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Würzburg
Würzburger Strafrechtler: Bauern sollten sich nicht wie "Klimakleber" aus der Gesellschaft "herausdemonstrieren"
In Unterfranken sorgen die Bauernproteste teils für Chaos und Behinderungen. Ist das erlaubt? Und wo liegt der Unterschied zu den Blockaden von Klimaaktivisten?
Protest solle aufrütteln und das erreiche man 'oft nur durch gewisse Störeffekte', sagt der Würzburger Strafrechts-Professor Eric Hilgendorf.
Foto: Archivbild: Thomas Obermeier | Protest solle aufrütteln und das erreiche man "oft nur durch gewisse Störeffekte", sagt der Würzburger Strafrechts-Professor Eric Hilgendorf.
Susanne Schmitt
 |  aktualisiert: 15.07.2024 18:24 Uhr

Mit Traktor-Kolonnen und Blockaden haben Landwirte am Montag in ganz Unterfranken gegen die Sparpläne der Ampel-Regierung protestiert. Vielerorts kam es zu massiven Verkehrsbehinderungen, Pendler brauchten Geduld.

Bleibt die Frage: Ist das eigentlich erlaubt – oder schon Nötigung? Prof. Eric Hilgendorf, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht an der Universität Würzburg, erklärt, ab wann Protest strafbar wird und wo der Unterschied liegt zwischen Bauernprotesten und Klima-Aktivisten, die sich an Straßen festkleben.

Frage: Die Proteste der Bauern haben den Verkehr in der Region am Montag stellenweise lahmgelegt. Sind solche Blockaden erlaubt oder ist das Nötigung?

Prof. Eric Hilgendorf: Grundsätzlich sind Demonstrationen als Ausdruck der im Grundgesetz geschützten Versammlungsfreiheit in Deutschland erlaubt, wenn sie angemeldet sind. Das bedeutet: Wenn die Proteste genehmigt sind, ist das keine Nötigung. Dann wird zwar formal der Tatbestand der Nötigung erfüllt, aber der Protest ist nicht rechtswidrig und insofern nicht strafbar.

Wo liegt dann der Unterschied zu Protesten von Klimaaktivisten, die ja teilweise strafbar waren?

Hilgendorf: Es gibt zwischen den Bauernprotesten und den Protesten der sogenannten Klimakleber deutliche Parallelen – nur haben sich die Klimakleber häufig unangemeldet auf die Straße gesetzt und blockiert. Es waren also keine angemeldeten und genehmigten Demonstrationen. Die Bauernproteste sind, davon gehe ich aus, durchgängig angemeldete Demonstrationen und das macht den Unterschied.

Ist ein Protest auch dann erlaubt, wenn die Allgemeinheit dadurch stark eingeschränkt wird?

Hilgendorf: Das gehört zu einer Demonstration dazu. Protest soll die Bevölkerung aufrütteln und das erreicht man oft nur durch gewisse Störeffekte.

Gibt es Grenzen? Im Streikrecht existiert beispielsweise der Passus, dass die Maßnahmen verhältnismäßig sein müssen.

Hilgendorf: Proteste müssen einen angemessenen Zweck verfolgen und verhältnismäßig sein, das heißt, die Öffentlichkeit darf nicht mehr als nötig gestört werden. Das berücksichtigen die Behörden bei der Genehmigung. So müssen zum Beispiel Rettungsgassen offengehalten werden und der zeitliche Rahmen muss überschaubar bleiben.

Und wie schätzen Sie das ein: Wird zu viel genehmigt?

Hilgendorf: Aus meiner Sicht nicht. Demonstrationen gehören zur Demokratie. Natürlich sind Demonstrationen unter Umständen wirtschaftlich problematisch. Sie können auch das Gegenteil des gesetzten Ziels erreichen. Das zeigt das Beispiel der Klimakleber: Klima-Aktivismus ist durch die Proteste fast zu einem negativ behafteten Begriff geworden. Und die Bauern müssen aufpassen, dass sie sich nicht auch aus der Gesellschaft herausdemonstrieren. Ich vermute aber, dass die Bevölkerung diese Proteste überwiegend versteht. Wenn die Proteste allerdings zu viel werden, wenn es zu übermäßigen Belastungen kommt, dann werden die Behörden mit den Genehmigungen zurückhaltender sein.

