zurück
Veitshöchheim
"Wir sehen gerade, was Krieg aus Menschen macht": Militärbischof über die Rolle der Seelsorge in der Bundeswehr
Der evangelische Militärbischof Bernhard Felmberg hält die Zahl der Militärgeistlichen für eine "homöopathische Dosis". Er fordert einen "Geistlichen Operationsplan".
'Die Werte unserer Verfassung gilt es nicht nur zu verteidigen, sondern jeden Tag zu leben': Militärbischof Bernhard Felmberg beim Besuch der 10. Panzerdivision der Bundeswehr in Veitshöchheim (Lkr. Würzburg). 
Foto: Thomas Obermeier | "Die Werte unserer Verfassung gilt es nicht nur zu verteidigen, sondern jeden Tag zu leben": Militärbischof Bernhard Felmberg beim Besuch der 10. Panzerdivision der Bundeswehr in Veitshöchheim (Lkr. Würzburg). 
Torsten Schleicher
 |  aktualisiert: 14.11.2024 02:42 Uhr

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine sehen sich die rund 181.000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr vor teils völlig neuen Herausforderungen. Demnächst soll dauerhaft eine Bundeswehr-Brigade an der Nato-Ostflanke in Litauen stationiert werden, aber auch für die übrige Truppe hat sich der Dienstalltag verändert. Erhöhte Belastungen bedeuten auch neue Anforderungen an die Militärseelsorge.

Gerade war der evangelische Militärbischof Bernhard Felmberg zu Besuch in der Balthasar-Neumann-Kaserne in Veitshöchheim (Lkr. Würzburg). Am Rande der Visitation sprach der 59-Jährige über veränderte Aufgaben, ethische Grundsätze und die Frage, wen die Militärseelsorge mit ihren Angeboten erreicht.

Frage: Herr Bischof, was bekommen Sie und die Militärgeistlichen im Moment am häufigsten zu hören, wenn Sie mit Soldatinnen und Soldaten sprechen?

Bernhard Felmberg: Es geht immer um Landes- und Bündnisverteidigung, wie sehr der Angriff Russlands auf die Ukraine unsere Sicherheit gefährdet und wie wir darauf reagieren müssen. Die Begriffe Zeitenwende und Kriegstüchtigkeit verbinden sich mit der Frage: Sind wir fähig, all das, was verlangt wird, auch zu leisten? Es geht aber auch um sehr persönliche Themen.

Welche sind das zum Beispiel?

Felmberg: Nehme ich meine Frau und meine Kinder mit, wenn ich nach Litauen gehe, wo die Bundeswehr in den nächsten Jahren mit 5000 Soldaten stationiert sein wird? Was macht das mit meiner Familie? Oder wie wird es sein, wenn ich lange von der Familie getrennt bin? Das ist für uns in der Seelsorge ein heftiges Thema, ebenso wie die Frage: Was ist, wenn wir angegriffen werden? Das ist noch mal eine andere Dimension als ein Auslandseinsatz in Afghanistan oder Mali, in dem die Bundeswehr mit NATO-Partnern tätig war, um Terrornetzwerke zu zerschlagen und für eine Demokratisierung einzutreten.

Welche Rolle spielt die Militärseelsorge im Kontext des Ukrainekrieges?

Felmberg: Eine Konsequenz aus dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist ja, dass die Bundeswehr an die Nato-Ostflanke ins Baltikum geht – und auch dort sind wir für unsere Soldaten da. Wir nehmen aber auch wahr, wie Militärseelsorge auf ukrainischer Seite handelt. Wir sind dort im Kontakt mit den christlichen Kirchen. Dazu kommt, dass wir in Deutschland die Ausbildung ukrainischer Soldaten begleiten. In ihren Gesichtern erkennt man, was sie alles gesehen haben. Das sind Bilder, von denen wir hoffen, dass sie unsere Soldaten nie sehen müssen. Menschen mit posttraumatischen Belastungen zu begleiten, ihnen Therapien zu ermöglichen, ist ein Teil unserer Arbeit in der Militärseelsorge.

