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Frankfurt/Würzburg
Würzburger Anwälte erfolgreich: Grünen-Politikerin Renate Künast erreicht "historisches Urteil" gegen Facebook
Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt: Facebook muss gemeldete Hass-Beiträge selbst auf seiner Plattform suchen - und löschen. Warum es kein Schmerzensgeld gibt.
Erfolgreich gegen den Facebook-Konzern Meta: Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast im Januar 2022 mit ihren Würzburger Anwälten Matthias Pilz und Chan-jo Jun. 
Foto: Johannes Kiefer (Archivbild) | Erfolgreich gegen den Facebook-Konzern Meta: Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast im Januar 2022 mit ihren Würzburger Anwälten Matthias Pilz und Chan-jo Jun. 
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:26 Uhr

Für den Würzburger Anwalt Chan-jo Jun ist es ein "historisches Urteil": Das Oberlandesgericht Frankfurt hat der Grünen-Bundestagsabgeordneten Renate Künast im Verfahren gegen den Facebook-Mutterkonzern Meta recht gegeben. Plattformbetreiber sind demnach verpflichtet, einmal gemeldete rechtsverletzende Beiträge - und sinngleiche Kopien - proaktiv selbst aufzuspüren und dauerhaft zu löschen.

Damit bestätigten die Richter der höheren Instanz an diesem Donnerstag in weiten Teilen ein Urteil des Landgerichts Frankfurt von April 2022. Lediglich die seinerzeit erstrittenen 10.000 Euro Schmerzensgeld wird Künast, die in dem Verfahren von den Würzburger Anwälten Matthias Pilz und Chan-jo Jun vertreten wurde, nicht erhalten.

Renate Künast war immer wieder Anfeindungen ausgesetzt 

Die ehemalige Ministerin wehrt sich seit Jahren gegen sogenannte Memes, also Wort-Bild-Montagen, die bei Facebook gepostet werden. Sie zeigen ein Bild von Künast in Verbindung mit dem erfundenen Zitat "Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher mal türkisch lernen!". Wegen dieses Fakes war die Politikerin immer wieder Anfeindungen ausgesetzt.

Dass Künast nie eine solche Äußerung getätigt hat, bestritt auch Facebook-Konzern Meta nicht. Das Unternehmen hielt es aber für nicht zumutbar, neben dem einmal gemeldeten Original-Post auch nach sämtlichen sinngleichen Kopien des Fakes zu suchen, das heißt nach Varianten, mit abgewandeltem Layout, teilweise weggelassenen Buchstaben oder mit veränderten, mit bloßem Auge kaum erkennbaren Pixel-Strukturen im Hintergrund.

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat entschieden: Facebook muss die Verbreitung dieses Falschzitats, das angeblich von Renate Künast stammt, verhindern.
Foto: Montage: Daniel Biscan | Das Oberlandesgericht Frankfurt hat entschieden: Facebook muss die Verbreitung dieses Falschzitats, das angeblich von Renate Künast stammt, verhindern.

Die Frankfurter Richter sehen das anders. Sie verpflichten den Meta-Konzern, eigenständig auch nach Varianten rechtswidriger Beiträge zu suchen. Im Wesentlichen könne dies automatisiert, nicht zuletzt mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI), geschehen. Im Zweifel sei dem Unternehmen aber auch eine "menschlich-händische Einzelfallbewertung" zuzumuten.

Freude bei Renate Künast nach Urteil des Oberlandesgerichts

"Ich freue mich sehr", sagt Renate Künast in einer ersten Stellungnahme zur Gerichtsentscheidung in Frankfurt. Das Urteil setze einen "Meilenstein für das Persönlichkeitsrecht". Gerade in Zeiten des wachsenden Rechtsextremismus komme den Social-Media-Plattformen eine besondere Verantwortung zu.

Für Josephine Ballon, der Geschäftsführerin von HateAid, der Hilfsorganisation, die das Verfahren finanziert hat, setzt das Gericht mit dem Urteil neue Schutz-Standards: Es verpflichte die Plattformen, mehr zu tun, "um unsere Gesellschaft und Demokratie vor systematischer Desinformation durch Verleumdungskampagnen zu schützen".

