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Augsburg
Forscher zu Protesten: "Politisch sehr schwer einsortierbar"
Während der Pandemie kaperten Rechtsradikale die Aufmärsche der Maßnahmengegner, jetzt drohen die Demonstrationen der Bauern unterwandert zu werden. Dieter Rucht erklärt, warum vieles verwässert und welche Gefahren es gibt.
Protestforscher Dieter Rucht: Höhepunkt von Pegida «vielleicht schon überschritten». Foto: Paul Zinken       -  Protestforscher Dieter Rucht: Höhepunkt von Pegida «vielleicht schon überschritten».
Foto: Paul Zinken (dpa) | Protestforscher Dieter Rucht: Höhepunkt von Pegida «vielleicht schon überschritten».
Stephanie Sartor
 |  aktualisiert: 15.07.2024 18:45 Uhr

Während der Pandemie kaperten Rechtsradikale die Aufmärsche der Maßnahmengegner, jetzt drohen die Demonstrationen der Bauern unterwandert zu werden. Dieter Rucht erklärt, warum vieles verwässert und welche Gefahren es gibt.

Herr Rucht, in Deutschland wird derzeit oft demonstriert – mehr als früher?

Dieter Rucht: Ich glaube nicht, dass mehr als früher demonstriert wird. Wir haben aber natürlich allerlei Anlässe und Krisen, die in aller Munde sind. Und wenn dann in diesem Zusammenhang Proteste stattfinden, haben wir den Eindruck, es würde sich sehr viel regen. 

Mittlerweile scheint es so, dass man bei vielen Demonstrationen keine eindeutige inhaltliche Ausrichtung mehr findet.

Rucht: Dieser Eindruck stimmt. Wir haben das bei Corona schon sehr deutlich erlebt. Es gab da zunächst einen unmittelbaren, konkreten Anlass für Proteste, das waren insbesondere die Maßnahmen der Bundesregierung. Dann hat sich ein allgemeines Unzufriedenheitssyndrom gezeigt. Die Menschen wollten plötzlich noch viel mehr zur Sprache bringen, nämlich ihren Frust über die Politik, über bestimmte Missstände, über die eigene schlechte Lage. Und es haben dann auch viele demonstriert, die gar nicht in einer desolaten Lage waren. Aber allein die Möglichkeit, dass es schlechter werden könnte, hat viele auf die Straße gebracht. In diese Demonstrationen wurden viele Anliegen reingetragen. Politisch wurde das sehr schwer einsortierbar, weil sich zu diesen Protesten, die eigentlich Corona zum Anlass hatten, auch rechtsradikale Gruppen gemischt haben, zum Teil auch linksradikale. Der Protest hatte kein eindeutiges Profil mehr. 

Derzeit gehen die Landwirte auf die Straße, um gegen die Streichung von Agrar-Subventionen zu demonstrieren. In Augsburg protestierten einige Bauern mit einem umstrittenen Bündnis, das während der Pandemie die Maßnahmen kritisierte, heute aber eher Themen wie Asyl in den Mittelpunkt rückt. Und in Berlin hat man auf den Bauern-Demos rechtsextreme Symbole gesehen. Wie problematisch ist das?

Rucht: Wenn sich die Proteste nicht mehr um die Behebung von konkreten, greifbaren Missständen drehen, sondern wenn sich eine generelle Wut gegen "die da oben" aufstaut, dann wird es problematisch, weil es das Vertrauen in die Demokratie und deren Fähigkeit zu friedlichen Problemlösungen untergräbt. Und da werden dann auch Menschen, die eigentlich gar keine rechte Gesinnung haben, sondern aus einem anderen Grund bei einer Demo sind, allmählich infiziert. Man unterhält sich mit Leuten, die ein gefestigtes rechtsradikales Weltbild haben und denkt sich: Die sind aus dem gleichen Grund hier wie ich. Und dann vermischen sich die Anliegen. 

Wäre es aber nicht im Sinn der Protestierenden, sich von anderen Gesinnungen abzugrenzen?

