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Würzburg
Würzburger Mediziner über den Umgang mit Krebserkrankungen in der Familie: "Auszeiten sind extrem wichtig"
Angehörige können Stützen für Krebspatienten sein – oder werden von der Last erdrückt. Sie zu stärken, ist das Ziel von Prof. Imad Maatouk an der Würzburger Uniklinik.
Psychoonkologe Imad Maatouk weiß, wie belastend eine Krebserkrankung für ein Familiensystem sein kann. Mit einem aktuellen Forschungsprojekt wendet er sich gezielt Angehörigen zu.
Foto: Silvia Gralla | Psychoonkologe Imad Maatouk weiß, wie belastend eine Krebserkrankung für ein Familiensystem sein kann. Mit einem aktuellen Forschungsprojekt wendet er sich gezielt Angehörigen zu.
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 23.12.2023 02:56 Uhr

Die Diagnose Krebs ist für jeden Patienten und jede Patientin ein schwerer Schlag. Aber auch deren Familien sind betroffen, Angehörige schnell überfordert und überlastet. Dabei könnten sie wichtige Stützen für die Erkrankten sein. Wie dies gelingen kann, weiß Psychoonkologe Prof. Imad Maatouk von der Uniklinik Würzburg. Er leitet dort seit November 2021 den Schwerpunkt Psychosomatik, Psychotherapie und Psychoonkologie und ist an der Uni Professor für Medizinische Psychosomatik.

Frage: Was geht in Angehörigen vor, wenn plötzlich ein Krebsfall in der Familie auftritt?

Prof. Imad Maatouk: Eine Krebserkrankung ist häufig für alle ein Riesenschock. Das komplette Weltbild, das Selbstverständnis wird in Frage gestellt. Man muss sich als Familie neu sortieren, verabschiedet sich von Dingen, die man gemeinsam geplant hat. Der gemeinsame Rhythmus wird in Frage gestellt, man denkt an die schweren Behandlungen oder den Tod. Da ist viel Ungewissheit, die es auszuhalten gilt.

Kann eine Krebserkrankung zu einer echten Schieflage in der Familie führen?

Maatouk: Es kann sogar zu existenziellen Nöten kommen, wenn der Hauptverdiener an Krebs erkrankt. Das kann eine Familie sehr hart treffen. 

Wie erleben Sie Angehörige in Ihren Gesprächen? Was setzt ihnen am meisten zu?

Maatouk: In erster Linie die Angst, den erkrankten Menschen zu verlieren. Über die Zeit ist auch die neue familiäre Aufgabenverteilung eine Herausforderung. Wo aufgrund einer Krebserkrankung jemand ausfällt, der sich überwiegend um die Kinder und Haushalt gekümmert hat, kommt es zur Doppelbelastung für den gesunden Partner. Er oder sie muss arbeiten, will aber auch für den Kranken da sein.

Imad Maatouk forscht über den Umgang mit Krebserkrankungen und sieht erhebliche Risiken für  Langzeitüberforderungen für die ganze Familie.
Foto: Silvia Gralla | Imad Maatouk forscht über den Umgang mit Krebserkrankungen und sieht erhebliche Risiken für  Langzeitüberforderungen für die ganze Familie.
Da kann man als Angehöriger zerrissen werden, oder?

Maatouk: Definitiv. Zunächst wird einiges an Kräften freigesetzt. Familien haben viele Ressourcen und Fähigkeiten und können die Situation kurzfristig bewältigen. Aber auf der Langstrecke gibt es doch erhebliche Risiken, dass sich Einzelne oder das System Familie überfordern.

Und darüber können Angehörige selbst krank werden?

Maatouk: Ja, ich kann dann auch selbst erkranken. Eine Krebserkrankung ist ein schwerwiegendes Ereignis für alle, die Situation ist belastend. Je nach persönlicher Verfassung kann man früher oder später überlastet sein und im Laufe der Zeit auch psychisch erkranken.

Der häufigste Fall ist, dass ein Elternteil an Krebs erkrankt. Kann man damit im Sinne einer "Alterskrankheit" leichter umgehen, als wenn die Diagnose jemanden mitten im Leben trifft?

Maatouk: Natürlich ist das ein Unterschied, aber man sollte nicht verallgemeinern. Das kommt auf den Einzelnen an. Aber bei Familien, die mitten im Leben stehen, mit kleinen Kindern, mit finanziellen Verpflichtungen – da kann eine Krebsdiagnose schon deutlich stärkere Erschütterungen bringen als bei älteren Menschen.

Kinder haben feine Antennen und merken, wenn etwas nicht stimmt. Informiere man sie nicht, seien sie ihren Gedanken ausgeliefert, sagt Maatouk. Er rät Eltern, offen über eigene Erkrankungen zu sprechen.
Foto: Jens Kalaene, dpa (Symbildbild) | Kinder haben feine Antennen und merken, wenn etwas nicht stimmt. Informiere man sie nicht, seien sie ihren Gedanken ausgeliefert, sagt Maatouk. Er rät Eltern, offen über eigene Erkrankungen zu sprechen.
Wie sollte man damit umgehen, wenn die Kinder noch sehr klein sind und Papa oder Mama Krebs haben?

