
Sie ist das neue Gold der Digitalisierung geworden: Künstliche Intelligenz (KI) zieht in rasendem Tempo in die Wirtschaft ein. So sind auch viele Unternehmen in der Region damit konfrontiert.
An der Universität Würzburg erforscht der Wirtschaftsinformatiker Frédéric Thiesse den Einsatz von KI unter anderem im Handel und in der Logistik. Im Interview erklärt der 53-Jährige, wie Unternehmen KI verwenden (sollten), wie die Kundschaft das erkennt und was das im Ladenregal mit den Preisen macht.

Frédéric Thiesse: Künstliche Intelligenz wird quer durch alle Branchen evaluiert und eingesetzt. Wir merken hier an der Universität, dass wir Anfragen von ganz verschiedenen Unternehmen bekommen, seien es produzierende oder Dienstleister oder Technologieanbieter. Derzeit sind viele dieser Unternehmen in einer Phase, in der sie prüfen, wo für sie KI-Anwendungsbereiche liegen, die nicht nur technisch, sondern auch betriebswirtschaftlich sinnvoll sind.
Thiesse: Häufig gar nicht, weil KI unter der Oberfläche eingesetzt wird. Also in klassischen Bereichen wie Produktionsplanung, Lagerverwaltung oder Tourenplanung für Lkw. Das alles haben Unternehmen vor Jahrzehnten auch schon gemacht. Aber mit KI macht man das besser.
Thiesse: Das hängt davon ab, wie ein Unternehmen strategisch mit KI umgeht. Natürlich kann man KI einsetzen, um effizienter zu werden. In der Logistik zum Beispiel, wo man die Anzahl der Produkte im Lager reduzieren und damit Kosten sparen kann. Das kann man dann übersetzen in eine höhere Marge, denn die Kosten sinken, aber die Preise bleiben gleich. Oder man gibt die Einsparungen weiter und verschafft sich einen Vorteil als Preisführer. Es gibt Unternehmen, die gehen mit KI in eine andere Richtung: Sie wollen nicht primär effizienter sein, sondern neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln.
Thiesse: Da fällt mir Koenig & Bauer in Würzburg ein. Die haben schon vor Jahren ihre Druckmaschinen mit einer Software namens Kyana ausgestattet. Dort sitzt KI in der Druckmaschine und sammelt alle möglichen Sensordaten. Sie leitet daraus dann beispielsweise ab, wann die Maschine gewartet werden muss. Sie gibt den Kunden von Koenig & Bauer auch Ratschläge, wie man Druckprozesse optimieren kann. Diese Beispiele zeigen, dass man sich als produzierendes Unternehmen mit KI von den Wettbewerbern differenzieren und durch den so geschaffenen Mehrwert den Umsatz steigern kann.
Thiesse: Das ist prinzipiell denkbar. Schon jetzt arbeiten immer mehr Händler nicht mehr mit traditionellen Preisetiketten, sondern mit sogenannten Electronic Shelf Labels, also digitalen Preisschildern. Dynamische Preise wären hier ein nächster Schritt: Dass der Händler zum Beispiel am Nachmittag mit KI die Geschäfte ankurbelt, indem er die Preise senkt. Oder sie anhebt, wenn plötzlich viele Leute da sind.
Thiesse: Theoretisch ja. Doch hier stellt sich die Frage: Ist das noch Künstliche Intelligenz? Denn KI bringt mit sich, dass man mit großen Mengen an Daten arbeitet. So viele Daten wird ein einzelnes Restaurant schwerlich sammeln können. Dieses Restaurant könnte natürlich auch Preise dynamisch anpassen – aber eher aus dem Bauch heraus. Das ist dann nicht datengetrieben.
Thiesse: Es ist in der Tat ein Riesenthema, dass eventuell zu wenig Daten für KI vorliegen. Andererseits gibt es KI-Methoden, bei denen sich kleine und mittelgroße Unternehmen zu Konsortien zusammentun, um ihre Daten in einen Topf zu werfen und um für eine bestimmte Anwendung gemeinsam eine KI zu entwickeln. Natürlich ist dann eine Herausforderung, dass nicht das eine Unternehmen in sensitive Daten des anderen Unternehmens hineinschauen kann.