Rucht: Ja, und dafür sind zwei Gruppen gefordert. Einmal die Veranstalter von Demonstrationen. Da gibt es solche, die ein konkretes Anliegen haben und dann auch versuchen, unerwünschte Gruppierungen fernzuhalten. Aber die Möglichkeiten der Kontrolle sind sehr begrenzt. Die andere Gruppe sind die Demonstrierenden selbst. Nehmen wir als Beispiel einen Bäcker, der auf die Straße geht, weil er die Energiekosten nicht mehr zahlen kann. Neben ihm werden Schilder mit rechtsradikalen Symbolen hochgehalten oder es wird womöglich sogar der Hitlergruß gezeigt. Wenn Menschen gleichgültig gegenüber diesen Symbolen sind, dann wird es problematisch.

Ist das eigentlich eine neue Form des Protests? Dass viele Menschen aus unterschiedlichen Gründen gemeinsam auf die Straße gehen und die Dynamik einer kollektiven Unzufriedenheit nutzen?

Rucht: Es gab schon auch früher Situationen, in denen sich vieles vermischt hat. Wir hatten 2014 die Montagsmahnwachen für den Frieden. Die wurden aber nicht zentral von der traditionellen Friedensbewegung organisiert, sondern von jüngeren Gruppen. Und auch da zeichnete sich schon ab, dass auch Rechtsradikale dazugekommen sind. Das ursprünglich eindeutige Profil wurde völlig verwässert und das hat viele Menschen komplett irritiert, weil sie nicht verstehen konnten, warum das Thema plötzlich von rechts außen besetzt wurde. Solche Erscheinungen gab es also immer schon, aber insgesamt hat der Trend zugenommen, dass wir "Wutbürger" vorfinden, die eine diffuse Unzufriedenheit aufhäufen und sich an die jeweils aktuellen Themen hängen. Um diese Themen geht es ihnen aber gar nicht, sondern nur darum, ihren eigenen Frust loszuwerden.

Sie haben gerade das Thema Wut angesprochen. Ab dem 8. Januar droht ein "Generalstreik" von Lokführern, Landwirten und Spediteuren. Wie ordnen Sie das ein?

Rucht: Ich würde dem nicht allzu viel Gewicht beimessen. Das sind zunächst Aufrufe, die von Facebook-Gruppen kamen und nicht von organisierten und anerkannten großen Akteuren wie etwa den Gewerkschaften. Ich glaube, da wird viel Wind um eine Sache gemacht, die keine tragfähige Basis hat. Generalstreiks sind in Deutschland etwas sehr Seltenes. Das Bundesverfassungsgericht hat sich ja dazu geäußert und gesagt, dass solche Generalstreiks nur dann zulässig sind, wenn es um tarifvertragliche Regelungen aller Arbeitnehmer geht. Aber der politische Streik, der eine Regierung zu Fall bringen will oder andere politische Ziele verfolgt, ist in Deutschland nicht erlaubt, im Gegensatz etwa zu Ländern wie Frankreich.

Sie sprachen gerade von Streiks mit dem Ziel, eine Regierung zu Fall zu bringen. Ab wann wird Protest zur Gefahr für eine Gesellschaftsordnung?

Rucht: Ich glaube, dass unsere Demokratie in Deutschland ziemlich resistenzfähig ist und wir bei Demonstrationen oft zusammenzucken und denken, dass das der Untergang der politischen Kultur oder gar des Abendlandes wäre. Es gibt durchaus problematische Entwicklungen und eine sich abzeichnende Polarisierung der politischen Kulturen. Aber wir haben bei Weitem noch nicht die Verhältnisse erreicht, wie sie in der Weimarer Zeit bestanden oder sich derzeit in Ländern wie etwa den USA abzeichnen. 

Zur Person: Prof. Dr. Dieter Rucht, geboren in Kempten, ist Soziologe und Mitbegründer des Berliner Instituts für Protestforschung.

 
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