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Würzburg/Schweinfurt
Wie Bayern mit 145 Euro Corona-Ausgleich für ertaubte Menschen viel Ärger und unnötige Kosten produziert
Die einen finden 145 Euro lächerlich niedrig, andere bekommen das Geld gar nicht erst, weil eine umstrittene Stichtagsregelung viele Ertaubte ausschließt.
Hörgeräte oder Cochlea-Implantate können gehörlosen Menschen bei der Kommunikation helfen. Die Batterien dafür aber müssen sie selbst bezahlen.  Einen Nachteilsausgleich dafür gibt es in Bayern nicht. 
Foto: Markus Scholz, dpa | Hörgeräte oder Cochlea-Implantate können gehörlosen Menschen bei der Kommunikation helfen. Die Batterien dafür aber müssen sie selbst bezahlen.  Einen Nachteilsausgleich dafür gibt es in Bayern nicht. 
Folker Quack
 |  aktualisiert: 03.09.2023 03:48 Uhr

"Inakzeptabel und unwürdig" nennt Mario Schwarz die 145 Euro, die Gehörlose in Bayern als Entschädigung für die Corona-Zeit bekommen. Der Würzburger Unternehmer ist selbst ertaubt und hat die 145 Euro erhalten. Nicht mal ansatzweise decke dieses Geld die zusätzlichen Einschränkungen, die Gehörlose in der Corona-Zeit gehabt hätten. Aber er hat die 145 Euro wenigstens bekommen. Gut die Hälfte der Gehörlosen in Bayern gingen dagegen leer aus. Das ergab eine Landtagsanfrage des Grünen-Abgeordneten Toni Schuberl aus Passau.

Umstrittener Stichtag

Denn nur wer zum Stichtag 1. Juni 2022 das Merkzeichen GI in seinem Schwerbehindertenausweis stehen hatte, konnte beim "Zentrum Bayern Familie und Soziales" (ZBFS) die 145 Euro erfolgreich beantragen. In Bayern leben zirka 20.000 Menschen mit einem beiderseitigen Hörverlust von mindestens 80 Prozent. Aber zum Stichtag 1. Juni 2022 hätten lediglich 9.021 das Merkzeichen GI zuerkannt gehabt, so das ZBFS aus Anfrage.

Viele gehörlose Menschen hätten bereits die Merkzeichen G und RF, sodass ihnen das GI zusätzlich kaum etwas bringe, erläutert die Landtagsabgeordnete Kerstin Celina aus Kürnach (Lkr. Würzburg) gegenüber dieser Redaktion.  Man habe an den Betroffenen vorbei geplant. Es gehe doch nicht darum, das Beantragen eines Stempels im Schwerbehindertenausweis mit 145 Euro Bonus zu belohnen, sondern es gehe darum, den Menschen mit einer behinderungsbedingten Einschränkung einen "klitzekleinen" Ausgleich zu zahlen.

Besonders hart traf es den Rentner Manfred Bock aus Ottobrunn bei München, der am 21. Februar 2022 den Antrag auf das Merkzeichen GI stellte. Zuerkannt bekam er es dreieinhalb Monate später, und zwar am 9. Juni 2022. Genau neun Tage zu spät, um die 145 Euro zu erhalten. Der Befund, mit dem er seine Taubheit belegt, stammt aus dem Jahr 2009. Mit einer Petition an den bayerischen Landtag geht Manfred Bock gegen die Ablehnung der Einmalzahlung vor. Dabei gehe es ihm weniger um sich selbst.  "Ich kann auch ohne die 145 Euro überleben", sagt er.

Die Ablehnung sei ein Witz, sagt Bock, weil er doch gar keinen Einfluss darauf gehabt habe, wie schnell sein Antrag bearbeitet wurde. Es könne nicht sein, dass er und andere Betroffene Nachteile hätten, weil ein Sachbearbeiter seinen wohlverdienten Urlaub in der Bearbeitungszeit genommen hätte, krank gewesen sei, oder wegen Personalmangel viel zu tun gehabt hätte.   

Am falschen Ende gespart?

Das Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) begründet auf Nachfrage die Stichtagsregelung so: "Die Einmalzahlung wurde als Ausgleich für pandemiebedingte Mehraufwendungen gezahlt. Der Schwerpunkt der Pandemie lag in den Jahren 2020 und 2021. Ein durchschnittliches Verfahren nach dem Schwerbehindertenrecht dauert beim ZBFS gut zwei Monate. Wer schon 2020/2021 gehörlos war, wird daher in aller Regel zum 1. Juni 2022 das Merkzeichen Gl gehabt haben."

