden."
 
M. M.

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