
"Ich habe schon als kleines Kind Gott gesucht." Ein solcher Satz öffnet ein Gespräch für viele Fragen. Und für persönliche Antworten. Er stammt von einer Frau aus Würzburg, die zum Judentum konvertiert ist. Damals war sie 21. Heute ist sie 31. Für diese Geschichte nennt sie sich Rivkah. Ihren echten hebräischen Namen, den sie sich selbst ausgesucht und mit dem Übertritt erhalten hat, möchte sie nicht nennen, "auch aus Angst vor antisemitischen Anfeindungen".
Jüdin oder Jude ist, wer eine jüdische Mutter hat. Rivkah ist eine von drei Frauen und zwei Männern in der rund 1000 Mitglieder starken Israelitischen Gemeinde Würzburg und Unterfranken, Shalom Europa, die in den vergangenen zehn Jahren konvertiert sind. Aktuell bereiten sich dort laut Rabbiner Shlomo Zelig Avrasin je zwei Frauen und Männer auf den Übertritt vor, den sogenannten Gijur.
Schon als Kind suchte sie Gott
"Es war ein einsamer Weg", sagt Rivkah rückblickend über ihre Jahre bis zur Konversion. Doch eine Sehnsucht trieb sie an.
Die Würzburgerin wurde als Kind atheistischer Eltern geboren. Wenn sie ihre Eltern fragte: "Woher kommt der blühende Baum?" habe sie "eine wissenschaftliche Antwort" erhalten. "Aber keine, die mir die Schönheit und Lebendigkeit des Baums erklärt hat." Im Kindergarten erfuhr das Mädchen, "dass es einen Gott gibt, der die Welt erschaffen hat. Ab da wusste ich, was ich suche: Gott".
Mit acht Jahren ließ sie sich taufen
Als Grundschülerin mit Religionsunterricht suchte sie ihn zunächst im Katholizismus. "Um ein richtiges Kind Gottes zu werden", ließ sie sich mit acht Jahren taufen. Doch als Gymnasiastin spürte sie: "Das Christentum ist es nicht. Ich glaube nicht an Jesus und das Neue Testament, sondern nur an Gott und das Alte Testament."
Intuitiv fühlte sich die Jugendliche immer stärker zum Judentum hingezogen, auch im Zuge der Auseinandersetzung mit dem Holocaust und eines Praktikums im Konzentrationslager Buchenwald. Je mehr sie sich damit beschäftigte, desto mehr befand sie: "Die Juden sind diejenigen, die das Wort Gottes wirklich befolgen."

Die Würzburgerin wollte fortan jüdisch leben. Aber sie wusste nicht, wie. Also fing sie an, erst mal "für mich selber religiös zu sein. Zu Gott zu beten, in meinen eigenen Worten. Ein besserer Mensch zu werden".
Neue Kleidung, neue Ernährung, neuer Alltag
Mit 15 schrieb sie dem Würzburger Rabbiner einen Brief und bat ihn um ein Treffen. "Wir redeten drei Stunden. Dann wünschte er mir alles Gute." Das Judentum missioniert nicht, sagt Rivkah. Aber es prüfe sehr genau, wer sein Leben nach den 613 Geboten und Verboten ausrichten will.
Die Jugendliche wollte das, nichts wollte sie mehr. Nach dem jüdischen Neujahrsfest Rosch ha-Schana, das sie damals auf ihre Bitte mit der Jüdische Gemeinde feierte, bat sie den Rabbiner, an einem Vorbereitungskurs für den Übertritt teilnehmen zu dürfen. Er stimmte zu.
Sechs Jahre dauerte der Weg, der Rivkah auf eine harte Prüfung stellte. Sie lernte in dieser Zeit nicht nur Hebräisch und studierte Jüdische Studien. Sie veränderte ihr Leben auch von Grund auf, wie es das jüdische Gesetz, die Halacha, will. "Ich habe alle meine Klamotten aussortiert und neue gekauft. Im Judentum soll man sich bescheiden kleiden." Wie üblich, trägt sie auch an diesem Tag einen hochgeschlossenen Pullover, einen Rock und eine Strumpfhose. "Die ist Pflicht, bei jedem Wetter."