Gerade in der Corona-Zeit mit Kontaktbeschränkungen und Maskenpflicht (Lippen ablesen) waren Gehörlose besonders von Einsamkeit und Ausgrenzung betroffen. 
Foto: Thinkstock | Gerade in der Corona-Zeit mit Kontaktbeschränkungen und Maskenpflicht (Lippen ablesen) waren Gehörlose besonders von Einsamkeit und Ausgrenzung betroffen. 

Eine gewisse Härte freilich sei jeder Stichtagsregel immanent, so das ZBFS. Auf Nachfrage heißt es, dass es rund 50 Fälle gebe, bei denen das Merkzeichen GI nicht rechtzeitig zuerkannt worden sei. Entsprechend seien die Anträge auf die Einmalzahlung abgelehnt worden.  7250 Euro würde es zusätzlich kosten, diesen Betroffenen die Einmalzahlung zuzuerkennen. Insgesamt hätten am Stichtag 1. Juni 2022 genau 9021 Personen das Merkzeichen GI gehabt.

Insgesamt hat das Ministerium etwas über eine Million Euro für die Einmalzahlung bereitgestellt, die sich an der Zahl der Gehörlosen am Stichtag 1. Juni 2022 orientierte, so Kerstin Celina. Durch die Stichtagsregelung würden auch die gehörlosen Flüchtlinge aus der Ukraine von der Einmalzahlung ausgeschlossen, so Celina: "Die Ministerin hat am falschen Ende gespart, bei denen, die eh wenig haben, das sorgt für viel Ärger unter den gehörlosen Menschen." Nun aber drohten viel höhere Kosten für unnötige Petitions- und Gerichtsverfahren.

In der Tat seien mehrere Klagen gegen die Stichtagsregelung anhängig, bestätigt das ZBFS auf Nachfrage. Man werde jetzt die Entscheidungen der Gerichte abwarten. 

Viele wussten nichts von der Einmalzahlung

Hinzu kommt, dass nach Angaben des Bayerischen Gehörlosenverbandes lediglich 6173 Betroffene überhaupt einen Antrag auf die 145 Euro gestellt hätten. Davon seien 5379 Anträge bewilligt und ausgezahlt worden. Dies habe auch daran gelegen, dass viele Gehörlose gar nichts von der Einmalzahlung gewusst hätten, so Landesvorsitzender Bernd Schneider auf Anfrage. Seine Bitte, alle Anspruchsberechtigen per Brief zu informieren, sei aus "Sozialdatenschutzgründen" abgelehnt worden.

Celina kann das nicht verstehen. Jeder 18-Jährige bekomme ein Glückwunschschreiben des Ministerpräsidenten. Da spiele der Datenschutz keine Rolle. So aber hätten nur die Verbände und Vereine der Gehörlosen ihre Mitglieder informieren können, sagt Schneider. Aber nicht jeder Gehörlose sei Mitglied in einem Verband. Wenn aber schon nur rund 60 Prozent der Berechtigten die Zahlung erhalten hätten, hätte man den Stichtag für das Merkzeichen kulanter handhaben können, so Schneider gegenüber dieser Redaktion.

Manfred Bock aus Ottobrunn bei München ist gehörlos und kämpft mit einer Petition an den Bayerischen Landtag für die Einmalzahlung, die ihm verweigert wurde, weil er neun Tage zu spät das Merkzeichen GI zuerkannt bekommen hat.  
Foto: M.  Bock | Manfred Bock aus Ottobrunn bei München ist gehörlos und kämpft mit einer Petition an den Bayerischen Landtag für die Einmalzahlung, die ihm verweigert wurde, weil er neun Tage zu spät das Merkzeichen GI zuerkannt ...

Manfred Bock hat noch keine Entscheidung aufgrund seiner Petition an den bayerischen Landtag erhalten. Er glaubt auch nicht, dass sich vor den Wahlen etwas tut. Ob er im Falle einer Ablehnung klagen werde, wisse er noch nicht. Es würden ja bereits etliche Klagen laufen. Er werde sich weiter für ein Gehörlosengeld in Bayern starkmachen, das es in anderen Bundesländern bereits gebe. Dies sei ein kleiner Ausgleich für die Mehrkosten und die entgangenen Berufs- und Aufstiegs-Chancen, die Gehörlose nun einmal hätten. 

Für ihn grenze das Vorgehen in Bayern an Diskriminierung der Hörbehinderten, die die meisten Kosten zum Nachteilsausgleich ihrer Behinderung selbst tragen müssten, so Bock. Er selbst verfüge inzwischen über ein Cochlea-Implantat, was ein Segen sei. Allerdings müsse er die Batterien dafür selbst bezahlen. Allein dafür kämen über 200 Euro im Jahr zusammen.

 
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