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WÜRZBURG
Würzburg-Film: Für Senioren eine Zeitreise in die Kindheit
Anregend: Der Würzburg-Film bringt Senioren auf der Sieboldshöhe ins Gespräch.
Foto: Thomas Obermeier | Anregend: Der Würzburg-Film bringt Senioren auf der Sieboldshöhe ins Gespräch.
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 27.04.2023 06:19 Uhr

Es ist ein Film, der dokumentiert und bewegt: Amateuraufnahmen zeigen das Leben im alten, unzerstörten Würzburg. Zu sehen sind die Bomben des 16. März, die ausgebrannte Ruinenstadt. Die Bilder zeigen den Wiederaufbau und die Normalisierung des Lebens in der Nachkriegszeit. Die Würzburg-Trilogie – vor kurzem ist die zweite DVD („Die Jahre 1956-1970“) erschienen – nimmt die Zuschauer mit auf eine Zeitreise durch das vergangene Jahrhundert in Würzburg.

Die erste DVD („Die Jahre 1929-1956“) hält fest, woran sich immer weniger Würzburger persönlich erinnern können. Umso eindringlicher sind die Bilder und die Zeitzeugenberichte. Wie sich die Stadt über die Jahrzehnte verändert hat – das ist auch für junge Leute faszinierend, berichten zum Beispiel Lehrer, die den Film im Unterricht einsetzen.

Ältere Menschen sind dankbar, dass Geschichte festgehalten wird

Viele ältere Menschen haben sich bei der Main-Post und Filmproduzent Bernd Nebeling bedankt, dass mit der Stadtgeschichte auch ein Stück ihrer eigenen Lebensgeschichte für die Nachwelt festgehalten wurde. Bei ihnen werden alte Erinnerungen wach. Ein Blick in den Seniorenkreis von St. Alfons auf der Würzburger Sieboldshöhe: Hier treffen sich an einem Nachmittag 20 Frauen und drei Männer und schauen sich gemeinsam den ersten Teil des Würzburg-Films an.

Auch das gehört zur Würzburger Geschichte des 20. Jahrhunderts: Die Deportation der mainfränkischen Juden in die Vernichtungslager im Osten. Screenshot: MP
Foto: Screenshots: MP | Auch das gehört zur Würzburger Geschichte des 20. Jahrhunderts: Die Deportation der mainfränkischen Juden in die Vernichtungslager im Osten. Screenshot: MP

Die Organisatorin des Seniorenkreises hat den Nachmittag gut vorbereitet. Die 89-jährige Valentine Leopold ist Lenkerin und guter Geist des Treffs, der zweimal im Monat im Pfarrsaal zusammenkommt. Einzeln telefoniert Leopold ihre „Schäfchen“ am Morgen des Treffens ab. Sie will wissen, ob alles passt. Und auch, ob jemand krank ist – „damit man sich kümmern kann.“

Seniorenkreis St. Alfons: Gemeinsam reden und lachen

Offiziell eingetragen im Kreis sind aktuell 21 Senioren – zu den nachmittäglichen Treffs erscheinen mal 15, mal 25 Leute. Dabei hat Valentine Leopold erst vor zwei Jahren mit sechs Teilnehmern angefangen. Über Mund-zu-Mund-Propaganda wurde die Runde schnell bekannt. Heute sind Über-90-Jährige („unsere Hautevolee“) dabei, genauso 80- und 70-Jährige.

Wenn sie nicht gerade einen Würzburg-Film anschauen, gibt es Gedächtnistraining oder Würzburg-Rätsel, vor allem aber wird gelacht. „Das ist mir das Wichtigste“, sagt Valentine Leopold, die ihre ganz eigene Philosophie über den Kreis hat: „Wir dürfen nicht zu groß werden. Es muss immer noch ein Kreis bleiben, damit wir uns anschauen können.“ Denn hier treffen sich Menschen, die nicht selten die ganze Woche über allein sind.

89-jährige Organisatorin des Seniorentreffs kümmert sich um alles

Manche, erzählt Leopold, habe sie erst wieder zum Reden bringen müssen – mit Erfolg, Stimmung und Austausch sind gut. „Wir sind ein toller Kreis“, sagt die Seniorin, die selbst in Oberdürrbach aufgewachsen ist, aber seit über 60 Jahren auf der Sieboldshöhe lebt. Früher, da hat Valentine Leopold selbst Stadt-, Ringpark- oder Brunnenführung gemacht. „Mich interessiert Würzburg einfach“, lacht sie am Telefon. Denn ausgerechnet am Tag der Filmvorführung, den sie selbst mit DVD, Computer und Beamer vorbereitet hat, ist die 89-Jährige erkrankt.

