Im Januar sorgte die Tat eines Jagdwilderers nahe Kusel in der Westpfalz bundesweit für Entsetzen. Der 38-Jährige erschoss einen 29-jährigen Polizeikommissar und eine 24-jährige Polizeianwärterin, als sie sein Fahrzeug kontrollieren wollten.
Ist Wilderei auch in Unterfranken ein Problem? Wie viele Fälle gibt es und wie viele werden aufgeklärt? Gibt es Schwerpunkte in der Region und was sagen Vertreter von Polizei, Jagdverband, Bund Naturschutz und Vogelschutzbund zu den Straftaten? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Gibt es Waldgebiete in Unterfranken, in denen besonders oft gewildert wird?
"Mir ist in Unterfranken kein Hotspot bekannt", sagt Enno Piening, unterfränkischer Bezirksvorsitzender des Bayerischen Jagdverbandes (BJV) aus Bad Kissingen. Aber das müsse nichts heißen. Wilderei finde im Verborgenen statt, meist in der Nacht. Und Jäger könnten ihr Revier nun mal nicht rund um die Uhr schützen, sagt Piening. Auch dem Polizeipräsidium Unterfranken sind "keine größeren Fälle" von Jagdwilderei und keine Häufungen in bestimmten Waldgebieten bekannt, teilt Polizeihauptkommissar Daniel Ruß mit.
Wurden in diesem Jahr bereits Fälle von Wilderei bei der Polizei angezeigt?
Acht Fälle von Wilderei wurden in den ersten vier Monaten 2022 bei der Polizei angezeigt. In sieben Verfahren wird gegen unbekannte Täter ermittelt. In Faulbach (Lkr. Miltenberg) wurde ein Rehbock illegal erlegt, ebenso in Waigolshausen (Lkr. Schweinfurt). Überreste von illegal erlegtem Wild fand man auch in Alzenau (Lkr. Aschaffenburg). In Maidbronn im Landkreis Würzburg wurde eine Gans illegal geschossen und in Arnstein im Landkreis Main-Spessart ein totes Reh entwendet, das nach einem Wildunfall am Straßenrand abgelegt worden war.
In zwei Fällen - in Mechenried (Lkr. Haßberge) und in Schonungen (Lkr. Schweinfurt) - fand ein Jagdpächter ein Reh, das ein Hund gerissen hatte. In einem ähnlichen Fall vom 9. April in Oerlenbach (Lkr. Bad Kissingen) wird eine 66-jährige Hundehalterin jetzt zur Verantwortung gezogen, nachdem der Jagdpächter ihren wildernden Hund beobachtet hatte.
Wie viele Fälle von Wilderei wurden in den vergangenen fünf Jahren aufgeklärt?
Die Aufklärungsquote für Jagdwilderei in Unterfranken steigt. In den Jahren 2017 und 2018 wurden 18 beziehungsweise 19 Straftaten offiziell bei der Polizei angezeigt. Knapp 28 Prozent beziehungsweise nur 16 Prozent der Fälle wurden damals aufgeklärt. In den Jahren 2019 bis 2021 lag die Aufklärungsquote der 22 sowie 23 angezeigten Fällen bei 41 bis 46 Prozent.
Wie hoch ist die Dunkelziffer für Wilderei in Unterfranken?
"Die Dunkelziffer ist hoch", ist sich der Vertreter des Jagdverbandes, Enno Piening, sicher. Die modernen Wilderer seien mit Fahrzeugen und entsprechender Nachtzieltechnik ausgerüstet und würden vom Auto aus agieren, ohne große Spuren zu hinterlassen. Auch laut Daniel Ruß vom Polizeipräsidium Unterfranken werden nur Taten angezeigt, bei denen vor Ort noch Spuren erkennbar sind. Dies sei aber nicht der Fall, wenn das illegal geschossene Tier vollständig abtransportiert werde. Enno Piening schätzt, dass die Wahrscheinlichkeit für Wilderei in einsamen Gegenden wie im Spessart oder im Steigerwald besonders hoch sei. Überall dort, wo Wilderer in der Nähe einer Straße agieren könnten.
Woran erkennen Jäger, dass in ihrem Revier gewildert wird?
Ein auffälliges Zeichen sei, wenn Rehe, die sonst immer entspannt auf der Straße standen, plötzlich wegrennen, wenn sich ihnen ein Auto auf 200 oder 300 Meter nähert, sagt Piening: "Dann spricht vieles dafür, dass jemand vom Auto aus schießt." Denn den Wilderern gehe es darum, möglichst viel Beute zu machen und hohen Profit zu erzielen.
Verenden Tiere, die von Wilderern erlegt werden, qualvoll?