Für Künasts Anwalt Chan-Jo Jun schließt sich mit dem Urteil ein Kreis, der vor sieben Jahren am Landgericht Würzburg mit dem Verfahren des syrischen Flüchtlings Anas Modamani gegen Facebook begonnen hat. Modamani, dem in zahlreichen Posts terroristische Verbrechen unterstellt wurden, wollte erreichen, dass die Plattform diese Verleumdungen aufspürt und löscht. Er verlor den Prozess, weil die Würzburger Richter es für unzumutbar hielten, Facebook zur aktiven Suche nach Fake-Meldungen zu verpflichten. "Es ist das erste Mal, dass Richter das hierzulande anders sehen", kommentiert Jun jetzt die Entscheidung im Fall Künast.

Kein Anspruch auf Schmerzensgeld wegen bislang unklarer Rechtslage

Lediglich das geforderte Schmerzensgeld wollte das Oberlandesgericht (OLG) der Grünen-Politikerin nicht zugestehen. Wegen der bislang unklaren Rechtslage könne man Facebook keine "hartnäckige Verweigerung" des Anspruchs von Künast vorwerfen, die Fake-Memes konsequent zu löschen. Diese wäre aber Voraussetzung für eine Entschädigung.

Ob Facebook Revision gegen das Urteil beim Bundesgerichtshof einlegt, blieb am Donnerstag offen. Die OLG-Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

 
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  • Paul Schüpfer
    Konnte Frau Künast das Verfahren nicht selbst finanzieren? Warum braucht eine Ex-Ministerin noch Verfahrenshilfe?
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  • Dietmar Eberth
    HateAid ist keine Verfahrenshilfe. HateAid ist eine gemeinnützige Organisation gegen Online-Hassreden an die sich jeder wenden kann. HateAid entscheidet selbst welche Kosten übernommen werden.
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  • Martin Deeg
    "Historisches Urteil" trifft es wohl ganz gut, wenn die Realität das Recht überholt....

    Die Frage bei solchen "wegweisenden" Entscheidungen ist zudem immer: wer bestimmt denn in Zukunft, was "Hass und Hetze" ist und was der Meinungsfreiheit unterliegt.
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  • Dietmar Eberth
    Letzten Endes entscheiden in Deutschland die Gerichte. Jede Partei kann vor Gericht ziehen wenn man sich ungerecht behandelt fühlt.
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  • Martin Deeg
    Ist das wahr? Sie sind wahrscheinlich noch nie gegen eine Staatsanwaltschaft "vor Gericht gezogen" bzw. wurden "gezogen"....?
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  • Dietmar Eberth
    Auch die Staatsanwaltschaft gehört zur Gerichtsbarkeit in Deutschland.

    Kein Staat ist 100% perfekt. Aber Deutschland braucht sich auf Platz 5 nicht zu verstecken.
    https://worldjusticeproject.org/rule-of-law-index/global
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  • Barbara Fersch
    Sind das sie Aufgaben der Frau Künast ?
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  • Wolfgang Lenhard
    Jede Person, deren persönlichen Rechte verletzt werden, hat das Recht, dagegen vozugehen und zu versuchen, die Rechte vor Gericht durchzusetzen. Frau Künast wurde in vielfältiger Weise online mit Beleidigungen und Falschbehauptungen überzogen (das ist bereits gerichtlich geklärt). Der Plattformbetreiber von Facebook - Meta - hat sich aber aus der Verantwortung gestohlen.

    Es tut unserer Demokratie und den öffentlichen Diskussionen sehr gut, wenn Regeln gelten. Es ist gut, dass Meta zur Einhaltung dieser Regeln verpflichtet wird.
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  • Dietmar Eberth
    Müssen sich Politiker alles gefallen lassen und dürfen sich nicht gegen rechtsverletzende Beiträge wehren?
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  • Ralf Eberhardt
    Endlich mal ein handfestes Urteil gegen die Verbreitung derartiger Nachrichten. Bleibt zu hoffen, dass Facebook sich dann - im zweiten Schritt - auch an die originären Verbreiter ran macht und diese in Haftung zieht.
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