Trotzdem findet der Filmnachmittag statt, kurzfristig kümmert sich Leopolds Tochter Karola Burkholz um die Organisation – und es kommen diesmal viele Interessierte. Wie eigentlich immer, wenn etwas Besonderes angeboten wird. Von dem Filmprojekt hatten die meisten Senioren schon gehört und gelesen, das wird im Gespräch rasch klar. Dass Teil zwei soeben erschienen ist, weiß man aus der Main-Post.

Erinnerung an den Vorkriegsalltag und die Brandnacht

Und doch sind Spannung und Vorfreude auf den ersten Film groß, führt er diese Menschen doch zurück in ihre Kindheit und Jugend in Würzburg. Als die Bilder über die weiße Pfarrsaalwand flimmern, wird es mucksmäuschenstill. Nur kollektives Kopfnicken ist zu vernehmen dort, wo man sich in gemeinsamer Erinnerung findet – etwa bei den Aufnahmen vom damals typischen Kleiderwaschen auf den Waschschiffen.

Dann die schlimmsten 20 Minuten in Würzburgs Geschichte – die Zerstörung der Stadt durch alliierte Bomber am 16. März 1945. Drei der Seniorinnen haben die Brandnacht in Würzburg und etwas außerhalb erlebt. Selbst in Marktheidenfeld, erzählt eine, „haben wir den glutroten Himmel über Würzburg und vorher die Stabbomben gesehen.“ Annemarie Endrich weiß um ihr Glück, dass ihre Familie erst kurz zuvor von der Domstraße auf die Sieboldshöhe gezogen war, „sonst würden wir nicht mehr leben.“ Wie so viele, hat sie sich während des Bombenfalls im Keller des Hauses versteckt.

Gefäß für die Schulspeisung mitgebracht

Aufwühlend sind aber nicht nur die Erinnerungen an die Schrecken der Kriegszeit – genauso transportiert der Film die positiven Momente. „Ja“, berichtet eine Frau, „das alte Würzburg war enger zusammengebaut und hatte einen besonderen, wenn auch leicht muffigen Geruch.“ Ihre Nachbarin erinnert sich an den Eisplatz, auf dem die Kinder Anfang der 30er Jahre zwischen Johanniskirche und heutiger Feuerwehr ihren Spaß hatten.

Oder die Zeit nach dem Krieg, als die Kinder aufgrund der Raumnot entweder vormittags oder nachmittags die Schule besuchten und sie von daheim ein Gefäß für die tägliche Schulspeisung mitbrachten. Beate Kreppel: „Wir hatten Klassen mit 48 Kindern.“ Oder die Erinnerung an Würzburgs erste Eisdiele in einem Hausgang in der Kapuzinergasse...

Historische Aufnahmen bringen Gesprächsstoff für Senioren

Aufmerksam verfolgt Gertraud Wallrapp die Aufnahmen der Bischofsweihe von Julius Döpfner im Jahr 1948 – die damals 20-Jährige war mittendrin: Ihre Familie kannte Döpfner aus seiner Zeit als Kaplan in Schweinfurt und hatte Eintrittskarten für die Bischofsweihe im Neumünster erhalten. Und so kommen die Seniorinnen über die Szenen ins Reden, in den Austausch – sie dürften noch genug Gesprächsstoff für das nächste Treffen haben. Und für Nachschub wäre mit dem zweiten Film auch schon gesorgt.

Die Würzburg-DVDs gibt es zum Preis von 19,95 Euro in allen Geschäftsstellen der Main-Post (in Würzburg in der Plattnerstraße, Montag bis Freitag 9 bis 17 Uhr, Samstag 10 bis 14 Uhr) sowie über das Internet:

http://shop.mainpost.de

Szene aus dem Würzburg-Film, Teil eins: Turner rollen Mitte der 30er Jahre mit ihren Rhönrädern durch die Domstraße und über die Alte Mainbrücke. Screenshot: MP
Foto: Screenshots: MP | Szene aus dem Würzburg-Film, Teil eins: Turner rollen Mitte der 30er Jahre mit ihren Rhönrädern durch die Domstraße und über die Alte Mainbrücke. Screenshot: MP
 
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