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WÜRZBURG
Zimmerer: Presseberichte von 1962 bis 1984 (16/52)
13. Februar 1963, Fränkisches Volksblatt: Ein typisches Produkt seiner Zeit
Foto: Main-Post-Archiv | 13. Februar 1963, Fränkisches Volksblatt: Ein typisches Produkt seiner Zeit
Redaktion
 |  aktualisiert: 07.04.2020 10:40 Uhr
13. Februar 1963, Fränkisches Volksblatt:
 

Ein typisches Produkt seiner Zeit

Kritische Anmerkungen zur Dissertation Dr. Helmuth Zimmerers


Vorweg muss bemerkt werden, dass alles das, was bei Zimmerer in der Verbrämung wissenschaftlicher Darstellung zu lesen ist, für uns Heutige aufgrund unseres Wissens weitaus schrecklicher und unmenschlicher ist, als es dem damals 23jährigen Doktoranden erschienen sein mag. Man muss aber auch dann, wenn man jeglichen Rassenwahn ablehnt und wenn man die satanischen Folgen der Anwendung jener Nazi-Wissenschaft erfahren hat und verdammt, bestrebt sein zu ergründen, wieso ein junger Jurastudent der Jahre 1935/36 diese grässlichen Ideen durch die Hereinnahme in seine Doktorarbeit zu den seinen machen konnte. Und wir müssen ferner fragen, ob ein Doktorand jener Jahre, wenn er schon eine solche Arbeit zu schreiben unternahm (in welchem Maße ihm die Wahl eines anderen Themas möglich war, wird bei der Befangenheit aller Beteiligten nicht mit Sicherheit festzustellen sein), also in welchem Maße ein solcher Doktorand überhaupt die Möglichkeit gehabt hat, andere als die damals amtlichen Auffassungen zum Ausdruck zu bringen oder auch nur mit einem rhetorischen Fragezeichen zu versehen.
 


Es wäre auch ferner zu fragen, ob Zimmerers Arbeit auch nur in einem einzigen Falle zur Verschärfung des Rassenterrors beigetragen hat oder nicht. Das wird aber im Einzelnen kaum noch nachzuweisen sein. Es darf jedoch als sicher angesehen werden, dass Hitler, Himmler und ihre Helfershelfer der Doktorarbeit Zimmerers gewiss nicht bedurft hätten, um ihre Verbrechen durchzuführen. Zimmerers Arbeit ist also höchstens ein Werkzeug jener gewesen, die ihre Rassenpolitik mit Terror und Hinterlist und Lüge verwirklichten. Den 23jährigen Doktoranden zu einem Wegbereiter in die Hölle der KZ abzustempeln, durfte (sic!) den tatsächlichen Verhältnissen jener Jahre kaum entsprechen.
 
Aus der nachfolgenden Untersuchung eines Mitglieds unserer Redaktion geht klar hervor, dass alle einschlägigen NS-Auffassungen von Rasse und Staat bei Zimmerer auftauchen. Insofern ist diese Dissertation ein typischer Ausdruck nationalsozialistischen Denkens. Zimmerer hat aber dieses Denken nicht durch eigene Ideen vermehrt, sondern nur zusammengefasst.

*

Wer den staats- und rechtsphilosophischen Hintergrund der Arbeit Dr. Zimmerers kennt, wird bei der Lektüre keine auffallenden Überraschungen erleben. Nach 1933 haben viele Staats- und Rechtslehrer, gewiss nicht alle, versucht, den Nationalsozialismus auf irgendeine Weise zu ertragen. Unter diesen Rechtslehrern aber gab es auch solche, die sich mit dem "wissenschaftlichen Ertragen" nicht beschieden haben, sondern ihre Wissenschaft von der nationalsozialistischen Rechtspolitik in Dienst nehmen ließen.
 
Die Zusammenhänge können hier nicht ins Einzelne geführt werden. Entscheidend ist: Unter Berufung darauf, dass der nationalsozialistische Staat nur Werkzeug der nationalsozialistischen Idee sei, sind ganz bestimmte Rechtsquellen, ohne Anstrengung eines Begriffs des Rechts, "naturrechtlich" und "weltanschaulich" entschlossen worden: Volk, Blut, Rasse, "gesundes Volksempfinden‘ und ,konkretes Ordnungsdenken". Der Versuch, das Recht auf diese "letzten natürlichen Ordnungen" zu gründen, war keine Rechtsphilosophie mehr, sondern Politik. Bei vielen damaligen Rechtslehrern ist die Uniformität des "rechtsphilosophischen" Schrifttums zu belegen.
 
