
Ein paar der Bodenplatten sind zersprungen, der Putz bröselt von den Wänden, vereinzelt haben sich Rostflecken gebildet. Die Treppenstufen, die ein Stockwerk nach oben führen, sind nicht mehr überall trittsicher. Und der Aufzug, der einem Paternoster ähnelte, trägt heute keine Lasten mehr. In den Gewölbekellern des Wiesen-Palais, unterhalb von Zells Hauptstraße, ist im Halbdunkel eine Zeitreise von fast 280 Jahren möglich. Was dort alles passiert ist, das weiß Christian Naser.

Naser ist promovierter Germanist. Er arbeitet am Institut für deutsche Philologie an der Universität Würzburg und lebt seit 1985 in Zell. Seit Jahrzehnten forscht er schon zur Geschichte Zells, vier Bücher hat er dazu veröffentlicht. Um die Bedeutung der Gewölbekeller des Wiesen-Palais zu verstehen, muss man mit ihm zurück ins 17. und 18. Jahrhundert reisen.
Zeller Weinhändler kontrollierten Weinhandel in Frankfurt
Nach dem Pfälzer Erbfolgekrieg im 17. Jahrhundert waren viele Weinbaugebiete im heutigen Südwestdeutschland zerstört. Die Lücke nutzten die fränkischen Weinhändler. Sie boten ihre Weine in Frankfurt am Main an und bauten dort den wichtigsten deutschen Handelsort für Wein auf. Dank ihrer Geschäftsbeziehungen kontrollierten sie laut Christian Naser bald den Weinhandel in der Reichsstadt.
Unter den fränkischen Händlern waren Familien aus Zell. Durch ihre Geschäfte zu Wohlstand gelangt, ließen sie insgesamt 17 Geschäftshäuser errichten. Das beeindruckendste ist das Wiesen-Palais in der Hauptstraße 18. Es wurde im Auftrag von Andreas Wiesen von 1742 bis 1744 von Balthasar Neumann gebaut, parallel zur Würzburger Residenz, wie Naser erklärt.
Das Anwesen bestand damals aus einer Anlegestelle, einem Terrassengarten mit Figuren und einem schlossartigen Gebäude mit Kellern. Das zu dieser Zeit Einmalige: Es war Manufaktur, Versand-, Geschäfts- und Wohnhaus in einem. Hier wurde der Wein gekeltert, gelagert, abgefüllt, etikettiert und direkt zum Versand auf Schiffe verladen. "Äußerlich war es ein Schloss", sagt Naser. "Aber von innen etwas ganz anderes."
Unterirdische Dreiflügelanlage war architektonisches Novum
Heute zeugt nur noch das Gebäude mitsamt seiner Gewölbekeller von dem damaligen Werk Neumanns, wenn auch nicht mehr in seiner ursprünglichen Pracht. Die historische Bedeutung ist aber immer noch erkennbar. Genau unter dem dreiflügeligen Gebäude befindet sich eine ebenfalls dreiflügelige Kelleranlage, sozusagen ein unterirdisches Schloss. Allein mit dieser ober- und unterirdischen Dreiflügelanlage habe Neumann im 18. Jahrhundert ein architektonisches Novum geschaffen, sagt Naser. "Es ist unbekannt, ob es vergleichbare Anlagen gibt."

Hinzu kommt: Die Gewölbe der Keller sind alle anders gebaut. Keine der Konstruktionen wiederholt sich. Und auch in der ehemaligen Kelterhalle, die im Süden angrenzt, findet sich eine andere Gewölbekonstruktion. Für den Historiker Naser ist klar: Neumann hat hier für die Residenz geübt. Und welches Gewölbe er wohin baute, hatte er durchaus durchdacht. Sie sind nach einem geometrischen Ordnungssystem angelegt, dessen Schnittpunkt das Oberlicht des Zentralkellers bildet. Im Fokus stand dabei das Motiv des Dreiecks. Es findet sich sowohl bei den Kellern als auch an der West- und Ostfassade des Weinhändler-Palais.
Von den Gewölberäumen hervorzuheben sind zwei: der Zentralkeller und die Kelterhalle. Der Zentralkeller, in dem sich der Paternoster-ähnliche Aufzug befand, liegt in der Mitte des Gebäudes, direkt unter dem Innenhof. Er erstreckt sich über zwei Stockwerke, hat in der Mitte ein Oberlicht und ist auffallend flach gewölbt. Und das, obwohl er schwere Lasten wie Wägen aushalten musste. Das war möglich, weil über Kreuz eingearbeitete Eisenanker die Konstruktion stabilisieren und versteifen – wie bei gotischen Kreuzrippengewölben.
Kelterhalle des Zeller Palais wurde umfunktioniert
Der Zentralkeller und die Gewölbekeller um ihn herum sind etwa seit Ende des 19. Jahrhunderts kaum noch genutzt worden. Ihre Zugänge wurden bis auf einen nach und nach zugemauert. "Das war ein Glücksfall", sagt Naser. Das komplexe Kellersystem ist heute noch vorhanden und – wie es scheint – ist auch das Kanal- und Drainagesystem, das Neumann unter Zell errichtete, noch intakt. Denn die Keller sind alle trocken.

Die ehemalige Kelterhalle allerdings wird auch heute noch genutzt. Um zu ihr zu gelangen, geht es raus aus den Kellern, einmal um die Ecke und auf der südlichen Gebäudeseite wieder hinein. Statt einer Kelteranlage sieht man dort heute Autos, weiße Plastikstühle und eine Hebebühne. Die Zugänge zu den Kellern sind zugemauert. Trotzdem sagt Naser: "Dieser Raum hat etwas Kirchliches."
Das liegt an der Konstruktion: Die Wände sind rund fünf Meter hoch, der Grundriss hat etwa acht auf 15 Meter und das Kreuzgratgewölbe ist wie im Zentralkeller auffallend flach, fast waagerecht im Scheitelbereich. Ähnlich wie in der Wallfahrtskirche Maria Limbach in Eltmann – und wie im Vestibül der Würzburger Residenz. Ein weiterer Hinweis dafür, dass Balthasar Neumann in Zell für die Residenz geübt haben könnte.