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Würzburg: Wie Herbert Osner nur knapp den 16. März überlebte
Es ist der dunkelste Tag im Leben des Herbert Osner. Am 16. März 1945 wurde durch den Bombenangriff auf Würzburg seine gesamte Familie ausgelöscht. Wie er überlebte.
Am 16. März 1945 wurde durch den Bombenangriff auf Würzburg Herbert Osners gesamte Familie ausgelöscht. Nachdem die Toten in Grombühl geborgen worden waren, wurden erste Aufräumarbeiten durchgeführt. 
Foto: Geschichtswerkstatt Würzburg | Am 16. März 1945 wurde durch den Bombenangriff auf Würzburg Herbert Osners gesamte Familie ausgelöscht. Nachdem die Toten in Grombühl geborgen worden waren, wurden erste Aufräumarbeiten durchgeführt. 
Sophia Scheder
Sophia Scheder
 |  aktualisiert: 07.04.2020 13:15 Uhr

"Darf ich mich vorstellen?", beginnt er seine lange Mail. "Ich bin Zeitzeuge und ein Mensch, der diesen schicksalsschweren Tag überlebt hat." Der Mann heißt Herbert Osner, Jahrgang 1931. Der schicksalsschwere Tag von dem er redet, ist der 16. März 1945, der Tag an dem Würzburg von den Alliierten dem Boden gleich gemacht wurde. Der Tag, an dem die Familie von Osner ausgelöscht wurde. Der Tag, an dem auch Osner selbst nur knapp dem Tod entkommen ist.

Herbert Osner möchte seine Geschichte erzählen, dies sei sein größter Wunsch, bevor auch er von dieser Welt gehen muss. Heute ist er 88 Jahre alt und lebt in Melbourne, Australien. Aufgewachsen ist er jedoch im Würzburger Stadtteil Grombühl als Herbert Öchsner. Kaum ein Mensch kann sich ausmalen, welche Dinge er dort sehen musste, welche Erlebnisse er machen musste. Die Bilder brannten sich bis heute in seine Gedanken ein.

Am 16. März zurück in Grombühl angekommen

Der 16. März 1945 ist ein Freitag. Kein Freitag wie jeder andere, denn Deutschland befindet sich in den letzten Zügen des Zweiten Weltkriegs. Es ist ein warmer, frühlingshafter Tag, die Sonne scheint und Kinder springen schon in Sommerkleidung umher. Herbert Osner - damals 14 Jahre alt - ist gerade wieder in Grombühl angekommen. "Im Februar wurde ich nach Kürnach zu Freunden von meiner Oma evakuiert", erzählt er. Aber: "Mitte März hatte ich schreckliches Heimweh nach der Familie." So machte er sich zu Fuß auf den Weg nach Hause.

Herbert Osner links bei seiner heiligen Kommunion und rechts heute. 
Foto: Osner | Herbert Osner links bei seiner heiligen Kommunion und rechts heute. 

Genau um 21.07 Uhr am 16. März 1945 teilt der Einsatzstab des Luftschutzes über Drahtfunk allen Bürgern mit, dass mit einem Angriff auf Würzburg zu rechnen sei. "Die meisten Leute flohen aus der Stadt", erinnert sich Osner. "Wir und einige unserer Nachbarn flohen auch, jedoch nicht aus der Stadt und nicht in den Keller, sondern in den Schrebergarten von Frau Baderschneider aus dem dritten Stock."

Ein kleiner Schuppen für Werkzeuge wird zum Fluchtort für die Menschen aus der Schiestlstraße 12, Osners Wohnhaus. "Dort saßen wir in Dunkelheit und Stille." Doch dann eine Stimme: "Würzburg brennt!" Motorengeräusche eines tieffliegenden Flugzeugs und ein lautes Rauschen sind das letzte, an das sich der junge Osner erinnern kann. "Dann war es aus bei mir." Später stellt sich heraus, dass das Rauschen von Bomben kam, die direkt neben der Hütte einschlugen. "Das Hüttle flog samt Inhalt weg, an die 30 Menschen verbrannten", schildert Osner die schrecklichen Geschehnisse. Helfer stapeln die Leichen anschließend auf einen Haufen. "Darunter auch mich." Der Junge wird für tot gehalten.

Grombühler Schiestlstraße: An diesem Haus hat es durch den Luftdruck große Teile des Wandputzes abgelöst und das Dach völlig abgedeckt. 
Foto: Geschichtswerkstatt Würzburg | Grombühler Schiestlstraße: An diesem Haus hat es durch den Luftdruck große Teile des Wandputzes abgelöst und das Dach völlig abgedeckt. 

Kurze Zeit später werden zwei Pfleger der naheliegenden Nervenklinik auf den 14-Jährigen aufmerksam. Sie erkennen Lebenszeichen und holen sofort eine Trage. Doch: "Als sie zurückkamen, war ich weg", so Osner. "Irgendwie muss ich in den angrenzenden Weinberg gekommen sein", nachdem der Zaun durch die Detonation auch weggefegt worden war. Dann verliert er erneut das Bewusstsein und wacht erst wieder in der Ankleide des Sportplatzes auf, die damals als offizieller Sammelpunkt für Notfälle genutzt wurde. "Es war dunkel und einige verstörte Leute waren neben mir." Osner fragt sofort nach seinen Angehörigen, jedoch kann ihm niemand eine Auskunft geben.