Thiesse: Wir wissen es noch nicht. Es ist ein Forschungsthema. Es gibt Studien, die aber extrem schnell veralten. Die Daten von dem, was in letzter Zeit veröffentlicht wurde, stammt oft noch aus der Zeit vor ChatGPT. Diese Studien können Sie im Grunde wegwerfen. Welchen Effekt KI auf den Arbeitsmarkt haben wird, hängt zunächst davon ab, welche Tätigkeiten überhaupt betroffen sein werden. Handwerk oder Pflege zum Beispiel werden kaum betroffen sein. Weiterhin bleibt das physische Arbeit, die keine KI übernimmt – im Gegensatz zu klassischen Bürotätigkeiten oder auch kreativer Arbeit wie etwa Musikproduktion oder Bildgestaltung. Dann stellt sich die Frage, wie KI eingesetzt wird. Man denkt da gerne, dass KI ganze Jobs wegautomatisieren wird. Dafür gibt es aber kaum Beispiele. Übersetzer vielleicht, deren Job sich für Automatisierung durch KI anbietet.
Thiesse: Er geht in Richtung Assistenz. Dass Menschen also punktuell produktiver arbeiten, weil sie von einer KI unterstützt werden. Hier liegt gerade für Deutschland das große Potenzial, wenn KI mit traditionellen Stärken kombiniert wird – also im Maschinenbau, Automotive, Medizintechnik und so weiter.
Thiesse: Nein. KI wird in den Gesprächen häufig gleichgesetzt mit traditioneller Statistik oder einer herkömmlichen Software-Anwendung. Was die Tragweite von KI für das Geschäft angeht: Das überblickt niemand wirklich. Auch wir in der Forschung noch nicht.
Thiesse: Ich bin ja ein älteres Semester – und diesen Spruch habe ich schon tausendfach in Bezug auf Digitalisierung gehört. Viele Firmen, aus denen solche Aussagen kamen, gibt es nicht mehr.
Das die Vorstellung aufgeht, dass durch KI "im Großen Ganzen" neue Arbeitsplätze entstehen, kann man meines Erachtens auch jetzt schon im Niedriglohn-Segment auch ausschließen.
Dies wiederum bedeutet, dass auf breiter Basis Zahler in die Staatskasse und die Sozialkassen ausfallen, während der Anteil der Sozialkassenempfänger weiter steigen wird.
Wo bleiben die Wissenschaftler, Politiker und Gewerkschafter, die heute schon die Weichen dafür stellen, damit der Einsatz von KI und Digitalisierung bei gleichzeitigen Abbau von Arbeitsplätzen versteuert werden muss und Sozialabgaben dafür abgeführt werden müssen?
Also wer zahlt künftig die Zeche?
Allerdings ist mir Ihre Einschätzung zu einseitig. Sie sehen nur die negativen Aspekte und lassen die positiven außen vor. Warum?
So verspricht man sich z.B. im Gesundheitswesen enorme Einsparungen bei der Therapie durch KI gestützte Früherkennung. Hier geht es um viele Mrd. Euro. Solche Dinge belasten nicht die Sozialkassen, sondern entlasten sie.
Fertigungsoptimierung und -rationalisierung ist auch nichts Neues, sondern war und ist elementarer Bestandteil unseres Wirtschaftssystems. Automatisierung und Rationalisierung sind die Quellen unseres Wohlstandes!
Unternehmen erwirtschaften damit Gewinn und Wachstum, der in neue Produkte und Märkte investiert wird. Dort entstehen neue Arbeitsplätze. Bei den bisherigen Produkten fallen Arbeitsplätze weg. So erneuert sich unser System kontinuierlich.
Hier den Ist-Zustand einzufrieren, wäre für unsere Wirtschaft fatal und kostet unsere Wettbewerbsfähigkeit.
47 Berufsjahre lehrten mich: Optimierungen sind die Quelle der Investoren und Aktionäre.
Alter Wein in neuen Schläuchen: KI