In der Regel seien Wilderer versierte Schützen. Allerdings würde sich ein Wilderer wohl kaum die Mühe machen, ein verletztes Tier zu suchen, wenn es nicht sofort tot ist, sondern weiterrennt, meint Piening. Viele Tiere würden so qualvoll verenden. Im nachhinein sei oft schwer festzustellen, woran ein Tier gestorben sei - ob durch einen Wildunfall oder Wilderer.
Auf welche Tierarten haben es Wilderer abgesehen?
Bei den Fällen, die bei der unterfränkischen Polizei angezeigt werden, handelt es sich meist um illegal erlegte Rehe, Gänse oder Enten. Laut Enno Piening haben es Wilderer vor allem auf Rehe, kleinere Wildschweine, Hirschkälber oder junges Rotwild abgesehen. "Alles, was man mit wenig Aufwand abtransportieren kann." Denn sobald ein zweiter Mann zum Transport des Tieres nötig werde, gebe es einen Mitwisser.
Was tun Jägerinnen und Jäger, wenn sie merken, dass in ihrem Revier gewildert wird?
Gewerbsmäßige Wilderer würden in der Regel nicht vor der eigenen Haustür wildern, sondern hätten einen Aktionsradius zwischen 50 und 80 Kilometern, schätzt Enno Piening. Merken Revierinhaber, dass in ihrem Gebiet gewildert werde, würden sie versuchen, auch nachts im Wald für Präsenz zu sorgen - etwa mit Hilfe befreundeter Jäger. Vereinzelt würde auch die Polizei nachts Streife fahren und nach auffälligen Fahrzeugen Ausschau halten. Doch meist sei es "blanker Zufall", wenn gewilderte Rehe in einem Kofferraum entdeckt werden. Daher würden Jägerinnen und Jäger auch die Autonummern von Fahrzeugen aufschreiben, die regelmäßig in ihrem Revier auftauchen.
Welche Strafen haben Wilderer zu erwarten?
Je nach Tierart sind mit dem umgangssprachlichen Begriff "Wilderei" verschiedene Straftatbestände gemeint, erklärt Polizeihauptkommissar Daniel Ruß. Werden Rehe illegal erlegt, handelt es sich um den Straftatbestand der Jagdwilderei gemäß §292 Strafgesetzbuch. Diese wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe bestraft. In besonders schweren Fällen wie gewerbs- oder gewohnheitsmäßiger Jagdwilderei oder zu Schonzeiten kann eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren verhängt werden.
Werden besonders geschützte oder streng geschützte Tierarten wie Luchse oder Wölfe geschossen, handelt es sich um Straftaten nach dem Artenschutzrecht. In diesen Fällen sind je nach Schwere der Taten Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren oder Geldstrafen möglich. Bei allen anderen Tierarten müssen sich Wilderer nach dem Tierschutzgesetz (§17) oder nach dem Waffengesetz verantworten, etwa wenn sie keinen Waffenschein besitzen.
Welche Fälle von Naturschutzkriminalität gibt es noch in Unterfranken?
Vor allem Greifvögel und Eulen würden häufig Opfer von Wilderern, die die Tiere illegal töten, sagt Marc Sitkewitz, Leiter der Bezirksgeschäftsstelle Unterfranken beim Landesbund für Vogelschutz (LBV). Die Täter würden die Tiere vergiften, beschießen, Fallen aufstellen, die Brut stören oder Horste beschädigen. In Hammelburg (Lkr. Bad Kissingen) seien im März 2021 drei Rotmilane und ein Kolkrabe mit Carbofuran, einem in der EU seit 2008 verbotenen Insektizid, vergiftet worden, sagt Steffen Jodl, Regionalreferent für Unterfranken beim Bund Naturschutz. Das Kontaktgift ist für Menschen und Tiere hochgefährlich und löst akutes Herz-Kreislauf Versagen aus. Im Zeubelrieder Moor bei Ochsenfurt seien schon mehrfach Biberdämme zerstört worden. Getötete Biber gab es aber laut Bund Naturschutz in Unterfranken noch nicht.
Wie versucht die Polizei in Unterfranken, Wilderern das Handwerk zu legen?
Bei den einzelnen Polizeiinspektionen in Unterfranken gibt es Polizistinnen und Polizisten, die sich speziell mit dem Thema Jagd befassen. Sie kontrollieren laut Präsidium auch Waffenscheine und stehen dabei im Austausch mit den örtlichen Jägern und den Kreisverwaltungsbehörden.
Nachdem Wilderer in den Jahren 2012 bis 2015 im Bayerischen Wald mehrere Luchse getötet hatten, gibt es in Bayern außerdem das "Handlungskonzept Luchs" für zielgerichtete Ermittlungsarbeit. Dieses Konzept lasse sich auch auf andere geschützte Tierarten übertragen. Jäger Enno Piening wünscht sich aber vor allem eines: "Der erste Schritt wäre, dass die Strafverfolgungsbehörden Wilderei nicht mehr als Kavaliersdelikt abtun, wenn mal ein Wilderer dingfest gemacht wird."