Maatouk: Es ist wichtig, möglichst offen über die Situation zu reden. Kinder haben ganz feine Antennen. Sie bekommen mit, wenn man etwas verheimlicht oder dass irgendetwas passiert oder eine Gefahr droht. Und wenn Kinder das mitkriegen und es wird nicht darüber gesprochen – dann haben sie eine ganz rege Fantasie und können dadurch in große Anspannung und Belastung geraten.

Können Kinder so etwas überhaupt verstehen und verarbeiten?

Maatouk: Man sollte die Kinder darüber informieren, dass Mama oder Papa eine Krankheit hat und ins Krankenhaus muss. Die Eltern sollten erklären, wie das mit der Behandlung und den Besuchen ist – alles natürlich in einer kindgerechten Sprache. Aber dann haben Kinder eine verlässliche Information, ohne dass man ins letzte Detail gehen muss oder Kinder in Bereiche mitnimmt, die sie überfordern. 

Was hilft, wenn Eltern das Reden über Krebs schwerfällt? 

Maatouk: Es gibt Hilfsmittel wie Kinderbücher, Broschüren oder gute Ratgeber für die verschiedenen Altersstufen, die typische Probleme aufgreifen. Was man auch machen sollte: Personen aus dem Betreuungsumfeld der Kinder – also Kindergarten oder Schule – einbeziehen, so dass sie über die Familiensituation Bescheid wissen. Häufig zeigen Kinder nämlich dort Auffälligkeiten und Lehrkräfte oder Erzieherinnen können sie nicht einordnen.

Und wo können Familien Hilfe finden? Gibt es da Angebote?

Maatouk: Man kann sich für eine professionelle Beratung an verschiedene Institutionen wenden. An der Uniklinik gibt es das Onkologische Zentrum, wir selbst haben mit unserer Familiensprechstunde namens "Kleeblatt" seit kurzem ein spezielles Angebot, es wird vom Verein "Hilfe im Kampf gegen Krebs" gefördert. Man kann sich einfach per Mail melden. Wir sprechen in der Regel zunächst mit den Eltern und überlegen gemeinsam, wie wir die Kinder in die Beratung einbeziehen. Wo nötig, würden wir Kinder- und Jugendlichen-Therapeuten hinzuziehen. Auch die Psychosoziale Krebsberatungsstelle in Würzburg ist eine gute Anlaufstelle.

Wieweit profitiert der Krebspatient im Krankheitsverlauf, wenn seine Angehörigen gut mit der Situation umgehen? 

Maatouk: Gerade in der psychischen Verarbeitung der Erkrankung spielen das Umfeld, die Angehörigen, die soziale Unterstützung eine enorm wichtige Rolle. Angehörige können in der praktischen Hilfe ganz wichtig sein – für die Therapie, für das Umsetzen ärztlicher Empfehlungen. Es ist einiges zu organisieren, viele Termine sind wahrzunehmen...  

Und als mentale Stütze?

Maatouk: Natürlich. Wir sehen starke Zusammenhänge von psychischen Belastungen der Angehörigen auf der einen und der Erkrankten auf der anderen Seite. Man sollte aber nicht die falsche Schlussfolgerung ziehen und als Angehöriger seine Belastung verbergen wollen. Das geht eher nach hinten los. Man sollte immer offen miteinander kommunizieren – auch, wenn einem etwas zu viel ist.

Wie wichtig sind Auszeiten?

Maatouk: Extrem wichtig! Es sollte für Familien immer Phasen geben, in denen die Krankheit mal keinen Platz hat – ein Tag Pause, ein Ausflug.. Dazu sollte man sich regelrecht verabreden und kein schlechtes Gewissen dabei haben. Wir Mediziner raten Angehörigen, sich Auszeiten zu nehmen, um wieder Kraft schöpfen zu können.

Mit Ihrem aktuellen Forschungsprojekt wurden Sie gerade mit dem Barbara-Stamm-Preis der Stiftung "Forschung hilft" ausgezeichnet. Wie wollen Sie Angehörige von Krebspatienten stärken? 

Maatouk: Das Problem ist, dass Angehörige psychisch ähnlich stark belastet sind wie die Patienten selbst, sie aber kaum Unterstützung annehmen. Da möchten wir ein niederschwelliges Angebot machen. Im Vorfeld haben wir gemerkt, dass online-basierte Ansätze hier sehr hilfreich sein können. Wir entwickeln ein System, über das sich Angehörige zunächst anonym informieren, dann aber auch persönlichen Kontakt aufnehmen können. Es soll den Leuten Hemmungen nehmen. Wir entwickeln dieses Programm gemeinsam mit Betroffenen.

Hier finden Angehörige von Krebspatienten Rat und Hilfe: Psychosoziale Krebsberatungsstelle der Bayerischen Krebsgesellschaft in Würzburg, Tel. (0931) 359 3330 , kbs-wuerzburg@bayerische-krebsgesellschaft.de und bei der Krebsberatung für Familien an der Uniklinik Würzburg, kleeblatt@ukw.de

 
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