Rehe, die von Hunden gerissen wurden, sind abscheulich anzuschauen. Da klaffen riesige Wunden. Bei manchen fehlt eine Keule. In einem Fall lagen kürzlich nur noch Teile des Skeletts da. Die Rippen und der Schädel ließen deutlich erkennen, dass sie von einem Reh stammen. Laut einer Pressemitteilung der Stadt Karlstadt wurden im Rohrbacher Wald im letzten Vierteljahr fünf Rehkitze von vermutlich einem freilaufenden und wildernden Hund gerissen.
Warum "vermutlich"? Jagdpächter Heinrich Urlaub sagt, es sei nicht einfach nachzuweisen, dass ein Reh zu Tode gekommen ist, weil ihm ein Hund nachgestellt hat. Vor zwei Wochen hatte er an einem Sonntagmorgen einen Schwarm Krähen auf einem Acker sitzen sehen. Sie machten sich gerade über ein totes Reh her. So entdeckte er es überhaupt erst. "Ich wollte wissen, warum es zu Tode gekommen ist. Hat sich jemand einen Spaß gemacht und es mit einem Kleinkalibergewehr erlegt?" Er hat es mitgenommen, zu Hause aufgebrochen – und die Hundebisse festgestellt.
Wärmebildkameras sollen Klarheit bringen
Gleich nebenan im Wiesenfelder Revier hat Jagdpächter Günther Ruf vorigen Samstag ein Reh entdeckt, von dem nur noch Knochen und ein Stück Fell übrig waren. Liege irgendwo ein totes Reh, so könne dieses schon nach zwei Tagen so aussehen. "Da kommt der Fuchs vorbei, dann fressen die Milane, der Bussard und Krähen." Dann lässt sich nicht mehr nachweisen, woran das Wild verendete. Doch auch Ruf hat eines der drei toten Rehe, die er im vergangenen Halbjahr in seinem Revier gefunden hat, untersucht und am Hals deutliche Hundebisse diagnostiziert.
Als Urlaub im September ein totes Reh fand, "haben wir vorher hetzende Hunde gehört", berichtet er. Und Mitte Januar habe gegen 23.30 Uhr plötzlich ein Hund gebellt. Näheres habe er nicht herausfinden können, "also ob da nachts ein Hund alleine draußen ist – es war Nebel". Die Vorfälle hätten sich im Umkreis von nicht einmal einem halben Kilometer um die Rohrbacher Kapelle abgespielt, sagt der Jäger. Jetzt habe er so etwas wie Wärmebildkameras angeschafft.
Vierjähriger Bock wurde totgebissen
Die Liste der Vorfälle lässt sich fortsetzen. Auf der rechten Mainseite hat Ernst Kunesch ein Revier bei Gambach. Ebenfalls am Samstag entdeckte er ein gerissenes Reh. "Es handelte sich um einen etwa vierjährigen Bock, den ich schon lange kannte, weil er drei Stangen geschoben hat." Normalerweise hat das Gehörn zwei Stangen. "Am Freitag hatte ich ihn noch beobachtet." Kunesch untersuchte den Bock und fand am Hals eindeutige Hundebisse. Er kann sich den Fall nur so erklären, "dass ein ziemlich großer Hund den Bock in seinem Bett überrascht hat".
Die Zahl der gehaltenen Hunde hat sich in Corona-Zeiten vergrößert. Und der Wald sei vor allem seit der Pandemie ein beliebter Ausflugsort, registriert Kunesch, der in Jagdkreisen besondere Funktionen innehat. Er ist Vorsitzender des Jägerprüfungsausschusses Unterfranken, berät das Landratsamt Main-Spessart in Jagdfragen und fungiert als Jagdberater der Kreisgruppe im Bayerischen Jagdverband.
Der Jäger dürfte den Hund erschießen
Kunesch: "Wir versuchen die Halter immer wieder darauf hinzuweisen, dass jeder Hund einen Jagdtrieb hat – auch Hunde, die als ausgeglichen gelten, wie etwa der Golden Retriever. Wir hängen Plakate auf, aber es gibt immer wieder Uneinsichtige." Er selbst sei immer freundlich. "Das ist meine oberste Devise." Aber dann gebe es immer wieder welche, die erwidern: "Das geht dich gar nix an." Heinrich Urlaub hat dieselben Erfahrungen gemacht und ergänzt: "Wer meint, dass sein Hund mehr laufen muss, kann auch eine große Schleppleine benutzen."
Theoretisch erlaube es das Jagdrecht, einen Hund zu erschießen, der den Einwirkungsbereich seines Herrn verlassen hat. Das freilich käme für ihn nie in Frage, sagt Kunesch. Wüsste er, wem der Hund gehört, könnte er dem Halter eine Rechnung über 200 Euro stellen. Zudem wäre eine Anzeige möglich. Das wäre auch für Urlaub das Mittel der Wahl, wenn er beobachtet, dass ein Hund nicht gehorcht, sondern einem flüchtenden Wild nachrennt.
Wie ist das mit der Anleinpflicht?
Die Stadt Karlstadt weist in ihrer Mitteilung eindringlich auf die Anleinpflicht hin, die auf innerörtlichen Wegen und Plätzen für große Hunde mit mindestens 50 Zentimetern Schulterhöhe und für Kampfhunde gilt. In Karlstadts Nachbarort Eußenheim ist die Anleinpflicht etwas enger geregelt als in Karlstadt. Dort gibt es nicht die Beschränkung auf Kampfhunde und große Hunde. Die Leinenpflicht bezieht sich dort außerdem zwei besondere Wege außerhalb der Bebauung: den bei den Segelfliegern beginnenden Nordic Walking Parcours und die Abteilung "Oberflur".
Und außerhalb geschlossener Ortslagen? Dort sind fast überall Jagdreviere. Und das Bayerische Jagdgesetz besagt: "Mit Geldbuße kann belegt werden, wer Hunde in einem Jagdrevier unbeaufsichtigt frei laufen lässt." In Naturschutzgebieten ist die Leinenpflicht jeweils individuell geregelt, heißt es im Landratsamt Main-Spessart. Als Beispiel steht in der Verordnung für das Naturschutzgebiet "Grainberg, Kalbenstein und Saupurzel": "Verboten ist, Hunde frei laufen zu lassen."
Selbst wenn Wild im Winter nur aufgeschreckt wird, hat dies einen negativen Effekt. Günther Ruf: "Rehe fahren im Winter ihren Energieumsatz herunter und verhalten sich ruhig. Werden sie dann aufgescheucht, brauchen sie wieder Energie und so kommt es zu erhöhten Verbissschäden."
Hundekot "sauber" verpackt im Wald
Die Stadt Karlstadt hat ein weiteres Anliegen: Sie bittet, die forstwirtschaftlichen Straßen und Wege zu beachten. Diese sind ausgeschildert und ausschließlich für forstwirtschaftliche Fahrzeuge freigegeben. In jüngerer Zeit würden auf den Wegen vermehrt Fahrzeuge von Hundehaltern geparkt, "um direkt aus dem Kofferraum heraus mit den Hunden spazieren zu gehen".
Und auf noch ein Problem weist die Stadt hin. Hundekot sei nicht in Plastiktüten im Wald zu entsorgen. Auch hierfür gibt es Bestätigung seitens der Jäger. Ruf berichtet, er habe schon mehrfach solche Kotbeutel in seinem Revier gefunden. "Ich weiß nicht, was sich manche dabei denken."