In diesem Haus in der Schiestlstraße 12 im Würzburger Stadtteil Grombühl lebte Herbert Osner bis zum Bombenangriff am 16. März 1945. 
Foto: Thomas Obermeier | In diesem Haus in der Schiestlstraße 12 im Würzburger Stadtteil Grombühl lebte Herbert Osner bis zum Bombenangriff am 16. März 1945. 

Keine ärztliche Versorgung 

Ärztliche Versorgung bekommt der Junge zunächst keine - auch nicht, als er in den Keller der Nervenklinik gebracht wird, die kurz vorher noch von der SS als Krankenlager für Menschen mit Kopfverletzungen belegt worden war. "Fremdarbeiterinnen hielten mich mit Brot, Zucker und Wasser am Leben." Die Frauen waren laut Osner vom Kontingent des Konzentrationslager Flossenbürg, das in der Psychiatrie ein Außenlager hatte, und kamen nur nach Würzburg, um im Garten des Krankenhauses einen Bunker zu bauen. Leiter der Psychiatrie war Werner Heyde, der in der Zeit des Nationalsozialismus das Euthanasie-Programm entwickelte.

"Mein Schutzengel hatte zu dieser Zeit sehr viel zu tun."
Herbert Osner, 16. März-Überlebender

Erst nach seiner Evakuierung in die Nervenheilanstalt Lohr - neun Tage später - erfährt Osner, dass er einen Schädelbasisbruch hat. "Ich hatte das Glück, nicht von einem Jabo abgeschossen worden zu sein." Zur Erklärung: Jabo steht für Jagdbomber, ein Kampfflugzeug, das zur Bekämpfung von Boden-, See- und Luftzielen eingesetzt wird. "Mein Schutzengel hatte zu dieser Zeit sehr viel zu tun."

Mutter und Bruder verbrannten auf "Puppengröße"

Seine Familie hat dieses Glück leider nicht. "Oma und Peterle verbrannten auf Puppengröße", sagt er. Peterle war Osners kleiner Bruder. "Mama war zur Hälfte von unten hoch verbrannt." Sie befindet sich ebenfalls in der Nervenklinik in Grombühl, soll dann zum Standortlazarett gebracht und von dort ausgelagert werden. "Marktbreit wurde genannt. Sie kam nie dort an." Osner vermutet, dass der Sanitätswagen, mit dem sie transportiert wurde, von Jabos beschossen wurde. "Die Wehrmacht hatte die brilliante Idee Munition in Krankenwagen zu transportieren, was natürlich den Jabopiloten irgendwann auffiel", sagt er ironisch. Die US-Armee zertört im Anschluss im Lazarett alle Unterlagen.

Herbert Osmer (rechts) mit seiner Oma (links) und Mutter. Keiner seiner Familienmitglieder überlebte den 16. März in Würzburg. 
Foto: Osner | Herbert Osmer (rechts) mit seiner Oma (links) und Mutter. Keiner seiner Familienmitglieder überlebte den 16. März in Würzburg. 

Nach all dem Leid und den Schmerzen, die Osner in dieser Zeit hat erleben müssen, kommt er dann trotzdem auf etwas Positives zu sprechen. "Ohne diese Schicksalsänderung am Morgen des 16. März 1945 wäre ich wohl nie nach Australien gekommen", fängt er seine Schilderung an. Er hätte nie seine zukünftige Ehefrau kennen gelernt und nie seine beiden Kinder bekommen, denen er auch heute noch von seiner Kindheit und seinen Erlebnissen erzählt. Doch warum Australien? "Mein Schutzengel hat mir mit der englischen Grammatik einen Wink mit dem Zaunpfahl gegeben: Du brauchst das noch einmal", erzählt Osner. Die englische Schulgrammatik ist ein Buch, mit welchem Osner als Kind die englische Sprache gelernt hat. Das Buch war das einzige, was ihm von seinen Habseligkeiten nach dem Krieg geblieben ist.

Osners Sprachkenntnisse erweitern sich dann von Februar 1952 bis April 1958, als er bei American Express als Schalterkassierer bei den US Truppen arbeitet. 1959 sucht Australien Auswanderer in Hanau, "da war ich gerade in Aschaffenburg". Flüchtlingen gibt man den Vorrang. "Ulkigerweise war ich ja als ausgebombter Würzburger auch ein Flüchtling, weil ich ja nichts mehr hatte, außer dass ich im Don Bosco-Heim Würzburg als Vollwaise über die Runden kam." Seit 1959 lebt er nun in Melbourne.

Das Buch 'Neue englische Sprachlehre' ist das letzte, was Herbert Osner vom Krieg übrig geblieben ist. 
Foto: Osner | Das Buch "Neue englische Sprachlehre" ist das letzte, was Herbert Osner vom Krieg übrig geblieben ist. 

Seitdem ist er schon mehrere Mal zurück nach Würzburg gereist, zurück an den Ort, an dem er seine gesamte Familie verloren hat, an dem er die schlimmsten Tage seines Lebens erlebt hat. Doch die Erinnerungen sind ihm wichtig, schließlich gehören sie zu seiner Kindheit. "Die Zukunft soll davon Bescheid wissen!" Und mit dem Erzählen seiner Geschichte möchte er seinen Teil dazu beitragen. "Es darf nicht vergessen werden."

 
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