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Zell
Wie ein barockes Bauwerk von Balthasar Neumann in einem Zeller Garten verschüttet und (fast) vergessen wurde
Ein Weinhändler ließ sich vom großen Barockbaumeister sein Weinhandelspalais in Zell bauen. Heute ist es ein Mietshaus, doch im Verborgenen lauern große Schätze.
Zugeschüttet, aber nicht zerstört:  Christian Naser hat bei Sondierungsgrabungen die Grotte eines von Baltasar Neumann erbauten Terrassengarten in Zell am Main entdeckt. 
Foto: Thomas Obermeier | Zugeschüttet, aber nicht zerstört:  Christian Naser hat bei Sondierungsgrabungen die Grotte eines von Baltasar Neumann erbauten Terrassengarten in Zell am Main entdeckt. 
Folker Quack
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:56 Uhr

Als der Würzburger Germanist Christian Naser 1985 im Altort von Zell (Lkr. Würzburg) ein altes unansehnliches Haus erwarb, ahnte er noch nicht, dass dies sein Leben verändern würde. Denn bei der Renovierung stellte er fest, dass hinter der hässlichen Fassade ein wahres Schmuckstück steckte. Und ein historisch bedeutsames dazu. Denn sein Haus entpuppte sich als Renaissance-Winzerhof aus dem Jahr 1614, der 1692 von dem Zeller Weinhändler Johann Christoph Fleischmann in ein Weinhandelshaus umgebaut wurde.      

Zeitgleich mit der Residenz erbaut

Inzwischen kann Naser nachweisen, dass das größte der alten Zeller Weinhandelshäuser, das sogenannte Weinhandelspalais von keinem geringeren als dem barocken Baumeister Balthasar Neumann erbaut wurde - 1744 zeitgleich mit der Fertigstellung der Würzburger Residenz.

Inzwischen kann Naser 18 Weinhandelshäuser aus dem 18. Jahrhundert im Zeller Altort nachweisen. Die meisten gehörten den Familien Wiesen und Fleischmann, die den Zeller Weinhandel dominierten und mit einigen anderen fränkischen Weinhändlern auch den Markt in Frankfurt beherrschten.   

Das Wiesen-Palais in der  Zeller Hauptstraße wird heute als Mietshaus genutzt. Seinen herrschaftlichen Glanz aber hat ehemalige Barockschloss bewahren können. 
Foto: Thomas Obermeier | Das Wiesen-Palais in der  Zeller Hauptstraße wird heute als Mietshaus genutzt. Seinen herrschaftlichen Glanz aber hat ehemalige Barockschloss bewahren können. 

Gerne erzählt Christian Naser die Geschichte vom Aufstieg und Niedergang der fränkischen Weinhandelsdynastien. Wohlhabende Weinhändler, die durch strategische und spektakuläre Hochzeiten Handelswege und kartellartige Geschäftsverbindungen bis nach Italien und Belgien sicherten und pflegten, waren zu einem dominanten Wirtschaftsfaktor geworden. Ziel war es, die marktbeherrschende Position im Frankfurter Weinhandel zu festigen oder gar auszubauen. Von dort wurde der Frankenwein nach ganz Deutschland geliefert. 

Beeindruckende Kellergewölbe

Die Franken gingen nicht immer zimperlich ans Werk. Da der größte der Weinhändler, die Familie Wiesen, auch Ziegel fertigte und auf Schiffen in die Stadt Würzburg brachte, schmuggelten sie schon mal Wein unter den Ziegeln zollfrei in die Stadt. Und Ziegel wurden zu der Zeit der Würzburger Großbaustellen viele gebraucht, denn nicht nur die Residenz, auch einige der heutigen Kirchen waren gerade im Bau. 

Auf acht gewaltigen und extrem belastbaren Kellergewölben ist das Wiesen-Palais in Zell erreichtet. 
Foto: Thomas Obermeier | Auf acht gewaltigen und extrem belastbaren Kellergewölben ist das Wiesen-Palais in Zell erreichtet. 

Heute muss man schon etwas genauer schauen, um den Glanz des inzwischen als Mietshaus genutzten ehemaligen Barockschlosses zu entdecken. Neben der dreiflügeligen Bauweise erinnern auch die von Johann Georg Oegg geschmiedeten Gitter vor den Fenstern zur Hauptstraße und eine Putte als Teil eines Geländers im Garten an den einstigen Glanz. 

Aber auch eine der Original-Eingangstüren im Innenhof blieb erhalten. Naser ist sich sicher, so eine alte Türe dürfte man in ganz Würzburg nicht mehr finden. Und natürlich die gewaltigen acht Kellergewölbe, in denen der Wein gekeltert und gelagert wurde.  Hier probierte Balthasar Neumann acht verschiedene extrem belastbare Gewölbetechniken, sagt Christian Naser. 

Aus dem Weinhändlerhaus wurde ein Brauerei

Die Blütezeit der Weinhändler und die Dominanz des Frankenweins in Süddeutschland endeten mit der Ära der Fürstbischöfe im auslaufenden 18. Jahrhundert. Das Wiesen-Palais wurde zwangsversteigert. Schließlich kaufte es der Winzer Kilian Lauck . Er glaubte wohl nicht mehr an die Zukunft des Weines, erwarb eine Bierbraukonzession und gründete dort das "Brauhaus Zell am Main". Unter seinen Nachfolgern wurde die Firma ab 1886 nach Würzburg in die heutige Frankfurter Straße verlegt und wurde in "Würzburger Bürgerbräu" umbenannt. 

So kamen also Bierfässer in die einstigen Weinkeller. Christian Naser aber fasziniert etwas ganz anderes. Denn der neue Eigentümer errichtete das tonnenschwere Sudhaus auf einem der Kellergewölbe von Neumann - und es hielt stand. 