Im Vorfeld der Bauernproteste gab es Versuche vom rechten Rand, die Aktionen zu kapern …

Hilgendorf: Wie ich der Presse entnommen habe, gibt es diese Gefahr und die Verantwortlichen haben sie erkannt. Es handelt sich aber hier erst einmal um legitime und legale Proteste und bisher gibt es meiner Ansicht nach keine starken Indizien dafür, dass rechtsradikale Gruppen mitmischen. Wichtig ist, dass man jetzt darauf achtet, dass die Demonstrationen im Rahmen verlaufen. Aber man sollte solche Proteste nicht von vorneherein delegitimieren, indem man sie in eine rechte Ecke rückt.

Auch wenn Bauern mit ihren Traktoren gezielt den Verkehr blockieren: Wenn die Proteste genehmigt sind, sind sie rechtmäßig, sagt der Würzburger Strafrechtler Eric Hilgendorf.
Foto: Stefan Pfister | Auch wenn Bauern mit ihren Traktoren gezielt den Verkehr blockieren: Wenn die Proteste genehmigt sind, sind sie rechtmäßig, sagt der Würzburger Strafrechtler Eric Hilgendorf.
Wie können die Bauern gegen Versuche, ihre Proteste zu unterwandern, angehen? Haben sie eine Art Hausrecht – sprich können sie extremistische Gruppen von den Demos verweisen?

Hilgendorf: Bei der Erteilung der Genehmigung zur Demonstration werden Auflagen formuliert und ein Leiter bestimmt. Dieser hat bestimmte Aufgaben: Er muss etwa verhindern, dass aus der Demonstration heraus rechtswidrige Taten begangen werden – also zum Beispiel verbotene Plakate hochgehalten werden. Und zugleich muss der Leiter dafür sorgen, dass sich keine extremistischen Gruppen in die Demonstration einreihen und unter dem Schutz des genehmigten Protests Straftaten begehen.

Ab wann wäre ein Protest strafbar?

Hilgendorf: Wenn er nicht genehmigt ist und wenn er über die Grenzen hinausgeht, die bei der Erlaubnis gezogen wurden, ist Strafbarkeit denkbar. Natürlich müssen immer auch konkrete Straftatbestände erfüllt werden, zum Beispiel eine Nötigung oder ein Straßenverkehrsdelikt. Das heißt zum Beispiel bei den Bauernprotesten: Es wurde eine bestimmte Strecke, eine bestimmte Zeit angemeldet und der Protest beschrieben. Wenn dann wesentlich mehr Teilnehmer kommen, eine völlig andere Strecke blockiert wird oder rechtsradikale Plakate mitgeführt werden – dann wäre das ein Anlass für die Polizei einzuschreiten und die Versammlung aufzulösen.

Spielt es rechtlich eine Rolle, aus welchem Grund protestiert wird?

Hilgendorf: Solange es ein von der Rechtsordnung akzeptierter Zweck ist, darf man in Deutschland für alles demonstrieren. Die Rechtsprechung zieht die Grenzen hier sehr weit: Im Grundsatz darf man in einer Demokratie auch für extreme Positionen demonstrieren, wenn die Versammlung friedlich bleibt.

Und wie sieht es rechtlich aus, wenn man sich durch Proteste eingeschränkt fühlt: Darf man sich wehren?

Hilgendorf: Wenn die Proteste genehmigt sind, sind sie rechtmäßig. Man darf dann nicht einfach zur Selbsthilfe schreiten, indem man beispielsweise versucht, einen Traktor eigenständig wegzufahren. Aber man kann natürlich immer die Polizei informieren, wenn zum Beispiel eine Rettungsgasse oder die Einfahrt zum eigenen Grundstück versperrt sind. In solchen Fällen wird die Polizei Abhilfe schaffen.

Kritiker merken an, dass die Bauern bei den Protestfahrten mit steuerlich begünstigtem Agrardiesel unterwegs seien. Ist das rechtlich erlaubt?

Hilgendorf: Die Landwirte haben ein Demonstrationsrecht, das ist Teil der demokratischen Ordnung und dieses Recht ist im Grundgesetz verankert. Aus meiner Sicht wäre es unverhältnismäßig, von staatlicher Seite von den Bauern zu verlangen, dass sie für Demonstrationszwecke ihren Tank neu befüllen und den Treibstoff wechseln.

