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Würzburg
Zeuge im Prozess um Messerattacke: "Er stand direkt über mir und wollte mich abstechen"
Am vierten Verhandlungstag hörte das Gericht weitere Zeugen, die die Tat in der Würzburger Innenstadt mit ansehen mussten. Ein Mann geriet selbst ins Visier des Angreifers.
Der vierte Verhandlungstag im Prozess um die Messerattacke am Barbarossaplatz in Würzburg fand erneut in der Weißen Mühle in Estenfeld (Lkr. Würzburg) statt - so wie der dritte, von dem diese Aufnahme stammt.
Foto: Thomas Obermeier (Archiv) | Der vierte Verhandlungstag im Prozess um die Messerattacke am Barbarossaplatz in Würzburg fand erneut in der Weißen Mühle in Estenfeld (Lkr. Würzburg) statt - so wie der dritte, von dem diese Aufnahme stammt.
Jonas Keck
 und  Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:55 Uhr

Mit Menschen, die sich Abdirahman J. am 25. Juni 2021 am Barbarossaplatz mutig entgegenstellten, geht der Prozess um die Messerattacke von Würzburg in seinen vierten Verhandlungstag. Darunter sind zwei Security-Mitarbeiter eines nahen Supermarktes. Für den mutigen Widerstand, der wohl weitere mögliche Opfer vor dem Tod bewahrte, steht jedoch vor allem Chia Rabiei. Der 42-jährige Kurde ist am Dienstag schon vor Prozessbeginn ein gefragter Interviewpartner. Am Parkplatz vor der Weißen Mühle in Estenfeld (Lkr. Würzburg) warten am Morgen die Kameras auf ihn.

Am Abend der Tat hatte der damals wohl 31-jährige Abdirahman J. in der Würzburger Innenstadt mit einem Messer drei Frauen im Alter von 24, 49 und 82 Jahren getötet. Weitere sechs Personen, darunter ein elfjähriges Mädchen, wurden schwer verletzt, ehe immer mehr Passanten dem Angreifer entgegen traten und ihn in eine Nebenstraße drängten. Dort wurde er von zwei Polizeibeamten überwältigt.

Ein Security-Mitarbeiter eines nahegelegenen Supermarkts hatte mit ansehen müssen, wie eine der Frauen getötet wurde. "Mann mit Messer, Mann mit Messer" hätten Passanten gerufen, bevor der Angreifer aus dem Kaufhaus Woolworth gelaufen kam. Dann folgten drei Stiche in schneller Abfolge in den Rücken einer Frau, schildert der Zeuge jetzt vor Gericht. Er habe den Mann aufhalten wollen, aber sei üblicherweise im Dienst nicht bewaffnet, sagt der Security-Mitarbeiter. Mit einem Regenschirm und einem Klappstuhl versuchte er auf den Arm des Angreifers schlagen, um ihn zu entwaffnen.

Angreifer ging laut Zeuge gezielt auf Frauen los

Dann sei er selbst ins Visier des Angreifers geraten. Er stolperte und stürzte auf die Schulter. "Er stand direkt über mir und wollte mich abstechen", sagt der Zeuge mit ruhiger Stimme. Passanten seien ihm zu Hilfe gekommen. Sie retteten dem Security-Mitarbeiter möglicherweise das Leben: "Eine Sekunde länger – und es wäre rum. Dann wüsste ich nicht, ob ich heute noch hier sitzen würde." Der Zeuge geht davon aus, dass der Angreifer so viele Menschen töten wollte wie möglich. Und er sagt, der Somalier habe genau gewusst, was er tut. Er sei zwar "wild" herumgerannt, habe aber einen "gefassten" Eindruck gemacht. Der Angreifer, so beschreibt es der Security-Mitarbeiter, sei "gezielt auf Frauen" losgegangen.

