
Als der Würzburger Germanist Christian Naser 1985 im Altort von Zell (Lkr. Würzburg) ein altes unansehnliches Haus erwarb, ahnte er noch nicht, dass dies sein Leben verändern würde. Denn bei der Renovierung stellte er fest, dass hinter der hässlichen Fassade ein wahres Schmuckstück steckte. Und ein historisch bedeutsames dazu. Denn sein Haus entpuppte sich als Renaissance-Winzerhof aus dem Jahr 1614, der 1692 von dem Zeller Weinhändler Johann Christoph Fleischmann in ein Weinhandelshaus umgebaut wurde.
Zeitgleich mit der Residenz erbaut
Inzwischen kann Naser nachweisen, dass das größte der alten Zeller Weinhandelshäuser, das sogenannte Weinhandelspalais von keinem geringeren als dem barocken Baumeister Balthasar Neumann erbaut wurde - 1744 zeitgleich mit der Fertigstellung der Würzburger Residenz.
Inzwischen kann Naser 18 Weinhandelshäuser aus dem 18. Jahrhundert im Zeller Altort nachweisen. Die meisten gehörten den Familien Wiesen und Fleischmann, die den Zeller Weinhandel dominierten und mit einigen anderen fränkischen Weinhändlern auch den Markt in Frankfurt beherrschten.

Gerne erzählt Christian Naser die Geschichte vom Aufstieg und Niedergang der fränkischen Weinhandelsdynastien. Wohlhabende Weinhändler, die durch strategische und spektakuläre Hochzeiten Handelswege und kartellartige Geschäftsverbindungen bis nach Italien und Belgien sicherten und pflegten, waren zu einem dominanten Wirtschaftsfaktor geworden. Ziel war es, die marktbeherrschende Position im Frankfurter Weinhandel zu festigen oder gar auszubauen. Von dort wurde der Frankenwein nach ganz Deutschland geliefert.
Beeindruckende Kellergewölbe
Die Franken gingen nicht immer zimperlich ans Werk. Da der größte der Weinhändler, die Familie Wiesen, auch Ziegel fertigte und auf Schiffen in die Stadt Würzburg brachte, schmuggelten sie schon mal Wein unter den Ziegeln zollfrei in die Stadt. Und Ziegel wurden zu der Zeit der Würzburger Großbaustellen viele gebraucht, denn nicht nur die Residenz, auch einige der heutigen Kirchen waren gerade im Bau.

Heute muss man schon etwas genauer schauen, um den Glanz des inzwischen als Mietshaus genutzten ehemaligen Barockschlosses zu entdecken. Neben der dreiflügeligen Bauweise erinnern auch die von Johann Georg Oegg geschmiedeten Gitter vor den Fenstern zur Hauptstraße und eine Putte als Teil eines Geländers im Garten an den einstigen Glanz.
Aber auch eine der Original-Eingangstüren im Innenhof blieb erhalten. Naser ist sich sicher, so eine alte Türe dürfte man in ganz Würzburg nicht mehr finden. Und natürlich die gewaltigen acht Kellergewölbe, in denen der Wein gekeltert und gelagert wurde. Hier probierte Balthasar Neumann acht verschiedene extrem belastbare Gewölbetechniken, sagt Christian Naser.
Aus dem Weinhändlerhaus wurde ein Brauerei
Die Blütezeit der Weinhändler und die Dominanz des Frankenweins in Süddeutschland endeten mit der Ära der Fürstbischöfe im auslaufenden 18. Jahrhundert. Das Wiesen-Palais wurde zwangsversteigert. Schließlich kaufte es der Winzer Kilian Lauck . Er glaubte wohl nicht mehr an die Zukunft des Weines, erwarb eine Bierbraukonzession und gründete dort das "Brauhaus Zell am Main". Unter seinen Nachfolgern wurde die Firma ab 1886 nach Würzburg in die heutige Frankfurter Straße verlegt und wurde in "Würzburger Bürgerbräu" umbenannt.
So kamen also Bierfässer in die einstigen Weinkeller. Christian Naser aber fasziniert etwas ganz anderes. Denn der neue Eigentümer errichtete das tonnenschwere Sudhaus auf einem der Kellergewölbe von Neumann - und es hielt stand.

Doch auch wenn die fränkischen Weinhandelsdynastien längst Geschichte sind, Christian Naser lassen sie nicht in Ruhe. So entdeckte er au dem Ur-Katasterplan von 1832 einen großen Terrassengarten mit Brunnen vor dem Palais, der bis an den Main und den dortigen Anlegesteg der Boote führte. Schwarz-weiß-Aufnahmen aus den sechziger Jahren zeigen Kinder vor dem Haus in einem barocken Wasserbassin spielen.

Der heutige Eigentümer des ehemaligen Palais gab seine Zustimmung zu Sondierungsgrabungen im Garten. Die bestätigten den im Katasterplan beschriebenen Aufbau des Gartens. Bei seinen Grabungen stellte Naser zudem fest, dass der Garten auf zwei Ebenen angelegt war. Ein Brunnen speiste zwei Überlaufbecken, die wiederum in einen Wasserfall münden, der eine dahinter liegende Grotte verschleierte. Christian Naser suchte nach konzeptionell vergleichbaren Ablagen und fand sie in der Villa dÈste in Tivolo, die mit einem großen Wasserfall und einer Wasserorgel freilich viel üppiger ausfällt, vom Aufbau her aber sehr ähnlich ist.

Und noch einr interessante Entdeckung machte Christian Naser. Der Ostgarten der Würzburger Residenz ist von der Topografie her dem Zeller Garten sehr ähnlich. Balthasar Neumann plante auch hier komplizierte Wasserspiele und einen Wasserfall. Schließlich wusste er, dass der Fürstbischof auf dem Weg zu seinen Sommerresidenzen in Veitshöchheim und Zellingen an dem Zeller Anwesen vorbeikam. Er kannte also die Zeller Wasserspiele. So bot der am Fluss gelegene Zeller Terrassengarten mit seinen Quellen ideale Voraussetzungen, das steil ansteigende Gelände des östlichen Residenzgartens zu simulieren und dem Fürstbischof eine Vorstellung von der geplanten Baumaßnahme zu geben. Die hätte man dann vom Gartensaal und vom Kaisersaal der Würzburger Residenz aus bestaunen können.
Verborgene Schätze unter der Erde
Jedoch wurden Balthasar Neumanns Pläne im Würzburger Residenzgarten nur teilweise ausgeführt. In Zell wurden die Reste des Gartens mit seinen Wasserbassins und der Grotte 1968 aufgeschüttet, wobei die Grotte nur verfüllt und nicht zerstört wurde. Außerdem ist die komplette Stützmauer der Terrasse noch vorhanden. Nach der unerwarteten Entdeckung der Grotte und des Wasserfalls wäre es spannend zu untersuchen, was ansonsten noch im Boden des Palaisgartens erhalten ist.