Auf dem Ur-Katasterplan von Zell aus dem Jahr 1832 ist der von Balthasar Neumann errichtete Terrassengarten vor dem Palais mit der Nummer 106 zu sehen. 
Foto: Archiv Naser | Auf dem Ur-Katasterplan von Zell aus dem Jahr 1832 ist der von Balthasar Neumann errichtete Terrassengarten vor dem Palais mit der Nummer 106 zu sehen. 

Doch auch wenn die fränkischen Weinhandelsdynastien längst Geschichte sind, Christian Naser lassen sie nicht in Ruhe. So entdeckte er au dem Ur-Katasterplan von 1832 einen großen Terrassengarten mit Brunnen vor dem Palais, der bis an den Main und den dortigen Anlegesteg der Boote führte. Schwarz-weiß-Aufnahmen aus den sechziger Jahren zeigen Kinder vor dem Haus in einem barocken Wasserbassin spielen.  

Auf Aufnahmen aus den 1960er Jahren sind die barocken Wasserbassins des Terrassengarten des Wiesen-Palais in Zell noch zu sehen. 
Foto: Archiv Naser | Auf Aufnahmen aus den 1960er Jahren sind die barocken Wasserbassins des Terrassengarten des Wiesen-Palais in Zell noch zu sehen. 

Der heutige Eigentümer des ehemaligen Palais gab seine Zustimmung zu Sondierungsgrabungen im Garten. Die bestätigten den im Katasterplan beschriebenen Aufbau des Gartens. Bei seinen Grabungen stellte Naser zudem fest, dass der Garten auf zwei Ebenen angelegt war. Ein Brunnen speiste zwei Überlaufbecken, die wiederum  in einen Wasserfall münden, der eine dahinter liegende Grotte verschleierte. Christian Naser suchte nach konzeptionell vergleichbaren Ablagen und fand sie in der Villa dÈste in Tivolo, die mit einem großen Wasserfall und einer Wasserorgel freilich viel üppiger ausfällt, vom Aufbau her aber sehr ähnlich ist.  

Eine Flora steht als einzige noch vorhandene vollplastische Figur im nordöstlichen Teil des Palaisgartens in Zell. Flora ist die Göttin der Blüte, der Jugend und des fröhlichen Lebensgenusses. 
Foto: Christian  Naser | Eine Flora steht als einzige noch vorhandene vollplastische Figur im nordöstlichen Teil des Palaisgartens in Zell. Flora ist die Göttin der Blüte, der Jugend und des fröhlichen Lebensgenusses. 

Und noch einr interessante Entdeckung machte Christian Naser. Der Ostgarten der Würzburger Residenz ist von der Topografie her dem Zeller Garten sehr ähnlich. Balthasar Neumann plante auch hier komplizierte Wasserspiele und einen Wasserfall. Schließlich wusste er, dass der Fürstbischof auf dem Weg zu seinen Sommerresidenzen in Veitshöchheim und Zellingen an dem Zeller Anwesen vorbeikam. Er kannte also die Zeller Wasserspiele. So bot der am Fluss gelegene Zeller Terrassengarten mit seinen Quellen ideale Voraussetzungen, das steil ansteigende Gelände des östlichen Residenzgartens zu simulieren und dem Fürstbischof eine Vorstellung von der geplanten Baumaßnahme zu geben. Die hätte man dann vom Gartensaal und vom Kaisersaal der Würzburger Residenz aus bestaunen können.

Verborgene Schätze unter der Erde

Jedoch wurden Balthasar Neumanns Pläne im Würzburger Residenzgarten nur teilweise ausgeführt. In Zell wurden die Reste des Gartens mit seinen Wasserbassins und der Grotte 1968 aufgeschüttet, wobei die Grotte nur verfüllt und nicht zerstört wurde. Außerdem ist die komplette Stützmauer der Terrasse noch vorhanden. Nach der unerwarteten Entdeckung der Grotte und des Wasserfalls wäre es spannend zu untersuchen, was ansonsten noch im Boden des Palaisgartens erhalten ist.

Geschichte der Zeller Weinhändler

Die Zeller Steige ist aus mehreren Gründen ein einzigartiges Geschichtsmonument: Sie war Reichs- und Heeresstraße, Standort historischer Weinlagen, eines Steinbruchs und einer Ziegelei aus dem 18. Jahrhundert. Hinzu kamen die barocken Weinhandelshäuser im Zeller Altort. In Zusammenarbeit mit der Würzburger WVV wurde der Zeller Geschichtsweg entwickelt. Auf dem zirka zwei Kilometer langen Aufstieg in die Kernzone des Wasser- und Naturschutzgebiets des Zeller Bergs führen zwölf Hinweistafeln in die Vergangenheit Frankens. 
Die Weinhändlerfamilien aus Zell dominierten nicht nur den Weinhandel in Süddeutschland. Sie brannten auch Ziegel und waren in der Schifffahrt aktiv. Sie betrieben auch selbst Weinberge und waren so etwas wie die Vorläufer der heutigen Winzergenossenschaften. Denn sie kauften auch Lesegut auf, das sie zu Wein verarbeiteten.     
Christian Naser hat im Verlag Königshausen & Neumann ein zweibändiges Buch mit zusammen 700 Seiten mit dem Titel "Balthasar Neumanns Weinhändlerschloss" herausgegeben.  Wer sich einen kürzeren Überblick verschaffen will: "Die Zeller Weinhandelshäuser und Balthasar Neumanns vergessenes Schloss" heißt Christian Nasers Nachschlagewerk mit 64 Seiten.  Die Bücher sind im Fachhandel oder im Rathaus von Zell erhältlich.
 fqu
 
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