Security-Mitarbeiter im Zeugenstand: "Ergeben hätte er sich nicht"

Ein anderer Security-Mitarbeiter wird am Dienstag ebenfalls als Zeuge gehört. Er geht davon aus, dass der Angreifer nicht gestoppt hätte, wenn Passanten nicht eingegriffen hätten. "Ergeben hätte er sich nicht." Als ein Polizist den Täter mit einem Schuss in den Oberschenkel niederstreckte - erst in diesem Moment sei der Mann "aufgewacht" und habe die Augen weit aufgerissen.

Zum Auftakt des Prozesses hatte der Messerangreifer über seinen Anwalt die Taten eingeräumt und sich bei den Opfern entschuldigt. Am vierten Verhandlungstag wirkt der heute wohl 32-jährige Mann so, als könne er nachvollziehen, was um ihn herum passiert. Sein Blick folgt dem Geschehen in der Estenfelder Turnhalle, die als Gerichtssaal dient. Eine Dolmetscherin übersetzt für den Somalier simultan jedes Wort, das im Prozess gesprochen wird. Gegen Ende des Verhandlungstages legt er zwischenzeitlich seinen Kopf auf die Anklagebank.

Passant kämpfte mit Rucksack gegen den Messerangreifer

Chia Rabiei wurde so etwas wie das Gesicht derer, die sich dem Messer schwingenden Täter an jenem Abend mutig in den Weg gestellt hatten. Er war in Würzburg beim Einkaufen gewesen, hatte einen Rucksack bei sich. Als er sah, dass der Messerangreifer auf einen jungen Mann einstach, habe er helfen und die Aufmerksamkeit des Somaliers auf sich lenken wollen, sagt Rabiei vor Gericht: "Ich habe jeden Moment das Gefühl gehabt, dass er mich jetzt angreift."

Chia Rabiei versuchte den Messerangreifer mit einem Rucksack in Schach zu halten. Das Foto entstand wenige Tage nach der Tat.
Foto: Christoph Weiss (Archivbild) | Chia Rabiei versuchte den Messerangreifer mit einem Rucksack in Schach zu halten. Das Foto entstand wenige Tage nach der Tat.

Verletzt worden sei er von dem Mann mit Messer nicht. Er habe sich lediglich eine "kleine Wunde am Ellenbogen" zugezogen, als er ausrutschte und stürzte. Einige Monate lang habe er Albträume gehabt, konnte schlecht schlafen, berichtet Rabiei. Auch in diesen Tagen des begonnenen Prozesses denke er immer wieder an den Vorfall und überlege, wie er Menschen beschützen könne.

Das Gericht hört am Dienstag insgesamt sieben Zeugen. Ein junger Mann war auf dem Weg zum Gitarrenunterricht. Andere Zeugen fuhren mit dem Fahrrad von der Arbeit nach Hause, wollten für das Wochenende einkaufen - und sahen, wie das kleine Mädchen angegriffen wurde. Eine Zeugin verfolgte die Szenen vom Fenster eines Gebäudes nahe des Barbarossaplatzes aus, nachdem sie "spitze Schreie" auf der Straße gehört hatte. Sie beschreibt den Angreifer als "wahnhaft". Der Mann sei "vehement" vorgegangen, aber habe nicht aggressiv gewirkt.

Weniger Journalistinnen und Journalisten in der Verhandlung

Das überregionale Medieninteresse an dem Fall hat im Vergleich zum Prozessauftakt deutlich nachgelassen. Von den rund 30 für Presse reservierten Plätze sind am Dienstagmorgen nur sechs besetzt, am Nachmittag noch drei. Unter den wenigen Zuschauern und Zuschauerinnen der Verhandlung sind vornehmlich Betroffene und Angehörige von Zeugen.

Der Prozess wird voraussichtlich am Freitag, 27. Mai, um 10 Uhr fortgesetzt - dann wieder in den Mainfrankensälen in Veitshöchheim (Lkr. Würzburg).

 
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