Sechs Autorinnen und Autoren leben einen Monat zusammen, erkunden die Region, gehen Spuren der Geschichte nach. Dabei entstehen Texte, Gedichte, Tagebücher, Gebete, Performances und Musik. Es sind Jüdinnen und Juden, ein Nichtjude und eine Muslima, ihre Werke werden sie in drei Sprachen (Deutsch, Hebräisch und Arabisch) an drei Orten vorstellen (Würzburg, Gaukönigshofen und Aub).
Zusammengebracht hat sie Yona-Dvir Shalem, Wahlwürzburger aus Israel/Palästina, teilweise aufgewachsen in Zürich, Doktorand der Theologie, selbst Autor und Yehuda-Amichai-Experte. "Ich hatte die Aktion seit September geplant, dann kam der 7. Oktober, und ich ließ alles ruhen", sagt Shalem. Interessanterweise seien die Fördermittel von Freistaat, Stadt und Landkreis Würzburg und Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit danach erst richtig geflossen, und so konnte Shalem nach einer Ausschreibung sechs Künstlerinnen und Künstler einladen und mit je einem kleinen Stipendium ausstatten.
Unter dem bei Amichai entlehnten Titel "Es gibt noch ein Licht aus Erinnerungen" geht es um das Thema Displacement/Ortsverlust. Vor einigen Tagen hat die Gruppe die erste Sabbatfeier nach über 80 Jahren in der Synagoge in Aub (Lkr. Würzburg) begangen - auch für die nichtjüdischen Teilnehmer höchst bewegend, berichten diese.
Mit Diskriminierung oder zumindest Vorurteilen müssen alle immer rechnen
"Wir sind kein ausschließlich jüdisches Projekt", sagt Shalem, "aber durch die Beschäftigung mit vielen, auch historischen Texten hier aus der Region und mit der eigenen künstlerischen Arbeit versuchen wir, ganz im Sinne der Thora, etwas Frieden und Harmonie hierher zurückzubringen. Das mag nicht von Dauer sein, aber vielleicht gelingt es uns, wenigstens einen Funken zu entfachen."
Auch wenn es nicht immer um Gewalt geht: Mit Diskriminierung oder zumindest Vorurteilen und Verallgemeinerungen müssen alle immer rechnen. Deshalb zum Beispiel charakterisiert sich eine Teilnehmerin als "in den Grenzen von 1948 lebend". Yona-Dvir Shalem erläutert: "1948 ist - je nach Perspektive - das Jahr der Besetzung Palästinas und/oder das Gründungsjahr des Staates Israel."
Die Situation ist angespannt. Israel führt weiter Krieg in Gaza, der Konflikt mit dem Iran eskaliert, und in Deutschland scheint die Bedrohungslage für Jüdinnen und Juden wie für Palästinenserinnen und Palästinenser so konkret, dass hier die Wohnorte des Projekts nicht erwähnt werden, und manche Teilnehmende im Folgenden unter Pseudonym zu Wort kommen.
Martha von Wild, Künstlerin aus Berlin:
Ich habe bei Begegnungen in Unterfranken vorwiegend positive Erfahrungen gemacht. Allerdings verschwinden wir Jüdinnen und Juden in den Gesprächen oft als Individuen und werden zu Symbolen. Anders als viele andere Länder hat Deutschland einen ersten Schritt getan, indem es sich seiner Vergangenheit gestellt hat. Jetzt müsste der zweite Schritt folgen, dass Juden wieder als Individuen wahrgenommen werden. Außerdem beschäftigt mich das Thema der transgenerationalen Traumata. Es gibt bei den Kindern der Holocaust-Überlebenden hohe Suizid-Raten. Es stellt sich also - auch für die dritte Generation - die Frage: Wie verarbeitet man extreme Gewalt, wenn sie längst vorbei ist?
Aya Kagan Ben-Ishay, 31, Haifa, Musikerin und Dichterin:
Ich lebe als Jüdin in Palästina. Ich habe vier Jahre Operngesang in Deutschland studiert. Heute nutze ich meine Stimme vor allem zum Beten und Heilen. Ich versuche, Musik und Gebete zu den biblischen Texten zu entwickeln, aber auch zu den Texten der Gruppe, die hier entstehen. Vor dem Hintergrund der Spirale aus Traumata und des totalen Chaos, in das ich zurückkehren werde, frage ich mich: Was kann ich beitragen, um gemeinsame Heilung zu ermöglichen?
Ich bin in Jerusalem in einem ehemals palästinensischen Haus aufgewachsen - wir wissen nicht, wem es früher gehörte. Die Palästinenser erleben, dass ihr Leid nicht gesehen wird, und das ist gefährlich für Deutschland. Auf all das will ich aufmerksam machen - auch wenn ich damit in Konflikt mit meiner Familie bin.
Amira Abo Ata, 27, Haifa, Performancekünstlerin:
Ich möchte nicht die Rolle der Minderheit übernehmen, aber die Freiheit von den Machtstrukturen, auch wenn es manchmal nichts zu tun gibt, hat Auswirkungen. Hier zu sein, gibt mir die gleichen Möglichkeiten wie allen anderen, zu schreiben, zu schaffen und aufzutreten. Es ist ein Privileg, hier zu sein.
Hier zu sein hat mir geholfen, viele Dinge in ihrem historischen Kontext zu verstehen. Für mich ist Hebräisch die Sprache, die alle lernen mussten. Aber hier, im Kontakt mit dem Ort und der Geschichte, habe ich mich nicht mit der Sprache auseinandergesetzt, aber ich habe mehr Wertschätzung für sie gewonnen.
Tchelet Zohar, 30, Jerusalem, Dichterin und Künstlerin:
Diese Gegend ist von großer Bedeutung für mich: Meine Urgroßmutter war aus Würzburg, und deren Eltern aus Veitshöchheim. Der Gedanke, dass sie einst dieselbe Mikwe, das jüdische Ritualbad, benutzt haben, das wir besichtigt haben, bewegt mich sehr. Das ist sehr inspirierend für mein Schreiben. Als Künstlerin beschäftige ich mich außerdem mit dem Element Wasser. Ich komme aus dem Feuer des Krieges in diese wasserreiche Gegend, und als es neulich hier so geregnet hat, habe ich vor Glück die Arme ausgebreitet.
Ezra Stadler, 26, München, Dichter:
Wie in vielen deutschen Familien gibt es auch in meiner einen Bruch, der mit einem Verhältnis zur Geschichte zu tun hat. Dieser Bruch zeigt sich darin, dass meine Eltern mir einen jüdischen Vornamen gegeben haben, obwohl ich kein Jude bin. In der Begegnung mit den anderen Künstlerinnen und Künstler gehe ich der Frage nach, auf welche Weise ich mich über das Schreiben und kulinarische Kunst in der Geschichte und im Leben verorten kann; und in welche Formen des Displacements das Kunstschaffen selbst führt.
An drei Orten wird die Gruppe die Ergebnisse ihrer Arbeit vorstellen: 20. August, 17.30 Uhr, Kunsthaus Michel, Würzburg - 21. August, 17 und 19 Uhr, Gaukönigshofen, Treffpunkt vor dem Rathaus - 22. August, 19.30 Uhr, Treffpunkt vor Ars Musica, Marktplatz