Einladung zum Gottesdienst: Aufsteller in der Balthasar-Neumann-Kaserne in Veitshöchheim.
Foto: Torsten Schleicher | Einladung zum Gottesdienst: Aufsteller in der Balthasar-Neumann-Kaserne in Veitshöchheim.
Bei den Aufgaben in der aktuellen Situation: Wie sind Sie personell ausgestattet? 

Felmberg: In Deutschland haben wir 100 Militärgeistliche, dazu kommen noch vier im Ausland – eine homöopathische Dosis, das sage ich auch dem Minister. In dieser geopolitischen angespannten Situation bräuchten wir eigentlich einen Aufwuchs. Denn überlegen wir mal den Verteidigungs- und Bündnisfall an der Nato-Ostflanke: Wenn der eintritt, begleiten wir Verletzen-Züge nach Deutschland, müssen Todesnachrichten überbringen und uns um die Familien und um Beerdigungen kümmern. Da sind 104 Leute zu wenig. Deshalb sage ich: Wir brauchen eine Art "Geistlichen Operationsplan Deutschland", der ökumenisch ausgerichtet ist und der nicht nur die Militärseelsorge, sondern auch die Notfall-, Krankenhaus- und die Gefängnisseelsorge miteinander in einem Rahmenplan vereinigt und wo jeder weiß, wer was in einer bestimmten Situation zu tun hat.

In der Bundeswehr gibt es viele Konfessionslose oder Menschen, die anderen Glaubensgemeinschaften angehören. Welches Angebot kann die Militärseelsorge diesen Soldatinnen und Soldaten machen?

Felmberg: Ich hatte hier in Veitshöchheim gerade eine Runde mit Soldatinnen und Soldaten, die evangelisch, katholisch oder konfessionslos waren. Alle haben gesagt: Militärseelsorge ist wichtig, weil jemand für uns da ist, mit dem wir vertrauensvoll sprechen können und wo Verschwiegenheit garantiert ist. Es gibt dazu auch eine sozialwissenschaftliche Untersuchung: In der sagen 96 Prozent der Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz sowie 91 Prozent an den Standorten in Deutschland, dass sie die Militärseelsorge für wichtig halten. Die Nachfrage ist also da, unabhängig von der religiösen Überzeugung. Seit 2019 gibt es zudem eine jüdische Militärseelsorge, und zurzeit arbeitet das Verteidigungsministerium auch daran, für Muslime eine Art Militärseelsorge aufzubauen. Als christliche Seelsorge unterstützen wir das.

"Die Nachfrage ist da, unabhängig von der religiösen Überzeugung."
Bischof Bernhard Felmberg über die Bedeutung der Militärseelsorge
Welche Rolle spielt vor dem Hintergrund der russischen Kriegführung in der Ukraine die Vermittlung von ethischen Grundsätzen und Werten?

Felmberg: Im Lebenskundlichen Unterricht, der von Militärgeistlichen gestaltet wird, aber religionsneutral ist, werden die ethischen Werte vermittelt, für die unser Land steht. Das ist enorm wichtig. Wir sehen ja gerade, was Krieg aus Menschen macht, wie er auch ethische Grenzen des Kriegsvölkerrechts überschreitet. Das darf uns nicht passieren, deshalb heißt es für die Bundeswehr: Die Werte unserer Verfassung gilt es nicht nur zu verteidigen, sondern jeden Tag zu leben.

Wie erreichen Sie die Soldatinnen und Soldaten außerhalb des Unterrichts? 

Felmberg: Neben dem Unterricht, mit dem wir rund 36.000 Soldaten erreichen, gehen wir zum Beispiel auf Rüstzeiten, das sind Freizeiten mit geistlichem Inhalt. Dort erreichen wir rund 16.000 Soldatinnen und Soldaten. Dazu kommen regelmäßige Gottesdienste an den Standorten oder bei Übungen, wir geben das Monats-Magazin 'Junger Soldat' (JS) heraus und ich poste regelmäßig unter dem Namen "Militaerbischof" auf Instagram.

