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Würzburger Klimaforscher Heiko Paeth über die Lage in Unterfranken: "Unsere Lebensbedingungen verschlechtern sich"
In Baku läuft der Weltklimagipfel. Wo steht Unterfranken aktuell im Klimawandel? Der Würzburger Experte Heiko Paeth sagt, wo es Chancen gibt und wie wir uns anpassen können.
Heiko Paeth, Professor für Klimatologie an der Universität Würzburg, skizziert die dramatischen Auswirkungen, die die ungebremste Erderwärmung in Unterfranken hätte. Eine Chance sieht er in der Energiegewinnung: 'Das Potenzial für Solarenergie wächst.'
Foto: Daniel Peter | Heiko Paeth, Professor für Klimatologie an der Universität Würzburg, skizziert die dramatischen Auswirkungen, die die ungebremste Erderwärmung in Unterfranken hätte.
Angelika Kleinhenz
 |  aktualisiert: 20.11.2024 02:44 Uhr

Alle zwölf zurückliegenden Monate in Bayern waren vergleichsweise zu warm. Das Landesamt für Umwelt (LfU) spricht vom "wärmsten hydrologischen Jahr in der gesamten 143-jährigen Beobachtungsreiche Bayerns".

Weltweit gesehen hat die Durchschnittstemperatur von Januar bis September 2024 erstmals das vorindustrielle Niveau der Jahre 1850 bis 1900 mit 1,54 Grad überschritten. Damit ist das Pariser Klimaziel gerissen, warnte die Weltorganisation für Meteorologie auf der Weltklimakonferenz, die noch bis 22. November in Baku, Aserbaidschan, läuft.

Was bedeutet das für Unterfranken, den Klimahotspot in Bayern? In der ansonsten so trockenen Region hat es in diesem Jahr außergewöhnlich oft und viel geregnet. Was steht hinter den Veränderungen? Antworten gibt Prof. Heiko Paeth, Klimaforscher an der Universität Würzburg. 

Herr Paeth, dieses Jahr gibt's keinen Klimawandel in Unterfranken, oder?

Prof. Heiko Paeth: Das höre ich tatsächlich oft. Das liegt an unserer Wetter-Wahrnehmung. Das Jahr 2024 war bisher in Unterfranken überdurchschnittlich nass. Wir hatten nahezu jeden Monat 20 bis 70 Prozent mehr Niederschlag als üblich. Dadurch gerät bei vielen Menschen der Klimawandel aus dem Blick. Doch völlig unabhängig, wie wir das Wetter wahrnehmen, nimmt die Erderwärmung rasant an Fahrt auf. Seit Mai 2023 war jeder Monat, gemessen an der Wetterstation in Würzburg, zu warm. Der Februar 2024 verzeichnete mit 6,4 Grad einen neuen Rekord. Diese Abweichung ist so außergewöhnlich hoch, dass man sie nicht mehr mit den natürlichen Schwankungen im Klimasystem erklären kann.

Ob unser Wetter normal, zu warm oder zu kalt ist, beurteilen Sie anhand der Klima-Vergleichsperiode 1961 bis 1990. Warum an dieser?

Paeth: Wenn Menschen den Klimawandel kleinreden wollen, orientieren sie sich oft an jüngeren Vergleichsperioden, in denen die Erderwärmung bereits in vollem Gange ist. Würde ich als Vergleichsperiode 1991 bis 2020 heranziehen, würde ich viel geringere Abweichungen messen - lüge mir aber selbst in die Tasche. Schon 1961 bis 1990 ist schwierig, denn diese 30 Jahre fallen in die Zeit des Wirtschaftswunders. Doch weil man damals erst flächendeckende Messnetze installiert hat, haben sich Wissenschaftler auf der ganzen Welt auf diese Periode geeinigt, um Klimaveränderungen zu beschreiben. Geht es um Klimaanpassung, ist es umgekehrt. Will ich zum Beispiel wissen, welche Dimension ein Hochwasser-Rückhaltebecken am Main haben sollte, würde ich eine Vergleichsperiode wählen, die möglichst nah an unserer jetzigen Zeit liegt.

Würzburger Klimaforscher Heiko Paeth über die Lage in Unterfranken: 'Unsere Lebensbedingungen verschlechtern sich'
Auf welche Realität steuern wir in Unterfranken bis Ende des Jahrhunderts zu?

Paeth: Die Klimamodelle werden immer besser. Die Prognosen immer ungünstiger. Unterfranken steuert im "Weiter-So-Szenario" auf eine durchschnittliche Erwärmung von 4,4 Grad zu - im Sommer sogar 4,9 Grad. Das Klima, das wir heute rund um Iphofen, Kitzingen und Würzburg kennen, würde sich in die Rhön verschieben. Und Würzburg hätte ein Klima wie heute Südwestfrankreich. 

Wie ortsgenau können Sie die weltweiten Klimamodelle herunterbrechen?

Paeth: Aktuell verfeinern wir unsere Klimamodelle bis zu einer Auflösung von drei Quadratkilometern. Dafür arbeiten Würzburger Klimaforscher gemeinsam mit anderen meteorologischen Einrichtungen zusammen. Der neue Datensatz soll bis Ende 2024 für ganz Deutschland ausgewertet sein. Finanziert wird das Projekt vom Bundesbildungsministerium.

Wie sicher sind solche Zukunftsberechnungen?

