Nach "vielen negativen Rückmeldungen" zu zwei Jugendbüchern hat der Ravensburger Verlag zum Filmstart von "Der junge Häuptling Winnetou" die Titel aus seinem Sortiment zurückgezogen. Grund dafür: Heftige Vorwürfe aus dem Netz, wonach der Stoff, der auf den Karl May-Büchern basiert, rassistische Stereotype über die Ureinwohner Nordamerikas wiedergeben würde. In einem Instagram-Post begründete die Firma dies mit der Kritik vieler Nutzer, die gezeigt habe, "dass wir mit den Winnetou-Titeln die Gefühle anderer verletzt haben".
Stefan Lutz-Simon ist Leiter der Jugendbildungsstätte Unterfranken und Sprecher des Würzburger Bündnisses für Demokratie und Zivilcourage, zu dem auch der Ombudsrat gehört. Im Gespräch erklärt der 53-Jährige, worum genau es in der Debatte geht, was er zur Entscheidung des Verlages sagt und was man heute seiner Meinung noch sagen darf, und was nicht.
Stefan Lutz-Simon: Dass weiße Menschen Figuren erfinden, die dann Bilder von Minderheiten prägen. Karl May ist indigenen Menschen nie begegnet. Wahrscheinlich auch nicht die Autorinnen und Autoren der zurückgezogenen Bücher. Karl May hat romantisiert und in gute und böse Volksgruppen eingeteilt. Das wird nun fortgesetzt. Betroffene Menschen sagen, dass diese Erfindungen nichts mit ihrem wahren Leben zu tun haben.
Stefan Lutz-Simon: Das ist nicht die Frage: Was ist akzeptabel und was nicht? Diese Frage ist immer schwierig, weil sie ablenkt auf die Frage nach Verboten. Verbote halte ich für schwierig. Es geht um Sensibilität. Moralisch inhaltlich ist es nicht akzeptabel, das geht einfach nicht, jemanden fremd zu bestimmen. Man darf alles sagen, aber man muss mit den Konsequenzen leben. Wenn mich persönlich zum Beispiel jemand beleidigt, dann muss diese Person damit rechnen, dass ich nichts mehr mit ihr zu tun haben möchte. Wenn sich Menschen beleidigt fühlen, weil Texte oder Bilder über sie ins Leben gerufen werden, die nichts mit der Realität zu tun haben, dann muss die Person, die die Bilder hervorgebracht hat, damit rechnen, dass es Abwehr gibt. Es geht doch darum, ob Menschen ein Gefühl entwickeln, dass da etwas komisch ist. Das gilt für indigene "Amerikaner und Amerikanerinnen" genauso wie für Inuits, wenn sie als Eskimos beschimpft werden. Das gilt auch für das N-Wort oder das Z-Wort. Wir stecken permanent Menschen in Gruppen und diffamieren sie.
Lutz-Simon: Ich respektiere diese Entscheidung, ich kann sie nachvollziehen. Wenn sie für sich als Verlag den Anspruch haben - und Ravensburger ist ja ein sehr prominenter Verlag, der sich inhaltlich Gedanken macht über das, was er auf den Markt bringt - und diese Entscheidung trifft, dann sollte man dieser mit Respekt begegnen.
Lutz-Simon: Ich habe viele davon ja auch gelesen, ich habe auch die Verfilmungen geguckt. Doch das war in meiner Kinderzeit, heute würde ich sie nicht mehr lesen und auch nicht weitergeben. Weil ich natürlich weiß, dass es Menschen gibt, die sich durch diese falschen Bilder, die über sie erzeugt wurden, diffamiert fühlen. Dabei finde ich jedoch wichtig, dass man historische Bücher nicht einfach wegsperrt, sondern sie einordnet. Wir haben bei uns in der Jugendbildungsstätte beispielsweise ein Buch von Karl May, um zu zeigen, wie denn damals ein Mensch gedacht hat. Das jedoch immer mit dem Ziel, über die Dinge, die vor rund 150 Jahren geschrieben wurden, vielleicht auch zu schmunzeln. So gesehen müssen wir viele Bücher aus der Vergangenheit hinterfragen und akzeptieren, dass so gedacht wurde.
Lutz-Simon: Wenn sie es überhaupt lesen wollen, dann ja. Ansonsten fände ich es toll, wenn stattdessen einfach andere Bucher gewählt werden würden. Es gibt beispielsweise Kinderbücher von indigenen Autorinnen und Autoren, die aus ihrer Sicht über ihr Leben erzählen. Es wäre toll, wenn sich Eltern, Lehrerinnen und Lehrer oder Erzieherinnen und Erzieher mit der Frage auseinandersetzen würden, was denn mit diesen Kinderbüchern eigentlich transportiert wird. Welche Gedanken werden bei den Kindern manifestiert, wenn sie gewisse Bücher lesen? Das Kindheitsalter ist eine prägende Zeit und wenn sie mit Bildern aufwachsen, die dumme Dinge erzählen, dann wird es später schwierig, das zu korrigieren.
Lutz-Simon: Indigene Völker, Native Americans. Oft ist das Problem, dass diese Wörter keine direkten Ersatzwörter haben - wir ringen immer um Sprache. Wenn es um das I-Wort geht, würde ich immer vorschlagen, sich zu überlegen, wer denn genau damit gemeint ist. Reden wir von den Inuit? Oder reden wir beispielsweise von den Apachen?
https://www.derstandard.at/story/2000138634633/causa-winnetou-erst-die-medien-brachten-den-shitstorm-in-fahrt
Auslöser ist unstreitig der "Shitstorm" von weniger als 200 woken Menschen, die einem Kinderbuch Rassismus vorwerfen.
Zu Zeiten Karl Mays war die Informationspolitik über andere Kulturkreise noch nicht so ausgeprägt und profiliert, dass man Nachrichten aus erster Hand verarbeiten konnte.
Es ist ein langer Weg zur sozio-kulturellen Gerechtigkeit. Karl May liebte die Phantasterei, so schuf er eben Traumwelten, welche mit der Realität auch manchmal kollidierten. Er hatte berechtigte Kritik am Verhalten der Auswanderer nach Amerika geübt und deshalb war sein Ansinnen ein hehres Unterfangen.
Dieser Kommentar ist wesentlich sachlicher und ruhiger als viele der Brandstifter-Kommentare darunter.
Wenn es so weitergeht, werden sie bald wieder verbrannt, wenn auch unter anderen Vorzeichen, denn er verwendete gelegentlich das "N-Wort". Nach meinem Verständnis zwar ohne rassistischen Hintergedanken, aber darauf kommt es in der gegenwärtigen Diskussion ja nicht mehr an.
Solange wir Kästner noch zitieren dürfen, sein folgender Satz:
"Was immer auch geschieht,
nie sollt ihr so tief sinken,
von dem Kakao, durch den man euch zieht,
auch noch zu trinken!"