Zimmerers Dissertation ist nach Methode und Inhalt diesem Schrifttum verpflichtet. Die Abhängigkeit wird erweitert durch den Zuwachs an nationalsozialistischen Gesetzen von 1933 bis 1935. Wir erinnern, um wenigstens einige Beispiele zu nennen, an die an die "Akademie für Deutsches Recht" des "Reichsrechtsführers" Hans Frank (Grundlage der Auslegung aller Rechtsquellen ist die nationalsozialistische Weltanschauung); an die fünf Aufgaben der Rechtsordnung als "völkische Substanzwerte" (Blut, Boden, Ehre, Wehrkraft, Arbeit). Zu erinnern ist auch an die im Sommer erlassene Ausbildungsordnung für Juristen, die eine "arische Abstammung" bei der Zulassung zur juristischen Prüfung verlangte, und an die Nürnberger Gesetze. Damit soll nur kurz angedeutet werden, dass über den Rassegedanken der Antisemitismus ein die Rechtslehre mitbegründendes Element wurde.
 
In Terminologie, Diktion und wissenschaftlicher Sprachregelung ist Zimmerers Arbeit vom genannten Schrifttum bestimmt. Sie belegt jene fatale weltanschauliche Bindung, in die die Rechtswissenschaft damals geraten war. Bei dieser Abhängigkeit und bei der Verwendung der "Wir"-Form ist es nicht ohne weiteres möglich, zitierte und persönliche Meinung auseinanderzuhalten. Eines ist sicher: das wissenschaftliche Fragen wird fast durchweg durch die behauptende Übernahme ersetzt. "Man ist zu der Überzeugung gekommen", "allgemein anerkannt ist heute wohl", "glauben wir allerdings", "daraus sieht man" usw. Was nicht begründet wird, wird weltanschaulich verankert. Wenn "Blut und Boden" die "Grundelemente weltanschaulicher Überzeugung2 sind, dann ist man einfach zu dieser Überzeugung gekommen. Welche wissenschaftliche Ergebnisse können schon herauskommen bei Sätzen wie: "Die nordische Rasse überwiegt zahlenmäßig und ist bei allen Deutschen mehr oder weniger (!) vorhanden"; oder: "Das rassische Denken lehrt uns", oder: "Das in der Volksüberzeugung (!) ruhende Recht hat seine Wurzel in der Rasse."
 
Es trifft zu, dass Zimmerer in seiner Arbeit nicht ausdrücklich das vertreten hat, was heute mit Rassenhass und Rassenhetze gemeint ist. Er hat zwischen "Wert" und "Art" der Rasse unterschieden: "Da wir die Gefahren der Rassenmischung nicht im verschiedenen Wert, sondern in der verschiedenen Art der Rassen sehen, ist es z. B. überflüssig (!), etwa die Minderwertigkeit der jüdischen Anlagen beweisen zu wollen. Die Juden sind ein Volk vorderasiatischer und orientalischer Art, also eines von dem unseren völlig fremden Wesens, mit dem wir jede Verbindung eben deswegen ablehnen müssen." Daran schließt ein Alfred-Rosenberg-Zitat: "An der Missachtung dieser Lebensgesetze ging der alte Staat, das 'zweite Reich' zugrunde, wird Deutschland als geistige, politische und völkische Einheit überhaupt untergehen, wenn nicht die systematische Ausscheidung des biologisch und seelisch dem Deutschen Fremden von einer zielbewussten Staatsleitung in die Hand genommen wird."
 
Vorher schreibt Zimmerer: "Die Betonung der Rassenverschiedenheit der Völker (bedeutet) ja nicht einmal den Ausdruck einer Minderwertigkeit eines anderen Volkes." Nun, dem Leser, dem wissenschaftlich interessierten vor allem, hätte es damals schon geholfen, wenn solche Zitate nicht einfach aneinandergesetzt worden wären und der Begriff "systematische Ausscheidung" eine genauere Definition erfahren hätte. Manches Kapitel der "Rassenhygiene" ließ sich hier doch unbeschwert unterbringen. Von wissenschaftlichem Gefühlt zeugt auch nicht die Gewohnheit, bei bestimmten Zitaten den Autor ohne Grund zu klassifizieren, indem man "der Jude Jellinek" oder "der Jude Marx" schreibt. Ein bisschen sehr hat sich der Doktorand nach der Decke gestreckt.
 