Paeth: Seit 15 Jahren entwickelt sich die Temperatur auf der Erde schneller nach oben als in unserer Modellwelt. Aktuell gemessene Daten bewegen sich am oberen Rand des Unsicherheitsbereichs unserer Klimamodellierung. Das bedeutet, dass im realen Klimasystem einzelne Kipppunkte bereits überschritten wurden, die in unseren Modellen erst später erreicht werden - oder von denen wir im schlimmsten Fall überhaupt nichts wissen. Die Realität übertrifft unsere Berechnungen.

"Die Realität übertrifft unsere Berechnungen."
Heiko Paeth, Professor für physische Geografie an der Uni Würzburg, über Klimamodelle
4,4 Grad im Durchschnitt wärmer: Das klingt für viele Menschen erstmal nicht so dramatisch. Was heißt das für uns in Unterfranken konkret?

Paeth: Unsere Lebensbedingungen verschlechtern sich. Nahezu alle Bereiche, auf die unser Gesellschaftssystem aufgebaut ist, verändern sich bei kleinsten Temperatur-Veränderungen. Pro Grad Erwärmung kann die Luft sieben Prozent mehr Wasserdampf aufnehmen. Wenn sich außerdem die Luftströme in der Atmosphäre verändern, werden "persistente", also lang anhaltende, Wetterlagen immer häufiger.

Das heißt?

Paeth: Die Folge sind Dauerhitze oder Dauerregen. Wetterextreme nehmen zu. Es gibt mehr Dürren, aber auch mehr Starkniederschläge. Die Keller laufen voll. Es kommt zu Überflutungen und Hochwasser. Im Sommer gibt es fünf bis sechs Mal mehr Hitzetage und die Mortalität in den Städten nimmt zu. Im Winter fehlt der Schnee, der, wenn er taut, langsam ins Grundwasser sickert und unsere Trinkwasserspeicher auffüllt. Im Frühjahr verschiebt sich die Vegetationsperiode nach vorne. Pflanzen treiben früher aus und Spätfröste richten größere Schäden an. Schadinsekten breiten sich aus, weil die Winter nicht mehr so streng sind. Tigermücken könnte es auch bei uns bald geben - mit dem lebensbedrohlichen Dengue-Fieber im Gepäck.

Geografie-Professor Heiko Paeth in seinem Büro an der Universität Würzburg. 
Foto: Daniel Peter | Geografie-Professor Heiko Paeth in seinem Büro an der Universität Würzburg. 
Gibt es auch Chancen der Erderwärmung?

Paeth: Eine Chance liegt in der Energiegewinnung. Sowohl der Wind als auch die Anzahl der Sonnenstunden nimmt im Klimawandel zu. Das Potenzial für Solarenergie wächst. Statt Ackerflächen, die unserer Ernährung dienen, sollten wir aber zuerst sämtliche Lärmschutzwände an Autobahnen und Bahngleisen mit Solar bestücken. Frankreich zum Beispiel schreibt vor, dass Parkplätze großer Super- und Baumärkte mit Solarzellen überdacht werden müssen. Warum nicht auch bei uns?

Wie können wir uns an derart veränderte Lebensbedingungen in Unterfranken anpassen?

Paeth: Wichtig wäre eine Wasserwende, das heißt, Wasser nicht mehr räumlich, sondern zeitlich zu verteilen. Wir müssen Wasser speichern, wenn Niederschläge fallen. Denn wir werden im Sommer deutlich mehr Wasser brauchen - in den Haushalten, in der Landwirtschaft, in der gesamten Vegetation. In unserem "Big Data @Geo-Projekt" der Universität Würzburg, das von der Europäischen Union gefördert wird, berechnen wir sämtliche "Analog-Klimate" für Unterfranken. Das heißt, wir schauen: In welcher Region der Erde herrscht heute ein vergleichbares Klima, das uns in einzelnen Regionen Unterfrankens erst Ende des Jahrhunderts erwartet? Daraus können wir ableiten, was künftig in Unterfranken wächst: Sicher weniger Gerste, dafür aber vielleicht Oliven, Zitrusfrüchte oder Mandeln, die auf dem Weltmarkt höhere Preise erzielen.

 
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  • Robert Hippeli
    ... Statt Ackerflächen, die unserer Ernährung dienen, sollten wir aber ZUERST sämtliche Lärmschutzwände an Autobahnen und Bahngleisen mit Solar bestücken…

    Ich kann in mich vielen Punkten dem Klimaforscher Heiko Paeth anschließen, hoffe aber, dass den Studenten nicht solch ein einseitiges Schubladendenken beigebracht wird.

    Zum einen lässt sich Agrarfläche und PV, z. B. durch die neue Agri-Photovoltaik, durchaus in Einklang bringen. Aber selbst herkömmliche Feld-PV-Anlagen sind nicht nutzlos für das Klima (Schattierung, Unterstand Kleintiere etc.) und nicht jede Agrarfläche ist ohne Chemieeinsatz nutzbar.

    Und zum anderen ist es in meinen Augen wichtig den Bürgern die Möglichkeit zu geben auf IHRER Scholle oder unter Bürgerbeteiligung IHRE Energie zu erzeugen, um das Bewusstsein zur Energie zu stärken. Von der Einsparung weitere physikalische Verteilnetze ganz zu schweigen.

    Was nicht bedeutet, dass in Lärmschutzwände an Autobahnen und Bahngleisen noch viel PV-Potential steckt!
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