 
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  • Klaus Fiederling
    ich weiß zwar nicht, wo dieser "Strafrechtler" seine Lebensmittel holt, vermutlich auch bei Aldi&Co, sollte sich dieser Herr dann auch mal Gedanken darüber machen, woher die Lebensmittel letztlich kommen, nicht von einer Maschinenfabrik sondern sind alles Produkte aus der Landwirtschaft. Wenn es unsere Landwirte malnicht mehr gibt, werden so manche große Augen machen. Und wenn alles dann vom Ausland kommt, werden wir das 5-10 fache bezahlen, da es ja auch Einfuhrzölle u.dgl. gibt. Schon mal daran gedacht, Herr Strafrechtler.
    Es ist nur beschämend, wenn sich bei diesen gutgemeinten Demonstrationen schon wieder rechtsratikale Elemente dazwischen setzen und die ganze Sache in ein schiefes Licht rücken.
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  • Dominik Bayer
    Öffentlich-rechtlich trifft die Ansicht des Interviewten nicht zu. Ein generelles Versammlungsverbot mit Erlaubnisvorbehalt, wie Professor Hilgendorf es behauptet, gibt es in Deutschland nicht. Unzutreffend ist auch, dass eine "Genehmigung" die "Rechtmäßigkeit" herbeiführe.
    Versammlungen müssen nicht genehmigt werden, da ein Erlaubnisvorbehalt unangemessen Bürger davon abhalten könnte, ihr Grundrecht wahrzunehmen. Zudem würde somit über jeder „nicht genehmigten“ Versammlung das Damoklesschwert der Strafbarkeit hängen, was diesen Effekt verstärken würde. Damit wiederum würde der Exekutive eine zu große Kontrolle über die öffentliche Meinungsbildung verliehen.
    Richtig ist, dass Versammlungen unter freiem Himmel lediglich angemeldet werden müssen, vgl. Art. 8 Abs. 2 GG, Art. 13 Abs. 1 S. 1 BayVersG. Die Anmeldepflicht besteht, damit die Versammlungsbehörde Gefahren, die ggf. von einer Versammlung ausgehen oder für diese entstehen können abwehren kann (Absicherung eines Demozuges bspw.).
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  • Gerhard Kallert
    Es ist zwar juristisch richtig, was Herr Beyer zur Unterscheidung zwischen Anmeldung und Erlaubnis ausführt, das ist jedoch weder bei den Bauernprotesten noch generell in der Praxis von Versammlungen ein tatsächliches Problem. Prof. Hilgendorf bin ich sehr dankbar, dass er die Bedeutung, sowohl rechtlich wie praktisch der Anmeldung darstellt. Das ist ja auch der große Unterschied zwischen den Klimaprotesten, die Ihre Aktionen kaum anmelden um möglichst viele Störungen zu verursachen, und den Bauernprotesten, die in der Regel angemeldet sind. Prof. Hilgendorf stellt völlig richtig fest, dass die Anmeldung im Versammlungsgesetz Voraussetzung und für Versammlungen unter freiem Himmel vorgeschrieben ist. Dies ist nicht nur ein Formalismus.
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  • Barbara Fersch
    Man sollte Respekt aufbringen, anstatt hier nur über diese Aktion herzuziehen! Andere Berufsgruppen schimpfen zwar über ihre Situation, stehen aber deshalb nicht auf. Ich glaube, man sollte lieber mal diese Berufsgruppe genauer beleuchten, was hier seit Jahren an Auflagen z.B. Stallerweiterung zum Wohl der Tiere, etc. von seiten der Regierung kommt. Auch haben Landwirte keine 30 Tage Urlaub, Wochenende, Feiertage, nein, sie arbeiten und können kaum Urlaub machen, weil man weder jede Art von Tieren , noch den Hof alleine lassen kann. Hier müssen auch Kinder mit anpacken, weil der Betrieb sonst nicht funktionieren würde ! Kinder von Stadtmenschen, sollten vielleicht öfter mal Ferien auf dem Bauernhof machen, würden manchen sehr gut tun, und sogar Spass machen !
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  • Karl Weeth
    Dann sollten die Bauern das auch so artikulieren und auf die wirkliche Krise in der Landwirtschaft hinweisen sowie Argumente für eine zukunftsorientierte Landwirtschaft vorbringen, anstatt die derzeitige Regierung für alles verantwortlich machen zu wollen. Mit Polemik generiert man außerhalb bekannter Gruppen nämlich keine Unterstützung?
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  • Heiko Münzer
    Diese Aktionen sind eine Unverschämtheit an der Allgemeinbevölkerung. Jahr für Jahr die Subventionen abgreifen und nun das. Jeder Gewerbebetrieb geht in die Insolvenz wenn er nicht wirtschaftlich arbeitet und außer den Bauern kommt keiner in den Genuss zigtausender Subventionen.
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  • Sebastian Hansen
    Versammlungen müssen nicht genehmigt werden! Sie müssen bei der zuständigen Versammlungsbehörde angezeigt und können dann von dieser beauflagt oder in Ausnahmefällen verboten werden. Warum ist in diesem Interview so viel juristischer Blödsinn?
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  • Michael Zink
    Genau das habe ich mich auch gerade gefragt.
    Hat der Herr Professor das wirklich so gesagt oder wurde das "übersetzt"?
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  • Martin Deeg
    ..."Ich vermute aber, dass die Bevölkerung diese Proteste überwiegend versteht. Wenn die Proteste allerdings zu viel werden, wenn es zu übermäßigen Belastungen kommt, dann werden die Behörden mit den Genehmigungen zurückhaltender sein."....