Auch die staatstheoretischen Teile der Arbeit sind in ihren historischen und sachlichen Angaben durch Methode und Terminologie völlig gebunden. Wenn der Begriff der Rasse ein wissenschaftliches Prinzip geworden ist ("Das rassische Denken lehrt uns"), kann die Demokratie nur noch die "politische Form des rassischen Niedergangs" sein, weil der aus der "Rasse" gewachsene "völkische Staatsbegriff" die Demokratie hinter sich lässt. Die Demokratie baut auf "Fiktionen" auf, Gleichheit und Gleichberechtigung sind "Schlagwörter", das allgemeine und gleiche Wahlrecht "ein typisches Merkmal individualistischer Zersetzung", die Demokratie hat "kulturelle und biologische Folgen", als "Staatstheorie" musste sich in die "Krise" geraten. Wenn sie dann, im Zusammenhang eines historischen und systematischen Überblicks, "Wahnsinnsform" genannt wird, dann ist das mehr eine etwas schöngeistige Zugabe zu einer Darstellung, die auch ohne dieses Wort klar umrissen ist. Der nationalsozialistische Gemeinschaftsstaat entspricht der völkischen Theorie der "rassengebundenen Volksseele", da diese auch das "Maß des Denkens", also der Theorie ist.
 
Wenn beide Teile der Arbeit, der rassentheoretische und der staatstheoretische, miteinander verbunden werden, muss die "Lösung des Rasseproblems einer der wichtigsten Bausteine des Dritten Reiches" werden. Die "von den Juden angestrebte Assimilation" muss durch die Blutschutzgesetze zu einer "Dissimilation" der Juden geführt werden, d. h., letztere ist die "einzig mögliche Lösung der Judenfrage".
 
Beide Begriffe werden sowohl in der Sprachwissenschaft als auch in der Biologie verwendet. Ihr staatswissenschaftlicher Sinn liegt in Zimmerers Dissertation unerklärt verschlossen. Mit "rassistischer Überheblichkeit" haben die Nürnberger Gesetze, nach Zimmerer, nichts zu tun. Sie sind "nur" (!) ein "rassepolitisches Kampfmittel" für die Reinheit unseres Volkes. Auch hier fehlt dem Begriff des "Rassepolitischen" jede nähere Klarheit, es sei denn, man entnimmt sie den Nürnberger Gesetzen; der ganze Widersinn der manipulierten Wissenschaft vom Antisemitismus müsste dann besprochen werden.
 
Die letzte Begründung finden die rechtswissenschaftlichen Sätze in der Theorie von Wissenschaft überhaupt. Die "Wissenschaft hat keinen Eigenwert", sie "dient nur dem Volke", sie hat keine letzten Prinzipien, sondern "letzte Werte", die man nicht beweisen oder schaffen kann, "das Blut kann sich nur darauf besinnen". Eine völkisch-politische Menschenlehre ist das Zentrum des Weltbildes der "neuen Wissenschaft". Die Wissenschaft wird also verpflichtet zu einem neuen Welt- und Menschenbild, zu dem wiederum eine andere, rassisch-politische Weltanschauung den Weg weist. Damit sind die so genannten methodologischen Grundlagen für das "neue Denken" formuliert.
 
Zusammenfassend kann man sich dann in der Dissertation die letzte Hilfe holen. "Zum Aufbau einer neuen Wissenschaft gehören aber nicht nur neue Menschen, sondern auch neue Werkzeuge, neue Begriffe. Die Überwindung der alten Begriffswelt wird uns (!) umso schwieriger fallen, als jenes System von seinen geistreichsten Vertretern ausgeschliffen und ausgefeilt worden ist. Zum anderen sind wir selbst in dieser Gedankenwelt sozusagen aufgewachsen und in ihr noch zu befangen, um zu merken, dass wir oft etwas anderes sagen wollen (!), als wir mit dem benutzten Begriff tatsächlich ausdrücken. Wir wollen uns bemühen, diesen Fehler nach Möglichkeit auszumerzen, es möge aber verziehen (!) werden, wenn er doch manchmal unterlaufen sollte"!
 
Das ist also die Wissenschaft, die "keinen Eigenwert" hat und "nur dem Volke dient". Zimmerers Arbeit ist ein Stück dieser "Wissenschaft".  

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