Besuchte die Balthasar-Neumann-Kaserne in Veitshöchheim, den Stabssitz der 10. Panzerdivision der Bundeswehr: Militärbischof Bernhard Felmberg, Chef der evangelischen Militärseelsorge in Deutschland.
Foto: Thomas Obermeier | Besuchte die Balthasar-Neumann-Kaserne in Veitshöchheim, den Stabssitz der 10. Panzerdivision der Bundeswehr: Militärbischof Bernhard Felmberg, Chef der evangelischen Militärseelsorge in Deutschland.
Es gibt das ewige Dilemma zwischen christlicher Friedfertigkeit und einem möglichen Szenario des Krieges: zu töten oder getötet zu werden. Wie gehen Ihre Militärgeistlichen mit diesem Thema um?

Felmberg: Natürlich ist die Lehre Jesu eine, die klar darauf setzt, dass Friedfertigkeit Gewaltspiralen unterbricht. Dennoch sind wir Teil dieser Welt. Wir leben noch nicht im Himmelreich und wissen, dass der Mensch Gerechter und Sünder zugleich ist. Wir müssen immer damit rechnen, dass der Mensch auch zu Schlechtem in der Lage ist. Deshalb müssen wir alles dafür tun, dass wir ausufernder Gewalt entgegentreten. Unsere Armee dient allein der Verteidigung. Da versteht es sich von selbst, dass wir unsere Soldaten in ihrem Leben und ihrer dienstlichen Aufgabe, unsere Sicherheit und unsere Freiheit zu verteidigen, begleiten und dafür auch ein Angebot machen, das aus dem christlichen Glauben kommt.

Was halten Sie persönlich von dem Begriff "Kriegstüchtigkeit"?

Felmberg: Das ist ein schillernder Begriff, der vom Minister bewusst gewählt wurde, um aufzurütteln. Verteidigungstüchtigkeit sagt das Gleiche. In einer Gesellschaft, die sich gar nicht mehr vorstellen kann, dass Demokratien Ziel von Boshaftigkeiten anderer Staaten werden können, ist Klartext manchmal gut. Ansonsten finde ich Verteidigungstüchtigkeit völlig ausreichend.

Sie haben Ihr Amt 2020 angetreten, auf die Coronakrise folgte der Ukrainekrieg. Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie in den vier Jahren besonders geprägt?

Felmberg: Nach dem Überfall auf die Ukraine ergaben sich ganz andere Herausforderungen für die Militärseelsorge. Für die Soldaten stellte sich die Frage: Wie rede ich mit meinem Kind über Krieg? Wie gehe ich damit um, wenn mein Kind in der Schule von anderen Kindern hört: 'Dein Vater ist bei der Bundeswehr, der muss jetzt in die Ukraine und stirbt da"? Auf solche Situationen in den Familien musste die Militärseelsorge reagieren. Wir haben so zum Beispiel einen Leitfaden und Videoclips zum Thema erarbeitet, wie man als Soldat mit den eigenen Kindern über Krieg spricht. Ein weiterer Punkt ist, mit welcher Intensität die Soldatinnen und Soldaten jetzt üben. Für die Soldaten gilt heute: Das, was du übst, kann Realität werden. Das hat mich schon beeindruckt – ebenso wie die Veränderung in meiner Kirche. Sie äußert sich in Friedensfragen heute differenzierter als noch vor einem Jahrzehnt. Denn eines ist klar: Ein entspanntes "Weiter so" können wir uns nicht leisten.

Militärseelsorge und der Militärbischof

Soldatinnen und Soldaten haben per Gesetz Anspruch auf Seelsorge und ungestörte Religionsausübung, die Militärseelsorge ist ein eigenständiger Organisationsbereich der Bundeswehr. In Deutschland sind 100 evangelische und 100 katholische Militärgeistliche tätig, das Militärrabbinat beschäftigt bis zu zehn Militärrabbinerinnen und -rabbiner.
Dr. Bernhard Felmberg, geboren 1965 in Berlin, ist evangelischer Theologe und seit Oktober 2020 evangelischer Militärbischof der Bundeswehr. Zuvor war er als Ministerialdirigent Leiter der Zentralabteilung im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. 
Quelle: Bundeswehr/tsc
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Veitshöchheim
Würzburg
Hammelburg
Wildflecken
Volkach
Torsten Schleicher
Balthasar-Neumann-Kaserne
Bischöfe
Bundeswehr
Evangelische Kirche
Jesus Christus
Militärseelsorge
Seelsorge
Soldatinnen
Ukrainische Soldaten
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top