Sie schaffte neues Geschirr an und kochte überwiegend koscher. Zudem hielt sie die jüdischen Feiertage und den Schabbat ein. Nicht nur Arbeit ist verboten am Ruhetag, der am Freitag bei Sonnenuntergang beginnt und mit Eintritt der Dunkelheit am Samstag endet, auch die Nutzung von Technik: "Das heißt: kein Licht, kein Handy, kein Auto- oder Straßenbahnfahren." Eine riesige Umstellung. Nicht nur für sie.
Unverständnis von Familie und Freunden
Familie und Freunde reagierten "mit Unverständnis oder Rückzug", erzählt Rivkah. Besonders für ihre Mutter sei es anfangs schwierig gewesen. "Wir hatten immer zusammen gekocht – nun aß ich dieses Essen nicht mehr. Oder wir hatten samstags gemeinsam Gartenarbeit oder Ausflüge gemacht – jetzt wollte ich in die Synagoge gehen." Ihr Vater habe ihre Pläne zunächst nicht ernst genommen. "Trotz ihrer Bedenken haben mich meine Eltern immer unterstützt." Dafür ist Rivkah dankbar. Mit Freunden dagegen, die lieber Party machten, sei die gemeinsame Ebene weggebrochen: "Ich habe Menschen verloren", sagt sie.
Doch die schlimmste Ablehnung stand der jungen Frau noch bevor: Dreimal wurde sie vom vorbereitenden Rabbinergericht nicht zur Übertrittsprüfung zugelassen. Erst nach eineinhalb Jahren bekam sie die Einladung zum offiziellen jüdischen Gericht Beth Din – und wurde noch viermal abgelehnt. "Ich weiß bis heute nicht, warum", sagt Rivkah und mutmaßt, dass ihr Konversionswunsch vielleicht aufgrund ihres jungen Alterns sehr genau geprüft worden sei. "Ich weiß nur: Noch ein weiteres Mal, und ich hätte aufgegeben."
Das entscheidende Gespräch 2014 in Köln, wohin alle Konversionswilligen zum Beth Din müssen, dauerte nur zehn Minuten. Dann endlich durfte sie Jüdin werden. "Ich war völlig überwältigt", erinnert sich die Würzburgerin an das Gefühl, als sie aus der Mikwe, dem rituellen Bad, auftauchte und ab da Rivkah hieß. Beim nächsten Schabbat in ihrer Gemeinde, wo ihr zuvor mit Zurückhaltung begegnet worden sei, traf sie nun auf Herzlichkeit: "Alle umarmten mich und riefen 'Masel tov'!"
Rivkah war angekommen. Im Judentum fand sie nicht nur den Gott, den sie schon als kleines Kind gesucht hatte. Sie fand auch "Zugehörigkeit zu einem Volk und eine religiöse, geistige und emotionale Heimat".
Suche nach einem jüdischen Ehemann
Nun sucht die 31-Jährige noch einen jüdischen Mann. Sie möchte heiraten und eine Familie gründen. Ein paar Mal hat sie ihr Glück bei einem Schadchan versucht, einem traditionellen Heiratsvermittler, die auch heute noch beim "Matchmaking" helfen. Doch die Kuppelversuche blieben ohne Erfolg.
Dann lernte Rivkah einen Mann in ihrer Gemeinde kennen. Er ist nun seit fünf Monaten ihr sogenannter Schidduch. Bei den Treffen geht es darum, auszuloten, ob sie genügend gleiche Vorstellungen vom jüdischen Leben und der Zukunft haben. Rivkah lächelt. Sie ist zuversichtlich. "Und auch ein bisschen verliebt."