    Das ist doch längst der Fall: der Zweck dieser Demonstrationen steht in keinerlei Relation mehr zu den gesamtgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schäden. Den enormen Aufwand an Sicherheitskräften bis hin zur Luftüberwachung etc. bezahlt der Steuerzahler. Die Rechnung geht nicht auf....

    Und wer derarte Demos trotz deutlichem Einlenken der Bundesregierung weiter forciert verfügt offenkundig noch über genug Einnahmen, Ressourcen und Energie - das sehen auch die Bürger, die die Hauptleidtragenden dieser völlig unverhältnismäßigen lärmenden Proteste sind.

    Und natürlich werden hier rechtsextreme Kräfte gestärkt und ermutigt, Herr Hilgendorf!
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  • Andreas Gerner
    Nein, die Bürger verstehen die Ungerechtigkeit, wegen der Landwirte sich wehren. Und zwar mit einer überdeutlichen Mehrheit. 70% Stimmen den Forderungen der Landwirte zu. Das sind mehr als 3x so viele, wie den Forderungen nicht zustimmen.

    Quelle:
    Spiegel.de
    Und
    Civey

    -

    "rechtsextreme Kräfte" ?

    Landwirte sind die Bastion der NICHT-AfD-Wähler.

    Quelle
    agrarheute.com
    "So haben Landwirte bei der bayerischen Landtagswahl gewählt"

    Ihr andauernder Versuch, Landwirte und sich wehrende in die rechte Ecke zu schieben, hat keinerlei Fundament.

    -

    Seit Ampel Regierungsantritt und deren Stil, Politik über die Köpfe der Menschen hinweg, entgegen deutlichen Mehrheiten zu machen, sind der Zuspruch und die Umfragewerte (Sonntagsfrage) für AfD auf immer neuen Rekordhöhen.

    Recht eindeutig ist es die Ampel Regierung, die AfD und rechtsextreme Kräfte stärkt und ermutigt.
    In einigen Bundesländern so arg, dass die bei der nächsten Wahl wohl stärkste Partei werden.

    Länger Ampel = stärkere AfD
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  • Karl Weeth
    Herr Gerner, auch Sie sollten anerkennen, dass die Umsetzung der eigenen Sichtweise oder die Erfüllung bestimmter Gruppeninteressen nicht immer reibungslos verläuft. In einer vielschichtigen Gesellschaft existieren verschiedene Standpunkte und Perspektiven. Das Pochen auf die vollständige Umsetzung der eigenen Vorstellungen ohne Berücksichtigung anderer Ansichten kann in diesem Kontext als illusionär betrachtet werden.
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  • Jochen Freihold
    Jawohl, sehr geehrter Herr Weeth! In unserer pluralistischen, aufgefächerten Gesellschaft freiheitlicher Demokratien gibt es keine einfachen Antworten. Für das öffentliche Ansehen der Protestbewegung dürfte es sehr darauf ankommen, wie protestierende Bauern am heutigen Mittwoch mit ihrem zuständigen Bundesminister Cem Östemir umgehen. Er will sich im schwäbischen Ellwangen an der Jagst den Kritikern stellen.

    Mich wundert nebenbei, woher die eher friedliebend-gemächlichen Bauernverbände auf einmal den hohen Organisationsgrad ihrer Demonstrationen beziehen. Das scheint auch der Bayerischen Staatsregierung offenkundig nicht ganz geheuer.
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