
Die Diagnose Krebs ist für jeden Patienten und jede Patientin ein schwerer Schlag. Aber auch deren Familien sind betroffen, Angehörige schnell überfordert und überlastet. Dabei könnten sie wichtige Stützen für die Erkrankten sein. Wie dies gelingen kann, weiß Psychoonkologe Prof. Imad Maatouk von der Uniklinik Würzburg. Er leitet dort seit November 2021 den Schwerpunkt Psychosomatik, Psychotherapie und Psychoonkologie und ist an der Uni Professor für Medizinische Psychosomatik.
Prof. Imad Maatouk: Eine Krebserkrankung ist häufig für alle ein Riesenschock. Das komplette Weltbild, das Selbstverständnis wird in Frage gestellt. Man muss sich als Familie neu sortieren, verabschiedet sich von Dingen, die man gemeinsam geplant hat. Der gemeinsame Rhythmus wird in Frage gestellt, man denkt an die schweren Behandlungen oder den Tod. Da ist viel Ungewissheit, die es auszuhalten gilt.
Maatouk: Es kann sogar zu existenziellen Nöten kommen, wenn der Hauptverdiener an Krebs erkrankt. Das kann eine Familie sehr hart treffen.
Maatouk: In erster Linie die Angst, den erkrankten Menschen zu verlieren. Über die Zeit ist auch die neue familiäre Aufgabenverteilung eine Herausforderung. Wo aufgrund einer Krebserkrankung jemand ausfällt, der sich überwiegend um die Kinder und Haushalt gekümmert hat, kommt es zur Doppelbelastung für den gesunden Partner. Er oder sie muss arbeiten, will aber auch für den Kranken da sein.

Maatouk: Definitiv. Zunächst wird einiges an Kräften freigesetzt. Familien haben viele Ressourcen und Fähigkeiten und können die Situation kurzfristig bewältigen. Aber auf der Langstrecke gibt es doch erhebliche Risiken, dass sich Einzelne oder das System Familie überfordern.
Maatouk: Ja, ich kann dann auch selbst erkranken. Eine Krebserkrankung ist ein schwerwiegendes Ereignis für alle, die Situation ist belastend. Je nach persönlicher Verfassung kann man früher oder später überlastet sein und im Laufe der Zeit auch psychisch erkranken.
Maatouk: Natürlich ist das ein Unterschied, aber man sollte nicht verallgemeinern. Das kommt auf den Einzelnen an. Aber bei Familien, die mitten im Leben stehen, mit kleinen Kindern, mit finanziellen Verpflichtungen – da kann eine Krebsdiagnose schon deutlich stärkere Erschütterungen bringen als bei älteren Menschen.

Maatouk: Es ist wichtig, möglichst offen über die Situation zu reden. Kinder haben ganz feine Antennen. Sie bekommen mit, wenn man etwas verheimlicht oder dass irgendetwas passiert oder eine Gefahr droht. Und wenn Kinder das mitkriegen und es wird nicht darüber gesprochen – dann haben sie eine ganz rege Fantasie und können dadurch in große Anspannung und Belastung geraten.
Maatouk: Man sollte die Kinder darüber informieren, dass Mama oder Papa eine Krankheit hat und ins Krankenhaus muss. Die Eltern sollten erklären, wie das mit der Behandlung und den Besuchen ist – alles natürlich in einer kindgerechten Sprache. Aber dann haben Kinder eine verlässliche Information, ohne dass man ins letzte Detail gehen muss oder Kinder in Bereiche mitnimmt, die sie überfordern.
Maatouk: Es gibt Hilfsmittel wie Kinderbücher, Broschüren oder gute Ratgeber für die verschiedenen Altersstufen, die typische Probleme aufgreifen. Was man auch machen sollte: Personen aus dem Betreuungsumfeld der Kinder – also Kindergarten oder Schule – einbeziehen, so dass sie über die Familiensituation Bescheid wissen. Häufig zeigen Kinder nämlich dort Auffälligkeiten und Lehrkräfte oder Erzieherinnen können sie nicht einordnen.
Maatouk: Man kann sich für eine professionelle Beratung an verschiedene Institutionen wenden. An der Uniklinik gibt es das Onkologische Zentrum, wir selbst haben mit unserer Familiensprechstunde namens "Kleeblatt" seit kurzem ein spezielles Angebot, es wird vom Verein "Hilfe im Kampf gegen Krebs" gefördert. Man kann sich einfach per Mail melden. Wir sprechen in der Regel zunächst mit den Eltern und überlegen gemeinsam, wie wir die Kinder in die Beratung einbeziehen. Wo nötig, würden wir Kinder- und Jugendlichen-Therapeuten hinzuziehen. Auch die Psychosoziale Krebsberatungsstelle in Würzburg ist eine gute Anlaufstelle.
Maatouk: Gerade in der psychischen Verarbeitung der Erkrankung spielen das Umfeld, die Angehörigen, die soziale Unterstützung eine enorm wichtige Rolle. Angehörige können in der praktischen Hilfe ganz wichtig sein – für die Therapie, für das Umsetzen ärztlicher Empfehlungen. Es ist einiges zu organisieren, viele Termine sind wahrzunehmen...
Maatouk: Natürlich. Wir sehen starke Zusammenhänge von psychischen Belastungen der Angehörigen auf der einen und der Erkrankten auf der anderen Seite. Man sollte aber nicht die falsche Schlussfolgerung ziehen und als Angehöriger seine Belastung verbergen wollen. Das geht eher nach hinten los. Man sollte immer offen miteinander kommunizieren – auch, wenn einem etwas zu viel ist.
Maatouk: Extrem wichtig! Es sollte für Familien immer Phasen geben, in denen die Krankheit mal keinen Platz hat – ein Tag Pause, ein Ausflug.. Dazu sollte man sich regelrecht verabreden und kein schlechtes Gewissen dabei haben. Wir Mediziner raten Angehörigen, sich Auszeiten zu nehmen, um wieder Kraft schöpfen zu können.
Maatouk: Das Problem ist, dass Angehörige psychisch ähnlich stark belastet sind wie die Patienten selbst, sie aber kaum Unterstützung annehmen. Da möchten wir ein niederschwelliges Angebot machen. Im Vorfeld haben wir gemerkt, dass online-basierte Ansätze hier sehr hilfreich sein können. Wir entwickeln ein System, über das sich Angehörige zunächst anonym informieren, dann aber auch persönlichen Kontakt aufnehmen können. Es soll den Leuten Hemmungen nehmen. Wir entwickeln dieses Programm gemeinsam mit Betroffenen.
Hier finden Angehörige von Krebspatienten Rat und Hilfe: Psychosoziale Krebsberatungsstelle der Bayerischen Krebsgesellschaft in Würzburg, Tel. (0931) 359 3330 , kbs-wuerzburg@bayerische-krebsgesellschaft.de und bei der Krebsberatung für Familien an der Uniklinik Würzburg, kleeblatt@ukw.de